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Warum schweigt die ÖGB-Führung?

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Auch wenn es Kanzler Bruno Kreisky nicht begreifen kann: Die polnische Arbeiterschaft war nicht führungslos. Sie hat eine demokratisch gewählte Führung. Wer das ignoriert, versagt der „Solidarität" die moralische Unterstützung.

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Auch wenn es Kanzler Bruno Kreisky nicht begreifen kann: Die polnische Arbeiterschaft war nicht führungslos. Sie hat eine demokratisch gewählte Führung. Wer das ignoriert, versagt der „Solidarität" die moralische Unterstützung.

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Die Sympathie der österreichischen Bevölkerung für das unterdrückte polnische Volk hat sich nach dem Militärputsch am 13. Dezember des Vorjahres schlagartig verstärkt. Und sie dauert noch an—trotz einiger Irritationen, die nicht etwa vom Militärregime aus Warschau, sondern ausgerechnet aus der heimischen Innenpolitik kamen.

Doch der gewerkschaftliche Aspekt dieser Tragödie scheint immer mehr in den Hintergrund zu treten. Noch vor einem Monat gab es einen Aufschrei der Empörung und massivste Proteste über ,die Internierung von Lech Walesa und von Tausenden seiner Gefolgsleute. Und heute, nur sechs Wochen später, scheint sich selbst unsere Arbeiterbewegung mit dem Schicksal der „Solidarität" abgefunden zu haben. Hat sie das wirklich?

Der OGB ist auffallend schweigsam. Das hat sicher seine Gründe. Schon im Vorjahr hat die Mehrheit in der ÖGB-Führung aus nicht näher genannten gewerkschaftsdiplomatischen Gründen jede direkte Unterstützung der „Solidarität" abgelehnt und auf die Aktivitäten des internationalen Bundes freier Gewerkschaften verwiesen.

Mit dem Umstand, daß die christlichen Gewerkschafter Österreichs von Anfang an mit der stark katholisch inspirierten freien Gewerkschaftsbewegung Polens in enger Beziehung standen, kann die Zurückhaltung der ÖGB-Führung ebensowenig erklärt werden wie mit dem bekannt guten Verhältnis des ÖGB zu den Staats- bzw. Regierungsgewerkschaften der sozialistischen Länder des Ostblocks.

Offiziell hörte man bisher immer die stereotype Meinung der ÖGB-Verantwortlichen, man wolle die „Solidarität" nicht durch westlichen Sukkurs gegenüber den Machthabern in Polen und der Sowjetunion kompromittieren. Geschadet hat diese Zurückhaltung der „Solidarität" sicher nicht. Ob sie ihr aber genützt hat? Im ÖGB fühlt man sich aber jetzt in dieser Haltung bestätigt.

Österreichs Arbeiter sind einigermaßen irritiert über die unterschiedlichen Einstellungen in den verschiedenen politischen und gewerkschaftlichen Lagern zur polnischen Frage und zur Rolle der Gewerkschaft „Solidarität": die Meinungen bewegen sich zwischen einer offenen Pro-Haltung zur „Solidarität" über eine laue Zurückhaltung bis hin zur scharfen Verurteilung der „Solidarität".

So sah man bei der großen Polendemonstration am 14. Dezember in Wien neben den grünen Transparenten der engagierten Christgewerkschafter auch die blutroten Transparente („Sozialismus ja — Jaruzelski nein") der Gruppe revolutionärer Marxisten, aber keinen einzigen sozialistischen Gewerkschaftsfunktionär, der für die Freilassung der inhaftierten Gewerkschaftsbrüder in Polen demonstrativ auf die Straße gegangen wäre.

Dabei sind doch die Sozialisten immer so stolz auf den Befreiungskampf der Arbeiterbewegung. Selbst Günther Nenning, Peter Kreisky, Josef Cap und jene stürmenden Sozialisten, die bis vor kurzem noch bei keiner Demonstration fehlten, wo sind sie diesmal geblieben? (Nenning muß man allerdings die Mitwirkung an der Polen-Aktion der Osterreichischen Intellektuellen zugute halten; das ist aber schon die einzige Ausnahme).

Deutliche Signale von=der Spitze der Arbeiterbewegung blieben diesmal aus. Weil die Kirche in Polen mit im Spiel ist? Weil die Arbeiterklasse Polens eine christlich inspirierte Gewerkschaftsbewegung aufgebaut hat, deren Ziel nicht unbedingt die Verwirklichung des Sozialismus ist?

Wie anders sollte man die .Analyse" des Bundeskanzlers über das Verhältnis Gewerkschaft und Kirche in Polen verstehen? Es blieb Bruno Kreisky als Führer einer Arbeiterpartei vorbehalten, den polnischen Arbeitern nicht nur die notwendige moralische Unterstützung zu versagen, sondern sogar in den Rücken zu fallen. Übrigens nicht zum ersten Mal.

Wenn Kreisy den Massen der polnischen Arbeiter Hilflosigkeit unterstellte, gleichzeitig den Bischöfen vorwarf, keine Verantwortung übernommen zu haben und der Kirche Recht und Befähigung zur Führung von Arbeitern absprach, dann ist das der Vorwurf, die Kirche habe der Arbeiterschaft keine Führung aufoktroyiert. Was umso unverständlicher ist, als die 100-Millionen-Ge-werkschaft „Solidarität" eine demokratisch gewählte Führung hat. Auch heute noch.

Kein einziger österreichischer Gewerkschafter dürfte mit diesem Ansinnen des Bundeskanzlers konform gehen. Und sicher tun dies die meisten auch nicht. Doch die ÖGB-Führung schweigt

Sollte es tatsächlich so sein, daß Solidarität nur unter ideologisch Gleichgesinnten gilt und geübt wird, dann läge eine Verwechslung der an sich konträren Begriffe Solidarität und Opportunität vor, dann wäre die wahre Bedeutung des Wertes der Solidarität gründlich mißverstanden worden.

Das aber scheint im gesunden Empfinden der österreichischen Arbeiterbewegung nicht der Fall zu sein. Denn der Freiheits- und Demokratisierungskampf der Polen, der ja jetzt nur unterbrochen ist, genießt offenkundig die Sympathie der großen Mehrheit unserer Arbeitnehmer.

Obwohl das einige Spitzenpolitiker nicht wahrhaben wollen.

Obwohl , manche Gewerkschaftsstrategen glauben, sich durch Passivität heraushalten zu müssen.

Der Autor ist Bundessekretär der Fraktion christlicher Gewerkschafter im OGB, war mehrfach in Polen, zuletzt am 1. Kongreß der „Solidarität" im September 1981 in Danzig.

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