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Warum sind nur kommunistische Flüchtlinge „prominent“?

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Vor wenigen Wochen, am 17. November, feierten kommunistische Staaten und im Westen wirkende kommunistische Organisationen den „Internationalen Tag der Studenten“. Wieviele im Westen wissen, woran dieses Datum erinnert?

Am 15. März 1939 wurde der böhmisch-mährische Teil der Tschechoslowakei von deutschen Militäreinheiten besetzt, das „Protektorat Böhmen und Mähren“ ausgerufen und Freiherr von Neurath zum „Reichsprotektor“ ernannt. Ein halbes Jahr später, am Vorabend des Jahrestages der Proklamation der Tschechoslowakischen Republik, veranstaltete der Verband Tschechoslowakischer Hochschüler eine Kundgebung auf dem Prager Wenzelsplatz; er wollte der Gründung der Republik im Jahre 1918 gedenken und zugleich für die verlorene Freiheit der Nation demonstrieren. Wie kaum anders zu erwarten, kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Studenten und der deutschen Besatzungsmacht.

Da die Reaktion des Reichsprotektors in den Augen seines Stellvertreters, Karl Herman Frank, zu mild war, forderte dieser in Berlin harte Vergeltungsmaßnahmen gegen die tschechischen Hochschulen. Die Universitäten in Prag und Brünn wurden (und blieben bis zum Ende des Weltkrieges) geschlossen; die Gestapo begann mit Verhaftungen von Studentenfunktionären. Hunderte von Studenten wurden in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Eine Reihe von ihnen wurde am 17. November 1939 hingerichtet.

Genau sechs Jahre später, wenige Monate nach Kriegsende, wurde in Prag unter dem Patronat des tschechoslowakischen Staatspräsidenten der erste Internationale Tag der Studenten veranstaltet. Den Vorsitz führte Dr. Jandecka, einer der 1939 deportierten Studentenführer. Kaum drei Jahre später wurde Jandecka erneut verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt - diesmal von den Kommunisten; obwohl in den sechziger Jahren wieder freigelassen, starb er an den Folgen einer schweren Krankheit, die er sich im Arbeitslager von Joachimstal geholt hatte.

Warum erinnern wir an diese Vorfälle? Sie illustrieren zweierlei; erstens, wie der Kommunismus sich Jubiläen aneignet, die keineswegs die seinen sind; zweitens, wie sehr man heute im Westen vergessen hat, daß es unter den Tschechen auch Persönlichkeiten gab und gibt, die sich zu einer christlich geprägten Demokratie bekennen. Um mit dem letzteren zu beginnen: Jandecka war in den drei Jahren nach Kriegsende zu einem der profiliertesten christlich-demokratischen Politiker der Tschechoslowakei geworden; unter jenen, die ihn 1948 anklagten und verurteilten, befanden sich mehrere seiner Kommilitonen und Mithäftlinge aus dem Jahre 1939. Und was das erste betrifft, so ist es gar nicht notwendig, zu leugnen, daß es unter den 1939 verhafteten tschechischen Studentenführern auch einige Kommunisten gab, um zu betonen, daß dieses Jubiläum nicht den Kommunisten gehört. Weitaus die meisten der Verhafteten und Hingerichteten waren keine Kommunisten.

Heute, dreißig Jahre später, kann man sich nicht des Eindruckes erwehren, daß die sogenannte „freie Welt“ wenig hinzugelernt hat. Als die tschechischen Kommunisten 1968 ihrer Ideologie ein menschliches Antlitz aufsetzen wollten, jubelte man ihnen im Westen zu - nicht etwa, weil sie sich vom Marxismus-Leninismus zu befreien beabsichtigten, sondern weil der Westen am Kommunismus endlich auch Humanes entdecken konnte. Daß das tschechische Experiment - und zwar gewiß nicht zufällig - mißlang, scheint nur wenige beeindruckt zu haben. Seit der sowjetischen Invasion sind es bald zehn Jahre her; dennoch wimmelt es an westeuropäischen Universitäten, bei Studienseminaren und in verschiedenen Diskussionssymposien von Prominenten tschechischer Herkunft, die ihren Neokommunis-mus und Nobelsozialismus als die einzige mögliche Alternative zu den moskauhörigen Regimen nicht nur der Tschechoslowakei, sondern aller Volksdemokratien verkünden. Immer noch ist die Unke Exilprominenz - und es sind dies die einzigen tschechischen Emigranten der Jahre nach 1968, die im Westen Beachtung fanden -, davon überzeugt, daß sie, ausgestattet mit dem Segen von Karl Marx, die einzigen Träger der „historisch-materialistischen Wahrheit“ seien und daß den anderen nichts anderes übrigbleibe, als ihnen bewundernd zu applaudieren. Ohne es zu bemerken, dienen sie der Partei, die sie erzogen und abgerichtet hat.

In Wirklichkeit haben aber nach 1968 Tausende Tschechen ihr Land verlassen, weil sie Christen, Demokra-1 ten und überzeugte Anti-Kommunisten waren und für diese ihre Uberzeugungen auch hatten büßen müssen, oft mit vielen Jahren in Konzentrationslagern. Was diejenigen betrifft, die in der Tschechoslowakei geblieben sind, so berichtete erst kürzlich ein tschechischer Historiker anläßlich seines Besuches im Westen, das tschechische .Volk sei antikommunistisch und die Arbeiterklasse gar antisozialistisch geworden. Die scheinbare Ruhe in der Tschechoslowakei trüge. Das Land erinnere an einen Kessel unter Hochdruck, für dessen Sicherheitsventile es keinerlei Garantie gebe.

Es ist an der Zeit, daß sich jene Tschechen artikulieren, die an eine christliche und demokratische Alternative in ihrem Lande glauben - einem Lande, das immerhin Jahrhunderte hindurch das christliche Herzstück des europäischen Kontinents war. Die christlich orientierten demokratischen Parteien Westeuropas könnten in einer solchen tschechischen Exilbewegung einen kaum zu unterschätzenden Partner gewinnen. Die Zusammenarbeit mit den genannten Emigranten dürfte wesentlich unproblematischer sein als jene der Amerikaner mit den verschiedenen Exilgruppen der fünfziger Jahre. Im Gegensatz zur Emigration von 1948 und den kommunistischen Emigranten der Jahre nach 1968 liegt den erwähnten Tschen an keiner „Exilpolitik“; sie sind frei von Rückkehr- oder Restitutionsgedanken.

Den Tschechen, die wir meinen, fällt es allerdings nicht leicht, sich zu artikulieren. Sie sind über alle Länder Europas, ja über die ganze Welt zerstreut. Sie sind von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht „prominent“. Wer konnte denn schon, ohne Kommunist zu sein, nach 1968 die Tschechoslowakei als Akademiker verlassen? Und wer konnte sich Gehör verschaffen, wenn er nicht zu den Kämpfern zwar um ein menschliches Antlitz, aber eben doch des Kommunismus gehörte?

Vor wenigen Tagen trafen sich in München fünf Tschechen. Die einen kamen aus der Schweiz, die anderen aus Paris. Was sie einte, war die Uberzeugung, daß nun endlich auch jene Tschechen zu Wort kommen müßten, denen es, nur und allein darum geht, daß in den geschichtlichen Ländern Böhmen und Mähren wieder Demokratie herrsche - und zwar eine Demokratie, die aus den christlichen Traditionen des Landes hervorgeht. Nach langem Suchen fanden sie für sich den Titel: „Communio Nova Bo-hemica“; nicht die Tschechoslowakei, nicht Exilpolitik, nicht die Parteipolitik westeuropäischer Staaten, sondern allein die Sache Böhmens liegt ihnen am Herzen. Eine Sache, die allerdings bei der derzeitigen Konstellation Europas nicht unpolitisch bleiben kann. Weswegen die fünf im Frühjahr eine internationale Tagung über die Illusionen von Helsinki und die Chancen von Belgrad planen - Chancen, die im vorhinein vertan wären, wenn im Westen Politiker fortfahren würden, immer nur.die kommunistischen Regime als ihre Gesprächspartner anzusehen.

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