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Warum sind wir dagegen?

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Was wissen Eltern und Lehrer bei einem zehnjährigen Kind? Sicherlich bei manchen Kindern zu wenig, unbestreitbar ist die Entscheidung mit zehn Jahren für manche Kinder zu früh - ihnen muß geholfen werden, ihnen soll auch bei einer späteren Entscheidung die Auswahl offen bleiben. Hier gehen wir voll konform.

Aber zeigt nicht die Tatsache, daß „weniger als die Hälfte” aller Erst- klassier bis zur Matura kommt, daß für diese zehntausende von Kindern die frühe Entscheidung doch die richtige gewesen ist? Warum muß man dann auch bei ihnen zögern? Warum soll man sie weitere vier Jahre „aufs Eis legen”, statt ihnen schon in früheren Jahren mehr abzuverlangen, als man ihren noch nicht so früh „erkannten” Jahrgangskameraden abverlangen kann? Sie sind nicht jene, die (oder deren Eltern) über die „Überforderung” in der Schule klagen. Ihnen kann aber doch in der Gesamtschule auch in den ersten Leistungsgruppen nicht mehr geboten werden, als dem Durchschnitt ihrer Klassenkameraden.

Nochmals: „weniger als die Hälfte” - spricht dies wirklich gegen das durchlaufende Gymnasium?

Rechnen wir jene ab, die nur in die Unterstufe der AHS geschickt werden, um später in eine berufsbildende Schule überzuwechseln, oder jene, die von vornherein die Unterstufe der Hauptschule vorziehen, ohne die Absicht haben, länger als sie müssen, in die Schule zu gehen - dann sieht das Verhalts nis schon anders aus. Es wäre aber nicht die Aufgabe des Gymnasiums, Ersatz für die Hauptschule zu spielen.

Findet wirklich nicht jeder Schüler die ihm entsprechende Schulgattung? Wenn nicht - dann doch nicht deswegen, weil das Schulsystem zu wenig Durchlässigkeit böte oder die Auffächerung nicht groß genug wäre. Dann liegt es doch wohl an der Schulbahnbera- tung. Deswegen aber das Schulsystem ändern wollen, hieße doch wohl, das Kind mit dem Bad ausschütte n.

Ob die Gesamtschule wirklich alle „regionalen, sozialen und Fähigkeitssackgassen” beseitigen kann, scheint nach den jüngsten deutschen Untersuchungen zweifelhaft. Daß die Leistungsgruppen „allen” die bestmögliche Förderung angedeihen lassen, sei zunächst akzeptiert - aber das können sie auch, wenn sie als Unterrichtsprinzip in einer neugeformten Hauptschule eingesetzt werden. Ihr Verdienst, früher übliches Repetieren wegen eines „verpatzten” Faches überflüssig zu machen, sei anerkannt (Daß dieser Mißstand auch ohne Leistungsgruppen durch entsprechende Erlässe beseitigt wurde, sei nur am Rande erwähnt).

Die als Stein des Anstoßes so oft bemühte „Duldung des lernunfähi- gen Professorensohnes” — ist sie wirklich wert, ihretwegen ein bewährtes Schulsystem umzustoßen (ohne Garantie, daß es im neuen solches nicht mehr gäbe)? Welches System ist so konstruiert, daß es nicht in Extremfällen zu Steinen des Anstoßes käme? Jener Fall „in der guten alten Kaiserzeit” war sicherlich nicht der einzige - aber wir sollten uns doch endlich klar werden, daß ein bildungsbewußtes Elternhaus einen zu wichtigen - auch volkswirtschaftlich belegbar wichtigen - Faktor darstellt, als daß wir es uns leisten könnten, auf seine Mithilfe in der Erziehung der Jugend - auch durch entsprechenden Einfluß auf den Schulweg - zu verzichten, nur um jene Extremfalle unberechtigter „Bevorzugung” auszuschalten. Ist da nicht doch der Neidkomplex im Spiel?

Hier aber liegt meiner Meinung nach der bisher bewußt verschleierte Kern des Problems: Ziel ist die unter dem Schlagwort der „sozialen Koedukation”angestrebte Aus-; Schaltung aller jener eigenständigen Kräfte, die dem Kollektivdenken der Sozialisten entgegenstehen, die getarnte Einheitsschule. Der Tarnumhang der Leistungsgruppen kann sehr brauchbar sein, wenn man ihn entideologisiert und dort verwendet, wo er richtig am Platz ist.

Die englische „Comprehensive school” schließlich - mit jenen Musteranstalten, wie sie Dr. Di- wisch schildert, werden sich unsere Gesamtschulen selbst bei einer gigantischen Steigerung des Bildungsbudgets nie vergleichen lassen, viel eher aber mit jenen Internaten oder Halbinternaten, die heute bereits ein ähnliches Angebot vorweisen, etwa das Theresianum oder Kalksburg. Die Gesamtschule aber wäre der Normalfall des österreichischen Schulsystems „anno SPÖ” - ohne daß sie auf 1500 Schüler 100 Lehrkräfte und Erzieher einsetzen könnte. Bei einem Schlüssel von 1 zu 15 abeil’ könnte sich wohl jede weitere Schulreform erübrigen.

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