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Warum verlassen die Menschen die Kirche?
Warum verlassen die Menschen die Kirche? Was sind die Gründe für die Jahr für Jahr weiter ansteigenden Zahlen in der Austrittsbewegung, mit der so viele Österreicher einen Schlußstrich unter ihre, meist schon seit Jahrzehnten nur mehr schwache Beziehung zur katholischen Kirche ziehen? Die Katholische Medienakademie lud zwei Dutzend von Redakteuren und Mitarbeitern österreichischer Ta-ges-,und Wochenzeitungen zu einem Fortbildungsseminar nach St. Pölten, um diesem Problem nachzugehen.
Dreimal in den zurückliegenden 60 Jahren hat die Kurve der jährlichen Kirchenaustritte eine steile Spitze nach oben gezogen: Zweimal in den zwanziger Jahren, als die damals Tiart antiklerikal agierenden Sozialisten ihre Kirchenaustrittsbewegungen propagierten, dann noch stärker in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Systems. Die um 1935 und nach 1945 einsetzenden Rückkehrbewegungen machen deutlich, daß das Pendel wieder zurückschlug, als sich der politische Einfluß verlagerte. Seit der Mitte der sechziger Jahre aber zeigt die Kurve langsam, aber stetig nach oben.
Der Direktor des Instituts für kirchliche Sozialforschung, Hugo Bogensberger, detaillierte diese Bewegung: Mehr als 100.000 Menschen haben in den letzten fünf Jahren die Kirche verlassen. Fast ein Drittel von ihnen stand im Alter zwischen 30 und 50 - jeder zweite war mehr als 50 Jahre alt. Die Pensionisten stellten mehr als ein Viertel. Drei von vieren haben sich in ihrem Leben nie mit religiösen Fragen befaßt - aber nur 15 Prozent meinten, es gebe keinen Gott.
60 Prozent der befragten Ausgetretenen gaben als Grund den Kirchenbeitrag an - und dieser Anlaß steht auch stets im Mittelpunkt, wenn über dieses Thema diskutiert wird. Bischof Franz Zak verteidigte beim abendlichen Rundgespräch die Notwendigkeit, notfalls auch mit gerichtlicher Hilfe säumige Beitragspflichtige zum Zahlen zu veranlassen, auch wenn ein Verzicht auf Exekution nur geringe Ausfalle brächte. Pfarrer Norbert Rodt von Wien-Gersthof demonstrierte die Schwierigkeiten des Seelsorgers, der sich bemühen muß, im nachgehenden Gespräch die negativen Wirkungen der Mahnung wieder auszugleichen.
Aber alle waren sich einig, daß der Kirchenaustritt nur die Spitze des Eisberges darstellt, nur das abrupte Ende einer meist langandauernden Entwicklung.
Der Passauer Religionssoziologe und Pastoraltheologe Paul Zulehner definierte den Begriff „Kirchlichkeit“ als „Austausch zwischen der Lebenswelt der Menschen und der Kirche“. Der Austritt ist dann nur mehr die Veröffentlichung einer bereits seit langem abgebrochenen Beziehung. Für viele Menschen aber, die schon als Kinder getauft wurden, später jedoch keine echte
Verbindung zur Kirche mehr gefunden haben, hat es gar keinen wirklichen „Eintritt“ in die Kirche gegeben.
Die tiefgreifenden Änderungen im Wertgefüge der Gesellschaft haben auch den gesellschaftlichen Standort der Kirche verändert. Dies wieder wirkt sich der gewandelten Teilnahme der Menschen an Glauben und Lehre ihrer Kirche aus. Die Folgen sieht man im Abnehmen religiöser Berufe, im Schrumpfen der kirchlichen Organisationen, im lautlosen Auswandernder Jugend aus der Kirche, in 25.000 Kirchenaustritten pro Jahr.
Aber es gibt auch Anzeichen, die Mut machen, meinte Prof. Zulehner. Neben der Entchristli-chung beobachten wir einen Vorgang der Verdichtung, der Kristallisation von Kirchlichkeit. Erneuerte Liturgie, Laienapostolat, Wiederentdeckung der Gemeindeidee, Neuerwachen der Kirchenidee lassen hoffen, daß auch in Österreichs Kirche wieder Leben und Zukunft einziehen.
Die Gemeinden entdecken die Auswahlchristen. Sie versuchen, den alten Fehler nicht zu wiederholen, daß immer nur jene be-. kehrt werden, die schon bekehrt sind.
Die Kirche kann sich bei der Erfüllung ihres Auftrags nicht mehr auf eine geschlossen christlichkirchliche Umwelt verlassen. Staat und Gesellschaft garantieren nicht mehr die „Christlichkeit und Kirchlichkeit“ des Menschen. Es gibt aber keinen „Genossen Trend“, der unentrinnbar gegen die Kirche arbeitet.
Die Kirche ist in Österreich so viel, als sie mit Gottes Hüfe durch eigenes Tun zuwege bringt, schloß Zulehner. Das bedeutet aber auch, daß es zu spürbaren Kursveränderungen in den Pastoralen Grundaufgaben kommen muß.
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