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Warum Westen bisher versagen mußte

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Es ist sicherlich kein Trost für die unschuldig Gepeinigten und keine Hilfe für diejenigen, die hilf- und ratlos zuschauen müssen. Aber es ist ein Schritt in die Richtung, in welcher Lösungmöglichkeiten für ähnliche Konflikte für morgen erwartet werden dürfen: Zu erkennen, warum „der Westen" in den Konflikten in und um Bosnien-Herzegowina bisher so hilflos versagte.

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Es ist sicherlich kein Trost für die unschuldig Gepeinigten und keine Hilfe für diejenigen, die hilf- und ratlos zuschauen müssen. Aber es ist ein Schritt in die Richtung, in welcher Lösungmöglichkeiten für ähnliche Konflikte für morgen erwartet werden dürfen: Zu erkennen, warum „der Westen" in den Konflikten in und um Bosnien-Herzegowina bisher so hilflos versagte.

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Das erklärt der Regensburger Staatsrechtler Otto Kimminich in einer sehr nüchternen, aber überzeugenden Weise: Das Versagen liegt in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung, des Lernprozesses auf dem Gebiet, welches die dafür notwendigen Institutionen schaffen muß, ohne welche keine menschliche Gesellschaft - wo und wann auch immer - imstande ist, zwischenmenschliche Probleme zu bewältigen.

Otto Kimminich sieht das Hauptproblem in der Zwischenphase, in welcher die richtigen Konsequenzen aus dem völkerrechtlichen Gewaltverbot noch nicht gezogen sind. Das Gewaltverbot zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte hat den souveränen Staaten dasjenige Mittel der Rechtsdurchsetzung genommen, dessen sie sich während der gesamten Dauer des klassischen Völkerrechts in erster Linie bedienten. Daß dieses wegen seines abschreckenden Effekts auch mäßigend und daher friedenserhaltend wirkte, erwähnt Kimminich der Vollständigkeit halber am Rande. Der Prozeß des Abbaus der Gewalt im internationalen Bereich ist jedoch nicht mit dem Aufbau friedlicher Mittel der Streitbeilegung synchronisiert worden.

Durch dieses Auseinanderklaffen der Rechtsentwicklung entsteht eine Grauzone, in welcher der internationale Rechtsbrecher einen Vorteil zu genießen scheint, ja geradezu zu Rechtsbrüchen angeregt wird, weil er hoffen darf, daß die Unsicherheit über das Gewaltverbot wirksame Reaktionen auf seine Untaten verhindert oder zumindest verzögert.

Von einer solidarischen Weltordnung ist ein Völkerrechtssystem, das an sich kulturgeschichtlich erst dreieinhalb Jahrhundert jung ist, und das sich in diesem Entwicklungszustand befindet, derzeit noch weit entfernt. Wer zu dieser Erkenntnis gelangt ist, kann leicht verzweifeln.

Einerseits wird das Gewaltverbot mit Recht als der entscheidende Fortschritt in der großen Wende vom klassischen Völkerrecht zum „Völkerrecht der Zusammenarbeit" gesehen, das die Vorstufe für eine solidarische Weltordnung sein könnte. Andererseits scheint es so, als würde das Gewaltverbot eben diese Fortentwicklung dadurch behindern, daß es zur Desintegration der Rechtsgemeinschaft, zur Mißachtung des Rechts beiträgt (Seite 10).

Auch Marijan Valkovic, Professor für Moraltheologie und Christliche Soziallehre in Zagreb akzeptiert in seinem Beitrag „Recht, Gewalt und Friede - Beispiel Jugoslawien" den „Mangel im europäischen Recht in Bezug auf Konflikte innerhalb der Staaten und demzufolge den harten und langdauemden Widerstand Serbiens und des Rumpfpräsidiums Jugoslawiens gegen jede Einmischung und Intervention von außen" als Gründe für das verspätete Eingreifen internationaler Instanzen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien (Seite 55).

Erst seit wenigen Jahrzehnten beginnt das Recht der einzelnen Menschen in das Völkerrecht als Rechte und Pflichten der einzelnen Staaten einzufließen. Und doch stößt selbst die Organisation internationaler Katastrophenhilfen immer noch auf Begrenzungen, die durch die Souveränität der Staaten und das darauf begründete Interventionsverbot (Satzung der Vereinten Nationen) gezogen sind.

Aus diesem Dilemma sieht Kimminich nur einen Ausweg: Die Souveränität muß bewußt weiter zurückgedrängt werden. Man kann nicht darauf vertrauen, daß die Tendenzen des Souveränitätswandels, die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges zu beobachten sind, automatisch eine neue Weltordnung hervorbringen, die eines Tages mit vollem Recht als eine solidarische Weltordnung bezeichnet werden kann. Es ist die schon vor Jahrzehnten erhobene Forderung zu unterstützen, das Völkerrecht von einem Recht der souveränen Staaten zu einem Recht der Menschheit weiterzuentwickeln (Seite 14).

Selbst wenn die vom Kimminich geforderte Entwicklung des „learning by doing" in Quantensprüngen vor sich geht, gibt es andere Errungenschaften der Rechtsentwicklung mit einem hohen Eigenwert, die die Umsetzung zusätzlich bremsen: daß alle institutionellen Maßnahmen zur Erhaltung und erst recht zur Schaffung des Friedens - wann und wo immer - rechtsstaatlich legitimiert und demokratisch akzeptiert sind. Leidenschaftlichkeit des Engagements und der Empörung über das provozierende Fehlverhalten einzelner Akteure können und müssen eine solche Entwicklung vorantreiben, sie können sie aber nicht ersetzen.

Der ebenso informative wie auch engagierte sachrealistische Kimminich-Beitrag „Neue solidarische Weltordnung" leitet die Festschrift zu Ehren von Valentin Zsifkovits ein, die der Autor mit seinen Freunden Alfred Klose und Leopold Neuhold unter dem programmatischen Titel „Mit Realismus und Leidenschaft. Ethik im Dienste einer humanen Welt" ganz auf das Profil des ebenso verdienstvollen wie persönlich sympathischen Grazer Sozialethikers und Schülers Johannes Messners abgestellt haben.

Die über 40 Artikel eines Kreises namhafter internationaler Wissenschaftler und Persönlichkeiten aus Kirche, Politik und Publizistik behandeln brandaktuelle Probleme der menschlichen Gesellschaft, von der internationalen Friedenssicherung bis zur medizinischen Ethik und zum Mindestlohn, rezente Probleme in Süd-Osteuropa und zum Dienst der Katechese an der Gesellschaft in vorbildlich kurzen und dichten Beiträgen, die manche übliche Meinung über Festschriften als unbegründetes Vorurteil erscheinen lassen.

MIT REALISMUS UND LEIDENSCHAFT. Ethik im Dienst einer humanen Welt. Valentin Zsifkovits zum 60. Geburtstag. Hg. von 0. Kimminich, A. Klose, L. Neuhold. A. Schnider Verlags-Atelier, Graz 1993. 480 Seiten, öS 350,-.

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