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Was aus dem Zeltlager Jan Žižkas wurde

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Aus dem Zeltlager wurde eine Festung, alis der Festung eine Stadt. Und benannt ist sie nach dem neutestamentlichen Berg der Verklärung: Tábor (Tábor).

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Aus dem Zeltlager wurde eine Festung, alis der Festung eine Stadt. Und benannt ist sie nach dem neutestamentlichen Berg der Verklärung: Tábor (Tábor).

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Um Tábor über die Jahrhunderte hinweg zu verstehen, sollte man gleich bei der Ankunft das Hussiten-Mu- seum (am Žizkova nämestf) aufsu¬chen. Ein Name ist dort allgegenwär¬tig: Jan Žižka.

Antonin Sova schrieb einmal: „Zwar bist du arm, Land am Tábor, doch bis zum Tod gehört dir meine Liebe... Klein sind die Städte, schon zerfallend und versteckt in Neben- wäldem, drin das Zwielicht geistert, die Mauern eingestürzter Burgen winken, in jedem Winkel schlum¬mert Žižka Ruhm.“

Das Hussiten-Museum (Muzeum hu sits kėho revolučniho hnutf v Tábore) befindet sich an der Westseite des Žižka-Platzes im ehemaligen Rat¬haus (1440-1521), außen in der Re¬naissance erweitert und neugotisch umgestaltet, im Inneren noch gotisch

mit einem prachtvollen Ratssaal, der über zwei Geschoße geht, im Erdge¬schoß ein plastisches Stadtwappen von Tábor, eingerahmt mit den Statuetten von Jan Hus, Jan Žižka, Prokop dem Großen, Hieronymus von Prag sowie Adam und Eva (als Symbol für die hussitische Sekte der Adamiten) aus dem Jahre 1516. Durch die Ausstel¬lung wird man stets von dem Banner der Hussiten, einmal mit dem roten Kelch auf weißem Grunde, dann wiederum mit dem goldenen Abend¬mahlkelch auf rotem Grunde, beglei¬tet (im Museum deutsche Führung sporadisch, ein schriftlicher Kurzfüh¬rer, viersprachig, ist aber vorhanden).

„Die Stadt steht auf einem ebenen Vorsprung über Abhängen und Ge¬wässern und ist mit einer doppelten, mit vielen Thürmen versehenen Mauer umgeben (zu einem großen Teil noch im Originalzustand erhalten; Anm. d. Verf.). In der Stadt gibt es keine regel¬mäßigen Gassen, sondern wo jeder

zufällig zuerst sein Zelt aufschlug, dort erbaute er sich später ein Haus... Die einen ernähren sich mit Woll- und Flachsweberei, die anderen mit Han¬del. Ihre Priester tragen keine Platte und scheren sich auch nicht den Bart, die Gemeinde schafft ihnen Nahrung und Getränke nach Bedarf ins Haus und steuert je auf einen Kopf monat-lich ein Schock Groschen bei... Jeder kann in Tábor glauben, was ihm be¬liebt. Es gibt dort auch Nikolaiten, Arianer, Manichäer, Nestorianer, Armenier, Waldenser, die Hauptfein¬de des römischen Stuhls.“ Soweit ein Situationsbericht aus dem Jahre 1451, verfaßt von Aeneas Silvius Piccolo¬mini, dem späteren Papst Pius II.

Diese Zeilen entstanden rund 17 Jahre nach der Niederlage der radika¬len Hussiten gegen die gemäßigten Utraquisten, die zwar das Horrorsze¬nario der Hussitenkriege beendet, einen großen Teil Mitteleuropas je¬doch für lange Zeit verändert hatte.

Begonnen hatte alles 1420, fünf Jahre nach der Hus-Verbrennung am Kon¬stanzer Konzil.

Wohl war der Neustädter Fenster¬sturz (30. Juli 1419, das war der erste Prager Fenstersturz) der letzte Trop¬fen, der das Faß der Ungeduld zum Überlaufen brachte: Bei der Burg Kotnov (Burgrest heute noch im Stadt¬gebiet von Tábor, Anm. d. Verf.) versammelten sich einige tausend Gläubige unter der Fahne des Kel¬ches, um von dem Ort aus, den sie nach dem neutestamentarischen Berg der Verklärung „Tábor“ nannten, gegen Kaiser und Kirche öffentlich aufzutreten. An ihrer Spitze stand der aus niederem Adel stammende Jan Žižka von Trocnov, ein glühender Anhänger der Lehre des Magister Hus und darüber hinaus ein perfekter Kriegsmann und Heerführer.

Nur von der Pest „besiegt“

Er führt die Hussiten in einem bei¬spiellosen Feldzug von Sieg zu Sieg. Es waren ihm allerdings nur wenige Jahre vergönnt, aber diese hatten es in sich. Im Jahre 1420 schlug er die Kaiserlichen - trotz großer Übermacht - bei Prag und 1422 bei Deutsch- Brod. Anläßlich der Belagerung der Burg Raby bei Horaschdowitz (süd¬lich des Wottawa-Tales), traf ihn ein Pfeilschuß in das linke Auge und er wurde fortan nur der „Einäugige“ genannt. Er eroberte Komotau, ver¬trieb die Deutschordensritter und brannte Stadt und Kommende nieder. Trotz seiner Grausamkeiten wurde er überall von den Tschechen, egal ob Hussiten oder nicht,, als Befreier und Held gefeiert.

Jan Žižka von Trocnov blieb unbe¬siegt: im Jahre 1424 nahm ihm der Schwarze Tod das Schwert aus der Hand, der „Einäugige“ starb an der

Pest. Und wurde in der Kathedrale „Zum heiligen Geist“ in Königgrätz beigesetzt, später exhumiert und nach Prag-Žižkov überführt.

Wer Tábor besucht, kann sich auch heute nicht dem Geiste Jan Žižkas entziehen. Allzu lebendig ist hier die Geschichte. Angefangen von den Katakomben und unterirdischen Gängen an der Westseite des früher kreisförmigen Žižka-Platzes, von dem die Straßen - neun an der Zahl - strahlenförmig bis zur Stadtmauer ausgehen, immer wieder von Seiten¬gassen unterbrochen, die eine Besich¬tigung der Stadt ohne Zuhilfenahme eines Stadtplanes sehr beschwerlich machen. Bevor man an die Erfor¬schung des historischen Kernes von Tábor geht, sollte man noch unbe¬dingt eine Blick in die Stadtpfarrkir¬che der Verklärung Christi (Chräm Promšnčnf Krista Päna) werfen, mit einem der schönsten Diamantgewöl¬be über dem Chor.

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