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WAS BEDEUTET OFFENTLICHKEITSRECHT?

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Zehn Prozent der österreichischen Schüler erfüllen ihre Schulpflicht an Privatschulen oder verfolgen ihre speziellen Ausbildungswünsehe an diesen: Und die Erzienungsberechtigten sind je nach Betreuungsangebot bereit, dem Schulerhalter ihrer Privatschule seine Leistungen durch Schulgeld zu honorieren. Ökonomische Belange der Privatschulen sind - im Gegensatz zur pädagogisch-curricu-laren Planung und Weiterentwicklung, die zum Großteil mit den öffentlichen Schulen konform läuft - jener Bereich, der für manche Erhalter die Existenzfrage aufwirft und solcherart natürlich die Institution Privatschule an sich in Frage stellt.

Diesbezüglich zeigt sich auch eine markante Trennlinie innerhalb der österreichischen Privatschulszene: Aufgrund des Privatschulgesetzes 1962 genießen konfessionelle Privatschulen (Schulen gesetzlich anerkannter Kirchen oder Religionsgesellschaften) Rechtsanspruch auf Finanzierung des gesamten Lehrerpersonalaufwandes, zum Großteil durch Zuweisung von Lehrern, die in einem Dienstverhältnis zum Bund oder Bundesland (bei privaten Pflichtschulen) stehen. Nichtkonfessionelle Privatschulen dürfen nur fallweise auf diese staatliche Finanzierungsweise rechnen, die in Anbetracht der Budgetsituation faktisch eingefroren werden mußte.

Stichwort: Knappheit der Lehrerplanstellen. Letztlich trifft diese staatliche Finanzierungsabstinenz die Eltern der Schüler dieser Privatschulen durch Festsetzung entsprechender Schulgelder. Es gab bereits einzelne Versuche, dies zu ändern. Den Schulerhaltern der nichtkonfessionellen Privatschulen ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, die von ihnen behauptete Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Förderung der konfessionellen und nichtkonfessionellen Privatschulen beim Verfassungsgerichtshof erfolgreich zu bekämpfen. Die juristische Rechtfertigung dieses Unterschieds liegt in der Tatsache der Interkonfessionalität der öffentlichen Schule und der verfassungsrechtlichen Garantie der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Staat habe im Rahmen der schulischen Bildung die weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen der Eltern sicherzustellen; er tut dies eben durch die besondere Förderung jener Privatschulen, die raquo;die religiöse Erziehung auf konfessioneller Grundlage anbieten.

Mitunter wurden auch Stimmen laut, diese Regelung sei angesichts des im EWG-Vertrag enthaltenen Diskriminierungsverbotes gegenüber EG-Staatsbürgem nicht mehr aufrecht zu erhalten, weil EG-Ausländer bei Errichtung von Privatschulen in Österreich einem Wettbewerbsnachteil ausgesetzt seien, wenn sie mangelnde staatliche Förderung durch erhöhtes Schulgeld kompensieren müssen. Hiebei sollte man nicht vergessen, daß im Hinblick auf das Schulkonkordat 1962 völkerrechtlich eine Änderung des privatschulrechtlichen Förderungssystems nicht geboten ist.

Neue Perspektiven eröffnete den Eltern von Privatschülem der Verwaltungsgerichtshof: Sie können das Schulgeld als außergewöhnliche, zwangsläufige Belastung steuerlich geltend machen, wenn allein diese konkrete schulische Ausbildung den besonderen Fähigkeiten des Kindes entspricht, die zu gewähren die Erziehungsberechtigten rechtlich verpflichtet sind und die durch eine öffentliche Schule in der näheren Umgebung des Schülers nicht angeboten wird (zum Beispiel: AHS-Langform). Schüler von Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht haben einen Rechtsanspruch auf die sozio-ökonomischen Förderungen wie Schul- und Heimbeihilfe, Gratisschulbücher und Schülerfreifahrten, wobei die speziellen gesetzlichen Voraussetzungen (Staatsbürgerschaft, Notendurchschnitt et cetera) erbracht werden müssen.

Sind Privatschulen hinsichtlich ihres Bildungsangebotes und der daraus abgeleiteten Abschlüsse und Berechtigungen ohnedies nur Doublet-ten der öffentlichen Schulen mit dem Unterschied, daß sie eben von anderen als den gesetzlichen Schulerhaltern - Gemeinden und Länder im Pflichtschulbereich, der Bund im weiterführenden Schulwesen-errich-tet und erhalten werden? Oder sind sie doch wesentliche Ergänzungen des öffentlichen, staatlichen Schulwesens mit eigenständigen Bildungszielen, Inhalten und Methoden, somit autonome Inseln in der zentral gestalteten staatlichen Schullandschaft?

Zunächst ist festzuhalten: Sämtliche Privatschulen unterliegen der staatlichen Schulaufsicht, die vor allem das Erreichen der Ausbildungsziele im Wege pädagogischer Überprüfungen und Beratungen sicherstellen soll. Privatschulen ist außerdem das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Verleihung des Öffentlichkeitsrechts eingeräumt. Dessen Auswirkungen und Rechtsvorteile richtig einzuschätzen setzt voraus, zwischen folgenden Kategorien von Privatschulen zu unterscheiden: □ Privatschulen, die das Recht eingeräumt erhielten, eine gesetzlich geregelte Schulart zu führen (zum Beispiel Volksschule, Hauptschulc, Gymnasium, Höhere Lehranstalt für Fremdenverkehrsberufe et cetera). Somit ist es rechtlich möglich und praktisch vielfach realisiert, daß ein privater Schulerhalter (Verein, Stiftung, Orden, Diözese) eine Schule betreibt, bei der völlige Identität zur öffentlichen Schule besteht, was Lehrpläne, Bildungsziele und Ausbildungsstandard der Lehrer anlangt. Ist eine solche Schule im Besitz des Öffentlichkeitsrechts, ist sie berech-, tigt, die gesetzlich vorgesehenen Prüfungen (etwa Reifeprüfung) abzuhalten; ihre Zeugnisse sind mit den Zeugnissen der gleichnamigen öffentlichen Schule rechtlich gleichgestellt.An einem konkreten Beispiel festgemacht bedeutet dies: Nur an einem privaten Gymnasium mit Öffentlichkeitsrecht ist die Durchführung einer Reifeprüfung zulässig und daher darf es auch seinen erfolgreichen Absolventen ein Reifeprüfungszeugnis wie jedes öffentliche Gymnasium ausstellen. Die Privatschulen mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung garantieren auch schulrechtlich eine umfassende Mobilität der Schüler, weil ein Wechsel an eine gleichartige öffentliche Schule ohne zusätzliche Prüfungen gewährleistet ist. Der Staat ist verpflichtet, das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen, wenn die Schulbehörde feststellt, daß der gleiche Unterrichtserfolg wie an einer entsprechenden öffentlichen Schule erreicht wird. Dieses eben dargestellte System gilt gleichermaßen für alle gesetzlich geregelten Schularten, die insbesondere im Schulorganisations-gesetz definiert sind. □ Neben diese erste Kategorie treten jene Privatschulen, die im öffentlichen Schulwesen keinerlei Entsprechung finden. Die Aufgabe der Schule, ihre Bildungsziele, Lehrinhalte, ihr innerer Betrieb, die Anforderungen an ihre Lehrer, etwa auch das System einer weitgehenden Selbstverwaltung bis hinein in den ökonomischen Bereich unter weitgehender Einbindung der Eltern der Schüler, legt der Schulerhalter in einem sogenannten „Organisationsstatut" fest, das die Schulbehörde genehmigt oder auch modifiziert und das auch den pädagogischen Maßstab für die Verleihung des Öffentlichkeitsrechts für diese Art der Privatschulen („Alternativschulen", „Freie Schulen", zum Beispiel Waldorfschulen, Rudolf-Steiner-Schulen für den Pflichtschulbereich) bildet.

Im Hinblick auf die Unvergleichbarkeit dieser privaten „Statutschulen" mit den öffentlichen Schulenmüssen auch die Rechtswirkungen ihres Öffentlichkeitsrechts eingeschätzt werden. Zeugnisse dieser Privatschulen sind zwar öffentliche Urkunden, in denen der Staat garantiert, daß der Schüler die Ausbildung absolviert, die der Privatschulerhalter autonom gestaltete, aber mehr kann dieses Öffentlichkeitsrecht nicht bedeuten. Schüler solcher Privatschulen können zwar ins öffentliche Schulwesen umsteigen, treffen dort jedoch auf andere Lehrpläne, Unterrichtsinhalte und Arbeits- und Leistungsbeurtei-lungsformen. Sie mußten bislang eine Reihe von Einstufungspriifungen nach dem für sie neuen Lehrplan der öffentlichen Schule absolvieren, um aufgenommen werden zu können. Wollen diese Schüler den Abschluß von öffentlichen Schulen erreichen (zum Beispiel Hauptschulabschluß oder Reifeprüfung), ohne in die öffentliche Schule selbst überzuwechseln, bleibt ihnen nur der Weg, im Rahmen von Externistenprüfungen entsprechende Zeugnisse zu erwerben.

Ein Schulwechsel von einer solchen „Alternativschule" in das öffentliche Schulwesen stellte verständlicherweise eine oftmals nicht unerhebliche (psychische) Belastung für Schüler und Eltern dar. Daß der Staat die Arbeit auch dieser Privatschulen grundsätzlich positiv bewertet, zeigt die Bereitschaft, weitgehend auf die Einstufungsprüfungen zu verzichten, wenn die unmittelbare Mitarbeit der vormaligen „Alternativschüler" die leistungsmäßige Integration in die öffentliche Schule erwarten läßt.

Familiäre Bildungsplanung ohne umfassende Information über Bildungsinstitutionen kann nicht sachgerecht und effizient sein; hiebei können die Privatschulen in ihrer vielfältigen Ausprägung und ihrem doch unterschiedlichen rechtlichen Status ein - oftmals auch alternatives - Angebot zur Erfüllung persönlicher Bedürfnisse und Erwartungen sein.

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