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Was beginnen mit dem Tod?

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Wer sich das eigene Leben erschlossen hat, dem wird die Bedeutung des Ablebens auch innewerden. Laotse

Kann Sterben so schwer sein, wenn es den Gedankenlosesten gelingt? Die Gedanken der Weisesten freilich werden mit dem Tod nicht fertig, mit diesem „Trick der Natur viel Leben zu haben“, wie ihn Goethe nennt. In der Tat leben wir alle durch ihn. Er ist es auch, der uns erlaubt, das Leben weiter zu geben. Bewußt oder unbewußt bekennen wir uns alle zu ihm, stekken aber den Kopf in den Sand, wenn wir ihn erblicken. Da wir aber alle mit ihm etwas werden anfangen müssen, stellt sich uns allen auch die Frage: Was beginnen mit dem Tod?

Unseren eigenen Tod betreffend, erscheint diese Frage allerdings paradox. Was soll man schon anfangen können mit dem eigenen Ende? Dagegen besteht beim Tod der andern auch ein anderes Problem: Was er mit uns anfangen wird, wie er uns denken, empfinden und handeln lassen wird, können wir nicht wissen. Er wird es uns sagen und wir können nur gehorchen. Nur beim eigenen Tod sind wir frei. Wir können ihn wählen. Den „sauberen“ Tod natürlich nur, den wir in Gedanken erleiden, den wir also sozusagen „erleben“, nicht aber den „schmutzigen“, der den Bestattungsinstituten gehört, die längst wissen, was mit ihm beginnen.

Die Größten wählten ihren Tod. Sie dachten nicht nur über ihn nach, sondern erdachten ihn sich. Christus nahm ihn aus der Hand des Vaters entgegen, Sokrates aus der des Gesetzes an. Durch den Sinn, den sie dem Tod gaben, unterscheidet sich ihr Weg,'mit ihm etwas anzufangen, von dem Ausweg des Selbstmordes, der Vernunft über das Leben stellt und darum ein Irrtum ist, wie Schopenhauer nachgewiesen hat. Niemals können die Lebensverächter unser Vorbild sein. Doch staunen wir stete die Todesverächter an. Wir zweifeln nicht, daß es die Weisheit ist, die den Weisen festen Schrittes In den Tod gehen läßt, wie Seneca sagt; mögen andere gescheite Leute dies auch leugnen, sei es, weil sie — wer kann es wissen? — ehrlicher oder nur weniger mutig waren als jene. Nichte hören wir lieber, als daß unsere Todesfurcht unbegründet sei Vom dhristlich-sokratischen „Tod, wo ist dein Stachel“ bis zu ähnlichen euphorischen Bemerkungen eines Th. Mann, K. Götz und anderen reicht die Liste der Versuche, den Tod als harmlos hinzustellen.

Immer wird der Tod nur das sein, was wir über ihn denken. Deshalb verwandelt er sich mit dem Alter. Die Jugend — sie kennt, nach Weinheber, vom Tod nur das Wort — denkt wörtlich nach über den Tod. Wort geworden, wird er zum Stimulans ihrer Schrecken erzeugenden Phantasie. Schopenhauer schrieb die Todespredigt seiner Philosophie als Jüngling nieder. Da er es nicht nötig hatte, den wirklichen Tod auf den Schlachtfeldern seiner Zeit kennenzulernen, schrieb er sie auch nie um. Er konnte die Erfahrung nicht machen, daß Defätismus die Kran-heit der Etappe ist, daß die Furcht vor dem Tod mit seiner Nähe schwindet. Der Mensch verabscheut denkend ebenso den Tod, wie er ihn handelnd aufsucht in der Gefahr, die er als Steigerung des Lebens schätzt. Aus der Ferne konnte der Untergang Lissabons in Voltaire dessen pessimistisches Weltbild erzeugen. Aber dieselbe Katastrophe hat manchen zufällig Überlebenden auch vom Dasein eines gütigen Gottes zu überzeugen vermocht, von dem er sich errettet glaubte. Die am meisten wagten, die am erfolgreichsten waren, sie haben den Tod am wenigsten gefürchtet, wie Goethe, wie Einstein. Vielleicht war Schopenhauers Todesfurcht vor allem durch seine Erfolglosigkeit als Philosoph begründet. Vielleicht suchte er sich und uns deshalb einzureden, das menschliche Leben sei auf 100 Jahre zu veranschlagen, während Goethe nach der Vollendung des Faust die ihm noch gegönnte Zeit als ein Geschenk ansah.

Niemals werden wir den Tod eines Menschen wirklich als sinnvoll begreifen können. Wie das Ende der meisten Romane, enttäuscht auch jedes Lebensende, jeder menschliehe Tod. Nicht, weil wir etwa an Stelle des von uns erwarteten Heldentodes nur einen Haustod erlebten oder weil wir sonst einer Täuschung, der wir uns hingaben über den Tod, bei dessen Erscheinen aufgeben müßten, sondern weil das durch den Tod abgeschlossene, vollendete Leben die uns eingeborene Hoffnung, es weiter zu verändern und zu verbessern, nicht mehr zuläßt. „Was einer ißt, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar.“ In diesem schönen Spruch Carossas ist unser aller frommer Wunsch ausgedrückt, daß der Tod dem abgeschiedenen Leben rückwirkend höheren Glanz verleihen möge. Aber, es sind nur schöne Worte, mit denen wir unsere in Wahrheit unerbittliche Gesinnung gegenüber den Toten ebenso zu verbergen suchen, wie durch den Duft der Blumenkränze der Geruch des Todes übertäubt werden soll. De mortuis nil nisi bene! Ja, weil wir sie nicht weiter ernst zu nehmen brauchen, die nicht mehr zu ändern sind.

Seien wir nicht verwundert, weil wir, stets eifrig bemüht, das Rätsel des Lebens aufzulösen, vor dem Rätsel des Todes ratlos stehen, die letzten Dinge bis zuletzt nicht ernst nehmen. So, als hätten wir den Glauben, den wir doch stets verleugnen: Uns kann nichts geschehen! Wenn der Alternde immer weniger dringend nach einer Antwort sucht auf unsere Frage: was anfangen mit dem Tod, dann nur, weil er sie weiß! Nicht wörtlich zwar, doch in der Tat. Wie ihn die tägliche Sättigung satt gemacht, so brachte jeder belebte Tag ihm ein Stück des Todes, lernte er zu sterben durch das Leben. Ja, mit dem Leben kommt der Tod hinein in den Menschen, um ihn im Alter dann ganz auszufüllen. Dem Uralten wird daher der Tod verhüllt sein, wie dem Säugling die Geburt.

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