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Was Breschnew von den Indern will

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Am 8. Dezember wird der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi erwartet. Schon jetzt ist die Stimmung von einem gewissen Unbehagen auf beiden Seiten gekennzeichnet. Diplomatische Andeutungen aus der Sowjet-Botschaft in Delhi lassen denn auch schon erkennen, um welche beiden Streitfragen sich die Gespräche zwischen Breschnew und seinen indischen Gastgebern in erster Linie drehen werden: Kritik Moskaus an Indira Gandhis immer lauer werdenden Forderung nach einer exklusiven „politischen Lösung" des Afghanistan-Problems (also einer Lösung im Sinne der sowjetischen Invasoren): Forderung des Kreml, daß Indien seine Rolle spielt, wenn 1981 zum Krisenjahr im Indischen Ozean werden sollte - ein Besuch von weltpolitischer Bedeutung also.

Die wirtschaftlichen Wünsche Indiens sind dem Anlaß entsprechend groß: Leonid Breschnew kommt im Jahr des zehnjährigen Bestandes des indisch-sowjetischen Freundschaftsvertrages. An diesem zehnten Jahrestag bedarf die indische Wirtschaft mehr denn je der sowjetischen Großzügigkeit.

Doch die wirtschaftlichen Wünsche Neu-Delhis sind in den Hintergrund getreten. Denn die politischen Wünsche des Gastes aus Moskau nehmen mit dem Nahen des Besuches immer mehr den Charakter von Forderungen an. Premierministerin Indira Gandhi weiß noch nicht, ob diese politischen Wünsche erfüllbar sind: der politische Preis,

den Indien dafür zu zahlen hätte, könnte einfach zu groß sein.

Moskau, im Hintergrund von Kuba assistiert, fordert, daß Indien der Verurteilung der sowjetischen Invasion in Afghanistan in der Bewegung der Blockfreien offen entgegentritt. Indira Gandhi soll dafür sorgen, daß sich bei den Blockfreien nicht die Forderung nach einem sowjetischen Truppenabzug aus Afghanistan durchsetzt, sondern die politische Formel der UdSSR - eine Koalitionsregierung - angenommen wird.

Zeitpunkt und Ort für das Auftischen dieser sowjetischen Forderung sind gut gewählt. 1981 wird in Neu-Delhi die planmäßige Konferenz der Außenminister der blockfreien Staaten stattfinden: Hier soll die Tagesordnung des nächsten Plenums der Blockfreien, das 1982 in der irakischen Hauptstadt Bagdad stattfinden soll, besprochen und die Schwerpunkte der Politik der Blockfreien in der Zeit bis zum nächsten Gipfeltreffen festgesetzt werden.

Die festgefahrene Situation in Afghanistan läßt nach Ansicht der Sowjets nur eine „politische Lösung" zu. Moskau ist ohne Zweifel der unerwarteten Last, die es sich mit der militärischen Besetzung dieses Landes aufgebürdet hat, müde: 20 bis 30 Millionen Dollar im Jahr und der gute Wille auch befreundeter islamischer Staaten sind die Kosten, die der Kreml dafür zu zahlen hat.

Die Maliks und Mullahs der unzähligen Pathanenstämme kämpfen todesmutig - doch nur wenn es ihnen gerade paßt. Traditionsgemäß bereichern sie sich an den ausländischen Hilfs- und Waffenlieferungen wo immer es nur geht.

„So kann es noch ein Jahrzehnt weitergehen", meinte der Operationschef der einzigen nationalen Widerstandspartei, „Millet Afgnan", im Exilhauptquartier Peshawar der FURCHE gegenüber: „Afghanistan wird zusehends entvölkert werden, die Schatzhöhlen der Maliks aber werden immer voller."

Und weiter: „Ein antisowjetisches

Kabul wird nie lebensfähig sein. Ein sowjethöriges Kabul aber wird nie den Frieden kennen."

Bleibt so nur die von den Sowjets propagierte politische Lösung? Moskau besteht darauf, daß eine Lösung nur auf dem Weg Uber Gespräche mit seinem Quisling Babrak Karmai gesucht und in einer Koalitionsregierung unter dessen Führung gefunden werden kann.

Der Widerstand aber, gespalten in allen anderen Fragen, ist sich einig in der Ablehnung dieses Staatschefs, der von Sowjetpanzern nach Kabul gebracht wurde und seitdem dort gehalten wird. „Mit dem Teufel können wir sprechen", meinen die Freiheitskämpfer, „mit seinem Höfling aber nicht..."

In dieser komplizierten Situation setzt Moskau seine Hoffnungen auf die Rolle Indiens in der Bewegung der Blockfreien. Indira Gandhi aber trifft keine Anstalten, die Initiative zu ergreifen, ihre Stimme zu erheben. Sie murmelt bestenfalls in sich hinein.

Für Neu-Delhi noch schwieriger zu erfüllen ist die Forderung des Kreml, daß Indien die Initiative im Indischen Ozean ergreift, sollte dort erneut eine kritische Situation aufflammen.

„Chorführer der fast verstummten Anrainer", definierte Mishra, politischer Chefkommentator der kommunistischen Zeitung „Patriot" im Gespräch mit der FURCHE die Rolle, die die Sowjets den Indern in diesem Bereich zugedacht haben.

In allen Führungskreisen der beiden kommunistischen Parteien Indiens hört man: „1981, das Jahr des großmächtefreien Indischen Ozeans". Redakteure des „Patriot" wollen sogar wissen, daß die Sowjets entschlossen sind, das Problem des Indischen Ozeans im nächsten Jahr in ein kritisches Stadium zu treiben.

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Kampagne „großmächtefreier Indischer Ozean" ist freilich der Fall der Sri Lanka-Regierung des amerikafreundlichen Junius Richard Jayawar-dene und dessen Ablöse durch die eher sowjetfreundliche Frau Sirimaro Ban-daranaike. .

Sri Lanka soll 1981 nachvollziehen, was Indien im Jänner 1980 bereits vollzogen hat: die Wiederkehr einer abgewählten Ministerpräsidentin. Moskau läßt in Delhi keinen Zweifel darüber, daß es dem Mitwirken Indiens bei der Ablöse in Colombo höhere Bedeutung beimißt als jedem anderen Problem.

Das Thema „Sri Lanka und der Indische Ozean" wurde von den Sowjets schon beim Besuch des indischen Präsidenten in Moskau angeschnitten. Die Weigerung Präsident Sanjiva Reddys, das Verhältnis zwischen Indien und Sri Lanka in Moskau zu diskutieren, trug wesentlich zur Mißstimmung bei, die den Besuch überschattete. Jetzt wurde von den Sowjets in Neu-Delhi aber angekündigt, daß gerade dieses Thema beim Besuch Breschnews im Dezember hohen Stellenwert haben werde.

Indira Gandhis Haltung ist nicht klar 'erkennbar. Im Frühjahr dieses Jahres gab sie bei einem Besuch Frau Banda-ranaikes in Neu-Delhi ihre Sympathien und ihre Verbundenheit mit der Kollegin aus dem Süden bekannt. Indira Gandhi, die ihre Wiederkehr an die Spitze der Regierung in Indien eben erwirkt hatte, bot die helfende Hand.

Doch das geschah ziemlich freiwillig und mehr aus tatsächlicher Sympathie denn auf Geheiß Moskaus. In Indira Gandhis Umgebung weiß man nicht, wie die Ministerpräsidentin Indiens reagiert, wenn Moskau nun fordert, was sie freiwillig zu bieten bereit war.

Bleibt sich Indira beim Breschnew-Besuch treu, müssen die Sowjets mit einem harten Brocken rechnen. Den Freundschaftsvertrag schloß Moskau 1971 mit einer erfolgreichen Indira Gandhi, die gnädig nahm und gnädig gab. Zum 10. Jahrestag des Vertrages wird Breschnew eine Indira Gandhi vortreffen, die mit Nägeln und Zähnen um ihre Existenz, aber auch um ihre Unabhängigkeit kämpft.

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