7015371-1988_24_12.jpg
Digital In Arbeit

Was bringt das Festival?

Werbung
Werbung
Werbung

Unter dem Motto „Ganz Niederösterreich ist Bühne** präsentiert das Donaufestival Niederösterreich heuer erstmalig eine Reihe von über fünfzig zeitgenössischen Kulturveranstaltungen aus den Bereichen Musik, Theater, Literatur und Film, sowie Ausstellungen, Wettbewerbe und Symposien. Der fünfwöchige Veranstaltungsmarathon hat das Ziel, das traditionsreiche Kernland Österreichs an die Ansprüche des modernen, internationalen Kunstbetriebes anzugleichen, und die Austauschformen zwischen lokalem und regionalem Kulturgeschehen einerseits und den gegenwärtigen, übernationalen Kulturerscheinungen andererseits zu verstärken.

Dabei sind sehr vielseitige Resultate zu erwarten. Diese könnten beispielsweise durch die Veranstaltung avantgardistischer Kunsthappenings im kleinstädtischen, absolut „kunstlosen“ Milieu entstehen. Veranstaltungsorte, wie die Tabakfabrik in Krems, das Frauenbad in Baden, das Bezirksgefängnis Amstetten oder die Synagoge in St. Pölten, sowie Stifte, Klöster und Burgen büden einen kontrastreichen Hintergrund und die oftmals sehr malerische Kulisse für manch eine Veranstaltung, andererseits wirken sie auch durch den Aktualitätsanspruch und die Brisanz einzelner Programmpunkte.

Dies gut insbesondere für die Veranstaltungen des „Wachauer Theaterfestivals“, welches die gesamte Region um Krems — laut Veranstalter—„zwei Wochen lang mit Schauspielern, Tänzern, Kabarettisten, Musikern, Gauklern und Zauberern bevölkert**. Alf Kraulitz und Vintüa Ivanceanu entwickeln unter dem Motto „Gegen den Strom“ ein überregionales Konzept des totalen Theaters, das alle dramatischen Ausdrucksformen einbindet. Dabei versuchten sie, den geschlossenen Rahmen des traditionellen Theaters sprengend, ein „Schau-Spiel-Erlebnis“ zu erarbeiten, welches offen und unkonventionell den Austausch mit Landschaft und Publikum in den Vordergrund teilt

„Gegen den Strom“ verweist daher einerseits auf die Stromlandschaft der Donau, auf die künstlerischen Einflüsse und Bewegungen, die hier von Ost und West zusammentreffen, andererseits auf den Anspruch der Avantgarde, Neues zu schaffen und Grenzen zu überbrücken. Als Beispiele dieses Unterfangens seien die Veranstaltungen im Kremser Stadtpark unter dem Titel „Tanz- und Theaterbegegnung Ost-West“ oder das „Grenztheater“ in der Theaterfabrik Langeneis genannt.

Die ungarische Rockoper „Stefan, der König“ im Badener Stadttheater - ein anderer Programmpunkt des Donaufestivals — befaßt sich mit ähnlichen Problemstellungen. Geschichtliche Bezüge sowie aktuelle Gegenwartsbewältigung büden die Leitfäden dieser Aufführung. Das Wirken des hl. Stefan — die Vereinigung der Magyaren und ihre Reichsgründung unter christlichem Banner — wird in dieser jüngsten Interpretation zu einem aufregenden Erlebnis modernen Musiktheaters verarbeitet.

Während sich die Oper inhaltlich an die historische Vorlage hält, steht sie im Musikalischen in der Tradition der westlichen Musicals. Text und Musik stammen von den beiden führenden ungarischen Rock- und Popmusikern Levente Szörenyi und Jänos Brö-dy und knüpfen an die großen Musicals der siebziger Jahre an. Die Verwertung der verschiedenartigsten Einflüsse und die Verknüpfung mit dem historischen Material bewirken eine Symbiose, aus der die Aufführung ihre Aussage- und Ausdruckskraft bezieht. Zusammen mit der aufwendigen und der mit kun stvollen Effekten ausgestatteten Inszenierung (Bühnenbüd von Bela Götz) wird das historische Thema in ein akustisches und optisches Ambiente der achtziger Jahre versetzt und dadurch zu einer für unsere Zeit aussagekräftigen Verarbeitung eines Abschnittes ungarischer Nationalgeschichte.

In einem ganz anderen, ge-schichts- und zeitlosen Kontext steht die Performance „1000 Airplanes On The Roof“ von Philip Glass. Der bedeutende Komponist, der seit den sechziger Jahren an einer minimalistisohen Musikform arbeitet, dessen Einflüsse auf Minimal Art, Konzept Kunst, Neo-Geo und auf die gesamte moderne Musikgeschichte nachvollziehbar sind, ist nicht nur durch seine großen Opern, wie „Echna-ton“, sondern auch aus seinem Filmmusikschaffen (zum Beispiel „Koyanisquaatis“) international bekannt. Die heurige Welturaufführung im Flughafen von Schwechat ist als konsequente Weiterführung seines innovativen und vielseitigen Kunstschaffens zu verstehen.

Mit den optischen und akustischen Mitteln der Minimal Art entwirft Phillip Glass in „1000 Airplanes On The Roof“ ein modernes, überzeitliches und mehrdimensionales Märchen, das kollektive und individuelle Erinnerungen, Träume und Visionen des Menschen und die damit verbundenen Konflikte zum Thema hat. „1000 Airplanes On The Roof* ist die Geschichte eines Mannes, der aus Angst vor seinen Visionen flieht. Als diese ihn schließlich durch ein akustisches Erlebnis, welches wie der Lärm von 1000 Flugzeugen in ihm eindringt, einholen, bringen sie ihn in eine Konfliktsituation, in welcher Alltag und Phantasie, Normalität und Wahnsinn aufeinanderprallen.

Um die Vermittlung der heimischen Avantgarde und um ihren Stellenwert in der internationalen Kunstszene geht es in den drei Ausstellungen „Balanceakt '88 -Neue Kunst aus Niederösterreich“. Eine Auswahl junger niederösterreichischer Künstler, deren Werk in den letzten Jahren internationale Anerkennung gefunden hat, kommt hier zu Wort. Ziel dieser Ausstellungsreihe ist, „eine längst fällige Definition eines modernen Kulturprofüs dieses Bundeslandes anzubieten“.

Ein anderes Festivalereignis, mit dem Titel „Das gläserne U-Boot“ setzt sich architektonisch, durch Installationen, Projektionen, inszenierter Fotografie und Performances mit der Tabakfabrik und der Minoritenkirche in Krems/Stein auseinander. Achtundzwanzig Künstler aus mehreren europäischen Ländern verändern das Raumerlebnis und -bewußtsein des Betrachters in einer Art und Weise, daß das Gebäude zum „Gefäß“, zum „U-Boot“ wird, welches durch die künstlerische Lichtregie ihre Materialität und funktionelle Bestimmung veriiert. Kirchen- und der Industrieraum werden so zum reinen Kunstraum, in welchem verschiedene künstlerische Projekte wiederum Raumverhältnisse thematisieren. (Zum Beispiel „Der schiefe Raum“ von Susanne Kolibal oder „Der Weg“ von Roman Signer.)

Der Gedanke des Donaufestivals kommt im Rahmen des internationalen Symposions „Modell Donauregion — Nationale Eigenart, neue Gemeinsamkeit“ im Stift Melk zum Ausdruck. Vierzig Fachleute und Literaten aus zwölf Ländern sollen bei diesem freien Meinungsaustausch die historische Bedeutung des Raumes, die ökonomischen und ökologischen Austauschformen und die Probleme, die Gegenwart und Zukunft bestimmen, analysieren.

Der Versuch, in diesem kulturell so bedeutsamen Teü Europas neue Verbindungen zu schaffen, ein übernationales Identitätsbewußtsein zu stärken und kulturellen Austausch zu fördern, ist der wohl wichtigste Anspruch des Festivals. In diesem Sinne ist das Festival auch in Zusammenhang mit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals im Jahr 1992 und der geplanten gemeinsamen Weltausstellung Wien-Budapest 1995 zu sehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung