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Was bringt der EG-Beitritt?
Im Zusammenhang mit der EG-Diskussion sind drei Fragenkomplexe für den österreichischen Arbeitsmarkt interessant:
• Kann der im Vergleich mit anderen EG-Ländern in Österreich immer noch recht hohe Beschäftigungsstand gehalten werden? Wird er womöglich zurückgehen? Oder hat ein EG-Beitritt gar be-schäftigungsfördernde Wirkung?
• Muß Österreich im Falle eines Beitritts mit einer Überflutung durch Beschäftigungssuchende, insbesondere aus den südeuropäischen Ländern, rechnen?
• Wie wird sich die geplante Nie-derlassimgsfreiheit in der EG in derzeit stark reglementierten Bereichen des Gewerbes und der Dienstleistungen auswirken?
Was die Antwort auf die erste Frage, nämlich nach den Perspektiven des österreichischen Arbeitsmarktes in der EG im allgemeinen betrifft, so ist die Antwort alles andere als eindeutig. Im sogenannten „Cecchini-Report“ der EG-Kommission (FURCHE 43/ 1988) wird durch rationelleres Arbeiten und Grenzformalitäten in ganz Europa ein Wachstumsschub erwartet. Auch niedrigere Verbraucherpreise, vor allem im Lebensmittelbereich, und teils niedrigere Mehrwertsteuersätze verstärken den Konsum der Haushalte. Dadurch gibt es im vollendeten EG-Binnenmarkt zwei bis fünf Millionen neuer Arbeitsplätze. Nach inländischen Schätzungen entfallen davon etwa 50.000 auf Österreich. Das würde eine Reduktion der Arbeitslosenquote um etwa zwei Prozentpunkte bedeuten - wenn auch nicht sofort, sondern über mehrere Jahre verteilt.
Das ist die optimistische Sicht aus der EG selbst, die hierzulande auch gerne geglaubt wird. Es gibt aber auch Gesichtspunkte, die einer solchen hoffnungsfrohen Erwartung doch entgegenstehen. Das zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die Daten. Die Arbeitslosenquote in Österreich betrug im Durchschnitt 5,3 Prozent, in den EG-Ländern mehr als doppelt so viel. Es ist nicht klar, was eigentlich zu der Meinung berechtigt, daß Österreich diesen Vorteil bei einem Zusammenschluß mit dem EG-Wirtschaftsraum ohne weiteres wird halten können. Daß sich nach Anpassung an die EG-Strukturen nicht auch bei uns eine höhere Arbeitslosigkeit einstellen wird.
Doch selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte - die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze kann niemand ernsthaft erwarten, der die Beispiele der jüngsten neuaufgenommenen EG-Mitglieder Griechenland, Spanien und Portugal studiert hat. Dort verharrten die Arbeitslosenquoten im wesentlichen auf dem zuvor erreichten hohen Niveau (FURCHE 22 und 42/ 1988).
Die Kommission für Raumforschung an der österreichischen Akademie der Wissenschaften beispielsweise hat kürzlich ein Szenario vorgelegt, demzufolge sogar mit höherer Arbeitslosigkeit gerechnet werden muß. Demnach werden die Probleme vor al-
„Eine starke Zuwanderung von Ausländern wird nicht erwartet“
lem im agrarischen Bereich entstehen. Die großen landwirtschaftlichen Konzerne der EG werden Klein- und Bergbauern allmählich verdrängen; die ländliche Bevölkerung wird vermehrt in die Ballungszentren strömen und dort Wohnungs- und Arbeitsplatzknappheit verursachen.
Etwas klarer fällt die Antwort auf die zweite Frage aus, ob Österreich nach einem EG-Beitritt von Arbeitskräften aus der Gemeinschaft überschwemmt werden wird.
Der gegenwärtige Stand der Diskussion läßt sich da folgendermaßen zusammenfassen: Die grenzüberschreitende Arbeitsplatzsuche zwischen den EG-Ländern ist bisher recht bescheiden geblieben; eine rasche Intensivierung dieser Wanderungsbewegungen nach 1992 wird von den Experten nicht erwartet (FURCHE 43/1988). Ausländische Arbeitskräfte innerhalb der EG kommen großteils aus EG-Drittländern. Zum Beispiel strömen Nordafrikaner nach Frankreich, Türken und Jugoslawen in die Bundesrepublik. Die Gefanr verstärkter Zuwanderung nach Österreich ist demnach als nicht sehr hoch einzuschätzen.
Probleme könnte es allerdings geben, wenn die Türkei der EG beitreten sollte. Angesichts eines Arbeitskräfteüberschusses in der Türkei von mehreren Millionen ist anzunehmen, daß es in dieser Frage EG-weit zu Maßnahmen gegen einen allzustarken Angebotsdruck kommt. Österreich würde sich wohl anschließen.
Unangenehmer für Österreich könnte eine andere Erscheinung werden, daß nämlich die Mobilität vor allem höher qualifizierter inländischer Arbeitskräfte steigt. Das höhere Lohnniveau etwa in der Bundesrepublik wirkt sicher für viele anziehend. Nach einem EG-Beitritt würden ja bürokratische Hemmnisse wie Arbeitsbewilligungen und dergleichen wegfallen. Es käme damit zu einer relativen Dequalifizierung des österreichischen Arbeitskräftepotentials mit den entsprechenden Konsequenzen im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich.
Was schließlich die Niederlassungsfreiheit und unbeschränkte Ausübung bestimmter Berufe im gesamten EG-Bereich betrifft, so kämpft die EG hier selbst noch mit großen Problemen. Befähigungsnachweise und Zeugnisse sind erst zu vereinheitlichen und irgendwie vergleichbar zu gestalten. Letztlich sind damit aber heikle standespolitische Fragen verbunden, die zu lösen wohl eines der schwierigsten Integrationsprobleme sein wird. In Österreich wären davon einige gewerbliche Bereiche und die freien Berufe betroffen, die sich bisher durch spezielle Prüfungen und Zulassungsbeschränkungen vor Konkurrenz schützen konnten. In einer Studie der Bundeskammer wird vor allem ein Verdrängen inländischer durch ausländische Unternehmen befürchtet. Und das nicht nur im Bereich der großen Konzerne, sondern eben auch im klein- und mittelbetrieblichen gewerblichen Sektor.
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