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Was bringt Santo Domingo?

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Die einst Hispaniola genannte Insel ist am 12. Oktober Schauplatz des wichtigsten Ereignisses der Kirche Lateinamerikas vor der Jahrtausendwende. In Santo Domingo findet die IV. Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen statt.

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Die einst Hispaniola genannte Insel ist am 12. Oktober Schauplatz des wichtigsten Ereignisses der Kirche Lateinamerikas vor der Jahrtausendwende. In Santo Domingo findet die IV. Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen statt.

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Vor 500 Jahren war Santo Domingo wichtigster Stützpunkt der Spanier in der Neuen Welt. Die Konferenz an diesem historischen Ort wurde lange vorbereitet. Schon am 12. Oktober 1985 nannte Papst Johannes Paul II. anläßlich seines Besuches in Santo Domingo die Hauptanliegen der bevorstehenden Kirchenversammlung: das Gedenken der 500 Jahre Evangelisierung und der Ausblick auf das dritte Millennium. Das 500-Jahr-Gedächtnis der Entdeckung, Eroberung und Evangelisierung hat innerkirchlich und darüber hinaus schon für Aufregung gesorgt. Man darf gespannt sein, was Lateinamerikas Bischöfe zur Geschichte ihres Kontinents aussagen werden.

Die Aussagen hängen freilich nicht von diesen Bischöfen allein ab. Eigentlich ist Rom zuständig, wie die für Santo Domingo gedachte Arbeitsunterlage (mit Approbation Roms) deutlich in der Einleitung kundtut: „Diese Konferenzen sind nicht Eigentum des CELAM (Sekretariat des lateinamerikanischen Bischofsrates), sondern sie sind nur vom Papst dem CELAM überantwortet. Der Papst ist es, der das Thema vorgibt, die Konferenz einberuft und das Ergebnis akzeptiert."

Drei vorangehende Arbeitsunterlagen ließen nichts Gutes ahnen. Ein erstes Papier zirkulierte im Jahre 1989. Das 30-Seiten-Dokument war so dürr und arm, daß es bald *

aus dem Verkehr gezogen wurde. 1990 folgte ein umfangreiches Arbeitspapier, 200 Seiten, eine Mischung der zwei entgegengesetzten Tendenzen innerhalb der Kirche über Pastoral und Theologie. Dieses Dokument hatte weite Verbreitung, und jede Bis-chofskonferenz sollte dazu Stellung nehmen. Weil aber die Anmerkungen der Bischöfe nicht berücksichtigt wurden, war das folgende dritte Arbeitspapier („Prima Relatio") nur von kurzer Dauer.

Die eigentliche Arbeitsunterlage, die den Wünschen und Vorstellungen der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen entsprach, wurde im Oktober 1991 publiziert und als „Secunda Relatio" nach Rom zur Approbation geschickt. Sie trägt den Titel: „Neue Evangelisierung, Entwicklung, christliche Kultur, Jesus Christus gestern, heute und immer." Das Vorwort betont: „Die lateinamerikanischen Bischöfe wollen vom II. Vatikanischen Konzil, Medellin und Puebla ausgehen, sie wollen die Herausforderung des dritten Millenniums aufgreifen, um wirksam zur Neuen Evangelisierung beizutragen."

Das Arbeitsdokument merkt ausdrücklich an, daß die „vorrangige Option für die Armen", die in Medellin und Puebla so bestimmend war, auch die Versammlung in Santo Domingo leiten wird, denn diese Option gehört zum Gewissen der Kirche und leitet sich vom Evangelium ab. Wie Medellin und Puebla folgt auch das Arbeitsdokument für Santo Domingo der Methode von Sehen - Urteilen - Handeln.

Das Wort „Neuevangelisierung" (oder auch „Neue Evangelisierung") erweckte anfangs bei manchen Beobachtern Verunsicherung. Auch hierin wirkt das Arbeitspapier klärend, indem es darauf verweist, daß „Neuevangelisierung" bereits 1968 in Medellin eine Zukunftsvision der Bischöfe war.

Die Geschichte gehört der Methode nach zum „Sehen", wenn auch das Dokument keine Geschichte im wissenschaftlichen Sinn geben will. Wie der Papst schon oft betont hat (in Santo Domingo 1985, auf dem Historikerkongreß in Rom 1992), möchte auch die Kirche Lateinamerikas zur geschichtlichen Wahrheit stehen „ohne Triumphalismus und ohne falsche Scham", um aus „den Fehlern der Vergangenheit zu lernen".

Große Missionarsgestalten werden in Erinnerung gerufen (insgesamt 53 Namen), dann kirchliche Persönlichkeiten aus Lateinamerika selbst (13 Namen), ebenso die Missionsorden, die in Amerika gewirkt haben und noch tätig sind. Allerdings wird deutlich gemacht: „Die Geschichte der Erlösung unserer Völker begann nicht im Jahre 1492." Denn: „Die eingeborenen Völker lebten schon vor der Evangelisierung aus großen menschlichen und gesellschaftlichen Werten."

Das Dokument scheut auch „heiße Themen" nicht wie Inquisition, Versklavung der Indios und Schwarzen, Ausbeutung und Genozid. Am Ende der Darstellung des ersten Teils der Geschichte steht die Bitte um Vergebung: „Wir sehen in der Sklaverei eine institutionelle Sünde gegen die Afroamerikaner und die Indigenas während dieser Jahrhunderte und bitten Gott und die versklavten und unterdrückten Brüder um Vergebung."

Diese Vergebungsbitte ist nach der Bitte des Papstes in Afrika, Gott möge die Sklaverei vergeben, sensationell. Sie wird aber durch die Aufzählung der sozialen und kulturellen Leistungen der Missionare und ihres Bemühens um Inkulturation so gemildert, daß der Eindruck entsteht, man wolle „weißwaschen". Immerhin spricht der Text vom Genozid als einem „demographischen Kollaps". Hier duldet er, obwohl er keine Zahlen nennt, keine Abschwächung.

Der Handel mit den Negern und deren Versklavung wird „die größte Sünde der kolonialen Expansion des Westens" genannt. Hier ist die lateinamerikanische Kirche noch selbstkritischer: „Der gesamte Klerus profitierte davon, indem er die Arbeiten auf seinen Besitzungen durch Zwangsarbeit verrichten ließ."

Wenn es nach den Bischofskonferenzen geht, soll ein viel kritisierter Mangel der jungen Theologie der Befreiung behoben werden. Diese Theologie konzentrierte sich allzu sehr auf die soziale Problematik. Die vielen Völker und Kulturen des Kontinents, ja selbst die Kultur der Armen, kamen dabei allzu wenig zur Geltung. Die „neue Evangelisierung" möchte den Blick nun auf die völkische und kulturelle Vielschichtigkeit lenken. Das Ar-beitiokument sieht darin eine Herausforderung, die aus der Option für die Armen kommt, denn die indige-nen Völker, ob Indianer oder Neger, zählen zu den Allerärmsten. Nur wenn das Evangelium diese Kulturen respektiert, kann es zu einer echten Inkulturation kommen. Das Dokument sieht in der Theologie der Befreiung und in den Basisgemeinden -sie sind nicht eine Bewegung, sondern Modell der Kirche - die Instrumente für diese Aufgabe der Evangelisierung und Inkulturation.

So mutig und verheißungsvoll die ser Entwurf aussieht, er wird immer wieder „schaumgebremst", indem etwa bei der Theologie der Befreiung wiederholt auf den Rahmen verwiesen wird, welchen die zwei römischen Instruktionen vorgegeben haben.

Die „Secunda Relatio" ist ein Ausdruck der Visionen der lateinamerikanischen Kirche: Es geht um die Bekräftigung der „vorrangigen Option für die Armen", die Basisgemeinden als Modell von Kirche, um die Evangelisierung der vielen Kulturen der verarmten Völker und sozialen Schichten des Kontinents, die eigenständige theologische Reflexion, die Rolle der Laien und der Frau, die missionarische Dynamik der Kirche Lateinamerikas auch nach außen, die Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen.

Mitte Juli kam das von Rom approbierte, endgültige Arbeitsdokument zurück. Die „Secunda Relatio" wurde in manchen Bereichen abgeschwächt. Die „vorrangige Option für die Armen" wird durch „neue Optionen" ergänzt: „Leben und Sendung der Laien", „Evangelisierung der modernen Kultur", eine „neue Kommunikation für eine neue Evangelisierung", „die indianischen und afrikanischen Kulturen".

Es hat den Anschein, als sollte nicht die Theologie der Befreiung das Instrumentarium gegenüber den gesellschaftlichen und kulturellen Unrechts-zuständen sein, sondern die kirchliche Soziallehre. Das Dokument beklagt, daß die kirchliche Soziallehre in Lateinamerika bislang zu wenig bekannt sei und empfiehlt mehrfach ihre Verbreitung.

Das lateinamerikanische Arbeitspapier nennt Erzbischof Oscar Rome-ro und die sechs Jesuiten „Märtyrer der lateinamerikanischen Kirche" und fügt hinzu, daß die Verfolgung der Kirche von Kräften ausgeht, welche behaupten, christliche kulturelle Werte und Prinzipien zu verteidigen. Die korrigierte Fassung reduziert das Martyrium von Oscar Romero und den Jesuiten auf „Opfer der politischen Gewalt".

Santo Domingo wird zeigen, ob es der lateinamerikanischen Kirche gelingen wird, ihren bislang eingeschlagenen Kurs fortzusetzen.

Der Autor ist Generalsekretär der Päpstlichen Missionswerke in Österreich.

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