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Was bringt uns der Binnenmarkt?

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Bibliotheken sind bereits mit Literatur zum Thema EG-Integration gefüllt. Wer sich über Österreichs Chancen informieren will, ist allerdings auf wenig (Gutes) angewiesen.

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Bibliotheken sind bereits mit Literatur zum Thema EG-Integration gefüllt. Wer sich über Österreichs Chancen informieren will, ist allerdings auf wenig (Gutes) angewiesen.

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„Österreich und die EG“ - der Dauerbrenner wird allwöchentlich neu eingeheizt: Was bringt der Binnenmarkt? Erfordert er den Vollbeitritt? Wie wäre der zu erreichen? Läßt er sich mit der Neutralität vereinbaren? Fast alle Tage gibt es Stellungnahmen; oft klingen sie nach Stehsätzen und Sprechblasen. Wer sich selbst ein Bild machen will, muß sich wohl etwas eingehender informieren.

Nun gibt es zwar ganze Bibliotheken über die EG-Integration, die Literatur zur österreichischen Europapolitik ist spärlicher gesät. Immerhin, über die Effekte einer Ankoppelung an den Binnenmarkt für die Wirtschaftszweige unseres Landes haben Fritz Breuss und Jan Stankovsky eine materialreiche Studie vorgelegt; sie bietet eine Skizze der Integrationsentwicklung bis zur derzeitigen Situation von EG und EFTA (diese wird allerdings etwas stiefmütterlich behandelt); ferner Hinweise auf die Handelsund Kapitalverflechtung Österreichs mit seiner europäischen Umwelt sowie eine Erläuterung der Spielregeln und Mechanismen der EG-Integration (manchmal etwas zu pauschal).

Vor allem präsentieren die Autoren eine Abschätzung der Folgen, die eine Übernahme dieser Spielregeln durch Österreich einerseits und ein Draußenbleiben aus dem Binnenmarkt andererseits hätte. Fazit: Auch wenn es in der EG „kaum mehr so gemütlich zugehen“ würde „wie bisher“, scheinen doch „insgesamt die Po-sitiva“ eines Beitritts zu „überwiegen“.

Ausgeblendet bleiben, neben den Problemen der Agrarintlgra-tion, vor allem jene Aspekte, die sich mit der Kalkulation direkter ökonomischer Effekte sowie der Beschreibung des institutionellen Istzustandes nicht fassen lassen, ohne die aber der Verflechtungsprozeß nur oberflächlich begreifbar ist. Zu denken wäre zum Beispiel an die ordnungspolitischen Konsequenzen einer Integration Österreichs, an die Auswirkungen auf seine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Handlungsfähigkeit in einem EG-Verbundsystem, vor allem im Blick auf jene „flankierenden Maßnahmen“, die auf wirtschafts- und währungspolitischem Gebiet nötig sein werden, soll ein wirklicher Binnenmarkt auf Dauer stabilisiert werden.

So müßte ein Buch, das gerade diese Verknüpfungen von Ökonomie und Politik ausleuchten soll, besonderes Interesse finden. Margit Scherb und Inge Mora-wetz erheben den Anspruch, einen Blick „hinter die Kulissen“ der EG-Politik zu bieten, unter dem vielsagenden Titel „Der unheimliche Anschluß“. (Bei der Lektüre freilich fühlt man sich eher ins Wachsfiguren- als ins Gruselkabinett versetzt.)

Das EG-Bild, das die meisten Beiträge zeichnen, entspricht im Argumentationsniveaü wie im Jargon den Einschätzungen, die zur Zeit Breschnews in Moskau und in anderen KP-Sprachregelungsagenturen üblich waren. Nur einige Beispiele: Die EG sollte ein „Bollwerk“ der Monopole gegen den Sozialismus darstellen, da ja „die Stärkung der antikapitalistischen Kräfte und der Arbeiterbewegung ___zur Entstehung der Volksdemokratien in Osteuropa geführt hatte“ (so war das also damals in Osteuropa...!). Das Wesen der EG ist „die Verflechtung von Monopolunternehmen und Nationalstaaten“. Mit den Gemeinschaftseinrichtungen hat sich „das westeuropäische Monopolkapital für die gemeinsame Bewältigung von Problemen den adäquaten Herrschaftsmechanismus geschaffen“, es geht darum, „die ungehinderte Entfaltung der Monopole zu ermöglichen“. (Warum die Vordenker der Wirtschaftsreformer im Osten sich die EG-Mechanismen neuerdings zum Vorbild nehmen — diese Frage kommt den Au-tor(inn)en dieses Bandes nicht in den Sinn...).

Was Österreich betrifft, so wird der Regierung, vor allem der SPÖ(!), vorgeworfen, mit einer „Politik der Zerschlagung und Privatisierung der Verstaatlichten Industrie“, die gleichsam das

„Eintrittsgeld“ für die EG sei, die Interessen Österreichs zu schädigen. Schon „Anfang der siebziger Jahre“ habe die „Unterordnung unter das internationale Kapital“ begonnen, gleichzeitig sei die Modernisierung der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie absichtlich (!) verhindert worden (das heißt doch wohl: nicht Vranitzky ist der Sündenbock Nummer eins, sondern schon Bruno Kreisky... oder? !).

Einige Beiträge sind durchaus informativ, so Hans Heinz Fabris* Darstellung der medienpolitischen Szenerie oder Gerhard Stegers agrarpolitischer Uberblick. Ansonsten trifft man immer wieder auf oberflächliche, unpräzise, teils auch widersprüchliche Thesen und Interpretationen.

Den Vogel aber schießt ein Abschnitt über „Rechtsprobleme einer österreichischen EG-Annäherung“ ab: ein Beitritt sei schlicht „völkerrechtlich verboten“. Vor allem deshalb, weil das heutige, fortschrittliche Völkerrecht alle Staaten verpflichte, Entspannungspolitik zu betreiben. Seltsame Logik: Entweder ist die EG mit dieser Pflicht vereinbar — dann kann der Beitritt dadurch nicht verboten sein; oder sie widerspricht der Entspannungspflicht - müßten dann die Mitglieder sie nicht auflösen? (Erst recht wären dann Warschauer Pakt und NATO völkerrechtswidrig...) Gewiß, dies ist eine zugespitzte Wiedergabe der Argumentation des Autors; aber darauf läuft sein Gedankengang hinaus. Daß er mit einigen nicht sehr sachkundigen Bemerkungen über das EG-Recht und mit mißverstandenen Marx-Zitaten über den „Despotismus“ der kapitalistischen Leitung von Produktionsprozessen garniert wird, trägt zur Schlüssigkeit kaum bei.

Die Herausgeberinnen deuten an, es sei Sache der Autoren gewesen, „ihren Forschungsbereich um den Bezug zur EG zu erweitern“, so daß sie sich das nötige Sachwissen erst anlesen mußten. Das geschah sichtlich mit nur teilweisem Erfolg.

Aber dafür wurde der Druck des Bandes „gefördert durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung“...

OSTERREICH UND DER EG-BINNENMARKT. Von Fritz Breuss und Jan Stankovsky. Herausgegeben vom Institut für Anfewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung, ignum Verlag, Wien 1988. 437 Seiten, öS 520.-.

DER UN-HEIMLICHE ANSCHLUSS -OSTERREICH UND DIE EG. Herausgegeben von Margit Scherb und Inge Morawetz. österr. Texte zur Gesellschaftskritik Band 35. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1988. 194 Seiten. öS 228,-.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Wien.

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