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Was er weiß und was er fühlt…

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Mit Giorgio Strehler, einem der faszinierendsten Regisseure unserer Zeit, ist es den Salzburger Festspielen mißlungen, einen unverwechselbaren Mozart-Zyklus auf die Bretter dieses Salzburger Welttheaters zu hieven. Das Engagement, mit dem man ihn zuerst hätschelte und dann loszuwerden trachtete, machte eines der größten Festspielprojekte zunichte. Obgleich seine Inszenierung der „Entführung” ein Paradefall heutiger Mozart-Deutung war; und obwohl seine - bei der Premiere leider vom Fertigsein meilenweit entfernte und daher bruchstückhafte - „Zauberflöte” faszinierende Ansätze zeigte.

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Mit Giorgio Strehler, einem der faszinierendsten Regisseure unserer Zeit, ist es den Salzburger Festspielen mißlungen, einen unverwechselbaren Mozart-Zyklus auf die Bretter dieses Salzburger Welttheaters zu hieven. Das Engagement, mit dem man ihn zuerst hätschelte und dann loszuwerden trachtete, machte eines der größten Festspielprojekte zunichte. Obgleich seine Inszenierung der „Entführung” ein Paradefall heutiger Mozart-Deutung war; und obwohl seine - bei der Premiere leider vom Fertigsein meilenweit entfernte und daher bruchstückhafte - „Zauberflöte” faszinierende Ansätze zeigte.

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Nach Strehler hat man dann Jean- Pierre Ponnelle an Salzburg gebunden: Einen Supermann, wenn es um die Leidenschaft zu arbeiten geht; einen ungemein gebildeten Künstler, der besessen scheint, Theaterzauberer zu spielen und als Dekorateur Wunder zu wirken… Da erinnert er wohl ein wenig an Max Reinhardt. Ein Tausendsassa also, der zu überraschen versteht. Mediterran in seinem Empfinden und Geschmack, uralten ma- nieristischen Traditionen verständnisvoll nahe, einer dem Europas philosophische Traditionen in Fleisch und (Theater-)Blut übergegangen sind. Das Barometer für einen Mozart-Zyklus stand also günstig. „Figaro” und „Don Giovanni” gerieten ihm in den vergangenen Jahren geistvoll-zwiespältig, „Titus” als Meisterwerk aus einem Guß. Bei der „Zauberflöte”, der eigentlichen Galapremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele, legitimierte er sich als „Wissender” und „Fühlender” in Sachen Mozart Der allgemeine Jubel um diese Premiere gibt den Salzburgern recht. Ponnelle ist ihr Mann.

Freilich, erst daß diese Premiere nicht bloß eine aufregende Regieleistung blieb, in der tiefe Ideen auch optisch genau umgesetzt werden und

Ponnelle auch dem manieristischen Prinzip des „Erzeugens von Staunen” vollen Tribut zollte, hebt sie in die Region des Festspiels. James Levine, der junge Chef der New Yorker Metropolitan Opera, die Wiener Philharmoniker und ein zumindest in den wichtigsten Partien makellos besetztes Ensemble gibt dieser Mozart-Aufführung Leidenschaft und menschliche Wärme, eine samtige Tonigkeit im Tragischen und prickelnde Komödienfrische. Und trotz aller brillanten szenischen Einfälle gehen diese nie ei- genbrötelnd ihre Wege, sondern entspringen der Musik.

Levine sorgt für richtige Tempoverhältnisse. Da werden die Arien feinfühlig begleitet und das junge Sängerensemble - einmal nicht die Standardbesetzung von Wien über London bis zur „Met” - bringt eine neue Vitalität und Farbigkeit ein. Eric Tappy etwa als blendend aussehender, gefühlvoller Tamino, Heana Cotrubas als liebreizende Pamina, Martti Talvela als gewaltiger Sarastro, Edita Gruberova als sternflammende Königin, deren Koloraturenmaschine mit wunderbarer Perfektion funktioniert, Christian Boesch als erzkomödiantischer Papageno, der - goldrichtigerweise! - vom Wiener Naschmarkt stammen könnte… Nur Papagena Elisabeth Kales, Monostatos Remy CtfrSzža Uhd die Geharnischten enttäuschen in dieser glanzvollen Riege.

Ponnelle hat jedenfalls die Figuren mit erstaunlicher Präzision durchdacht, jeden Sänger minuziös zu führen versucht. Allerdings macht er die Mode der kritischen - „linken” - Zerfledderung des Werks, wie sie etwa Joachim Herz in Wien bis zum Überdruß praktizierte, nicht mit. Ponnelle huldigt nicht dem kritisch sezierenden Realismus, der sich in’ freimaurerische Geheimniskrämerei, mystisches Gedankengut und Schikaneders politische Inkonsequenzen im Libretto gesellschaftskritisch verbeißt. Er will das Werk nicht zerzausen. Opemfiguren müssen schließlich nicht armselige Kreaturen auf dem Divan des Analytikers sein. Ponnelle will vielmehr den melancholischen Prinzen, die in tragisches Dasein gestürzte Prinzessin, die rächende Königin der Nacht nicht als gedankliche Fiktionen und mit Ideen befrachtete Prinzipien entlarven, sondern sie lebendig machen. Und das ist die Stärke der Aufführung, die vor dem Heroischen wie vor dem Naiven keine Angst hat. Das läßt sie spannend, poetisch, behutsam und feinfühlig wirken. Und da stört auch auf einmal nicht die krause Theaterlogik Schikaneders, weil uns Ponnelle die „Zauberflöte” wie einen Traum, vielleicht sogar aus der Kindheit, vorführt. Und im Traum wird so vieles greifbar wirklich. Wirklich greifbar!

Die Felsenreitschule wurde konsequenterweise für Ponnelle zur Herausforderung. Sie zähmt seine Verliebtheit in Bizarres, in raffinierte Dekors, die das Assoziationenspiel wuchern lassen (heilsam wirkten offenbar seine Erfahrungen mit dem gräßlichen aufgetakelten „Sant’ Alessio”). Der strengen Würde des Arkadenraums stellt er ein sparsames Bild gegenüber. Das Parterre ein schattiges antikes Ruinenfeld, erfreulicherweise kein ägyptisches Kunstmesseangebot. Drei zierliche Pyramidentempel fahren aus der Erde und für Papageno ein lustiges Pawlatschentheater, das den Vogelfänger als salzburgerischen Luftikus vorstellt. Und natürlich spielen die Arkaden selbst eine große Rolle: da wälzt sich drei etagenlang ein wahrhaft riesiges Schlangenungeheuer, das Tamino bedroht… Da haben auch die Herren Freimaurerpriester (deutlich als josefinische Gesellschaft erkennbar) ihren Weisheitstempel eröffnet. Durch drei Etagen strahlt auch das Licht des Sonnentempels. Und über dem ganzen liegt ein Netz; mit hunderten Glühbirnen: Das Reich der sternflammenden Kömgin. Ein silbrig schimmerndes Stemenrad, in dem die elegante Mondfrau um das Weiterbestehen des Matriarchats gegen den männerbündi- schen Sonnenkult des „modernen” Sarastrostaats kämpft. Mißlungen sind nur Feuer- und Wasserprobe.

Ponnelle holt natürlich mit Theaterdonner und Versenkungsspiel zum

Zaubertheater aus. Sarastro donnert auf goldenem Löwenvierspänner aus derFelsenschlucht, Papageno plumpst natürlich ins schwarze Loch und wenn er sich zusammenreißt, kann er auch Bäume versetzen… Worte und Phrasen werden in Szenen umgesetzt, Metaphern zu Bildern. Das gehört zur Altwiener Zauberposse und zum barocken Stegreiftheater, Ponnelle nimmt so seinen Mozart und Schikaneder buchstäblich bei der musikalischen Phrase, beim komödiantischen Motiv, beim Wort. Da zeigt sich, wie tief sein Verstehen reicht. Eine „Zauberflöte” jedenfalls, über die man viel nachdenken kann.

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