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Was ersetzt die Comics?

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Die Diskussion über Wert und Unwert, Macht und Ohnmacht des Comic erstreckt sich über viele Bereiche. Die Pädagogik redet da ihr Wörtchen mit; die Literatur wird durch den Comic vor den Kopf gestoßen; die Graphik erhielt von ihm ganz neue Impulse.

Während zunächst die Ablehnung ziemlich unisono geschah, haben sich inzwischen viele Experten näher mit dem Phänomen auseinandergesetzt, Traditionen bis zurück zur ehrwürdigen Biblia Pauperum und über diesen Umweg eine Entschuldigung dafür gefunden, daß der Comic jetzt auch schon für den Lateinunterricht verwendet wird.

Ich selbst war in den Zeiten der eigentlichen Comic-Phase dessen Gegnerin und habe, ich gebe es zu, ebenfalls erst den Umweg über die romanische Kunst nehmen müssen, bis ich mich mit dem Unfung der Sprachbla- sen anfreunden konnte und ich habe dabei einiges gelernt - etwa, daß der Comic eine ganz andere Art der Aufmerksamkeit erfordert als eine mit Buchstaben gefüllte Seite. Wenn der Comic gut ist, muß sein Leser eine wesentliche Eigenarbeit leisten; die Gedankensprünge wollen miteinander verbunden, fehlende logische Schritte ergänzt, Bilder in ihrer Gesamtheit erfaßt werden. Nicole Clavelous „Gra- bot” kann man e.bensowenig mit ermattetem Geist lesen wie etwa Christian Morgenstern.

Wie gesagt: diese meine Ansicht habe ich mir erarbeitet; sie ist das Produkt mehrjähriger Aufklärung von seiten überzeugter Comic-Fans, die in allen möglichen Alters- und Intelligenzschichten zu finden ich mich wunderte.

Und von diesem hart erkämpften und damit um so lieber gewordenen Anti-Vorurteil heißt es nunmehr tränenreichen Abschied nehmen. Grund: ich habe das Thema „Kinderzeitschriften in Österreich” gründlich recherchiert. Zunächst einmal in der Nationalbibliothek, deren Lesesaalbenützer mich sehr überrascht musterten, als ich meine Aufmerksamkeit dem vorhandenen, aber nie benützten Regal. „Jugendzeitschriften” zuwandte.

Da gab es tatsächlich wesentlich mehr zu entdecken als ich erwartet hatte. Auf den ersten Blick sind die österreichischen Minderjährigen so unterversorgt nicht, wie ich es erwartet hatte - wenigstens 20 periodische Zeitschriften fand ich da, für jeden etwas, vom Lehrling bis zum Alpenvereinsmitglied.

Etwas. Aber nicht mehr. Alle diese vielen Hefte habe ich durchgeblättert; an keinem ist meine Aufmerksamkeit hängen geblieben. Graphik sowohl wie Inhalt waren ein graues Einerlei; alles war austauschbar, den Elaboraten von Sparvereinen und Werbefirmen durchaus ebenbürtig.

Bis hierher erhielt also meine Pro- Comic-Einstellung noch kein Leck. Im Gegenteil. Ich hatte während meiner Arbeit sogar einen wahren Heißhunger danach entwickelt. Wenn ich doch nur endlich einen Comic …!

Also machte ich mich zum nächsten Kiosk auf. Beobachtete zunächst aus sicherer Distanz, ob sich Kinder überhaupt heranwagten an das schalterartige Gebäude; versuchte zu erkennen, was sie kauften. Und ließ mich schließlich in ein Gespräch mit dem Verkäufer ein. Ja, es kämen wohl viele Kinder; selten Eltern, die für ihre Kinder etwas kauften. Ob er mir etwas empfehlen könne? Nein, da habe er keine Ahnung. Er selbst habe keine Kinder. Aber die Auswahl sei eigentlich recht groß, ich möge mir nur alles in Ruhe anschaun.

Also schaute ich. Und freute mich, daß Mickey-Mouse und Donald Duck in altvertrauter heiler Welt aus dem Ständer lachten. Aber in welcher Umgebung! Fixi und Foxi sind wahre Klassiker im Verhältnis zu den übrigen Hefterin! Viele von ihnen kommen aus der gleichen Quelle. So die „Gespenster”, in deren letzten Nummer die vielversprechenden Titel „Fürstin der Finsternis”, „Die Gruft von Graf Dracula” aufscheinen, aber auch „Heidi - die schönsten Geschichten nach dem berühmten Roman”.

All dies als Comic gestaltet, versteht sich, auf schlechtem Papier, und den „Hefterin” für Erwachsene in Zeichen- und Schreibstil nachempfunden. Weitere Inspiration bietet den Heftreihen augenscheinlich das Fernsehen. Die Biene Maja hoppst da aus den Seiten, der rosarote Panther und die Familie Feuerstein teiben ihr Wesen.

Zunächst einmal also zu Dracula! (Ich vergewisserte mich beim Verkäufer, daß dieser Titel tatsächlich für Kinder gedacht sei.) Das Titelbild zeigt eine blonde Schöne mit großem De- kolletė, mit Sprechblase sich am Schminktisch umwendend: „Sie haben kein Spiegelbild! WER SIND SIE?” Antwort Draculas mit hocherhobenen Krallenfingern: „Ich bin DEIN TOD!”

Nun bin ich gar nicht der Meinung, daß man Kinder ständig in einer rosaroten Traumwelt halten sollte. Aber Tod in dieser Form? In dieser Sprache? Wer sagt da noch, Literatur habe einen zu schwerfälligen Wortschatz, man könne Kinder und Jugendliche nur mit einfachsten Satzgebilden ansprechen? Da sinniert nämlich Draculas Frau über ihr Schicksal: „Er ist doch mein Mann! Und mein Mann kann nicht in den Mantel der Sünde gehüllt sein!” oder der Bericht von Draculas Eindruck auf sein weibliches Opfer: „Ich spürte einen Schauder, denn es war, als drängte sein Blick direkt in meine Seele”. Die Sprach- schöpfungen machen ihren Erzeugern wahrhaftig alle Ehre: „Als der Vam- pirküler sįch dem Gemähre zuwen- det…” Vampirkiller und Gemähre! Was für ein Paar!

Das ganze Heft (wie fast alle übrigen hat es 30 Seiten und kostet um die zehn Schilling) hat eine einzige Nicht-Co- mic-Seite. Sie ist der Marvel-Post gewidmet, die etwas wie persönlichen Kontakt zwischen Machern und Lesern entstehen lassen will. Außerdem werden hier seriöse Diskussionen der Leser untereinander animiert und abgedruckt, so etwa zum Thema „Was ist typisch Frankenstein - was ist typisch Dr. Strange”? Dazu dann ernsthafte Abhandlungen im Jargon dieser Subkultur, den man sich erst anlesen muß, um überhaupt mitzukommen. Es sei denn,’ man folgt der Aufforderung der Redaktion und tritt einem Fan-Club bei, wo man dann in einer Spezialistenrunde seine Buseema- und Ro- mita-Probleme erörtern kann. Dazu liefert die Seite „Hallo Freunde” die theoretische Grundlage, sie will „euch alles Wissenswerte über wichtige Autoren, Zeichner und Verleger” bieten und Nachrichten aus dem „Goldenen Comic-Zeitalter”, der Zeit nach 1960 also.

Leserbriefseiten scheinen bei Kinderzeitschriften ein absolutes Muß zu sein. Auch „Heidi” macht in einem Leitartikel auf den „Heidi-Club” aufmerksam und vermittelt dann Brieffreundschaftswünsche. Hier wird sogar der Anschein erweckt, als dürften die Leser das Heft mitgestalten: Michaela hat ihr Bild „prima hingekriegt” und es wird zur Belohnung denn auch abgedruckt.

Eine eingehende Beschreibung der „Heidi” erspare ich den Lesern, aber ein Satz zur Einführung in den Heidi- Stil sei wenigstens zitiert: „Schon tastet Heidis Fuß tapfer über die schwankenden Bretter.”

Kleinere Kinder haben es ein wenig besser: im überaus kitschigen „Bus- sy-Bär” gibt es immerhin Bastelanregungen kreativen Charakters, Kasperlfiguren, die man auf die Finger stecken kann zum Beispiel. Ansonsten die üblichen Vorschulgeschichten und Rätsel.

Die Marktlücke auf dem Sektor Kinderzeitschriften hat allerdings in Österreich die Unternehmer endlich auf den Plan gelockt. Die „Wunderwelt” sucht seit Jänner neue Bahnen. Auf dem Hintergrund des bisher beschriebenen Kinderzeitschriftenangebots sind ihre Vorzüge geradezu unglaublich. Nach neuem Konzept „verkauft sie Kinder nicht für blöd”, sondern kommt auf vielfache Weise der Welt des Kindes entgegen. Eine Serie über die Frage: „Wie die Indianer wirklich lebten” bringt Informationen, mit denen Kinder tatsächlich ihren Horizont erweitern können; es gibt Hinweise, wo Kinder im ohnehin spärlichen österreichischen Angebot geeignete Theaterstücke oder Filme finden, es gibt Basteltips, die sich nicht nur auf das Ausmalen vorgezogener Flächen beschränken.

Lustig auch die Idee, Kinder in die Gestaltung der Zeitschrift miteinzu- beziehen. Sie ziehen als Reporter los und fragen diesmal nicht die Stars nach ihrer Meinung, sondern andere Kinder, und deren Meinung erweist sich als ebenso interessant oder uninteressant wie jene der sogenannten Gescheiten.

Neu ist heuer auch die „Am-Dam- Des”-Zeitschrift, teils für Kinder, teils für Eltern konzipiert. Sie hat allerdings noch zu keinem einheitlichen Stil gefunden, weder in der Ausstattung noch im Inhalt. Viele Vorschläge, großteils recht brauchbar, werden in ermüdender Fülle aneinandergereiht. Ein Vorschulkind findet sich da kaum zurecht - und gerade das sollte es aber, wenn es Interesse ein einer eigenen Zeitschriftfinden soll. Schade, denn es sind einige gute Ideen darunter. So die Photo-Text-Serie, die Entstehung und Team der Am-Dam-Des-Fernsehreihe beschreibt. Insgesamt ąber fehlt das Spielerische („Spielen” wird hier meist mit „Lernen” in Zusammenhang gebracht, sollte aber außerdem auch eine Dimension für sich sein). Man merkt die Absicht…

„Wunderwelt” also als positives Sternchen im Kinderzeitschriften-Mo- saik. Und das in einer Zeit, in der Kinderbuchverlage einen Boom erleben wie nie zuvor! Man kann nur hoffen, daß die anderen Zeitschriften und Zeitungen einspringen. Die Grazer „Kleine Zeitung” hat ja immerhin schon eine Kinderseite.

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