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Was fällt Ihnen zum Kolumbus-Jahr ein?

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Der Genueser Seemann Christoforo Colombo, bekannt unter seinem originellen Künstlernamen Christoph Kolumbus, ist als Entdecker Amerikas in die Geschichte eingegangen, obwohl der epochale Tolpatsch erstens zeit seines Lebens nicht entdeckt hat, daß er Amerika entdeckt hat und obwohl zweitens die Geschichte schon lange entdeckt hat, daß nicht Kolumbus, sondern die tollkühnen Wikinger Amerika entdeckt haben. Weil die Geschichte sich aber hartnäckig weigert, die Entdeckung der Entdeckung zu entdecken, hat sie Amerika weder nach den Wikingern, noch nach Kolumbus, sondern nach dem langweiligen Reiseschriftsteller Amerigo Vespucci benannt und Kolumbien mit skrupellosen Rauschgifthändlern vollgestopft.

Heuer feiem wir das fünfhundertjährige Bestandsjubiläum der historischen Verwechslungskomödie. Aus diesem Grund hat mich unlängst ein Herr vom Bayerischen Rundfunk eingeladen, eine Glosse zur Frage „Was fällt Ihnen zu Kolumbus ein?" zu schreiben. Unentwegt flattern derartige Angebote auf meinen Schreibtisch und verdecken die eigentliche Literatur, das Ringen um die Unsterblichkeit und sozusagen um die eigene Fünfhundertjahrfeier. Die Redakteure müssen sich das Leben der Dichter und Denker ganz schön fad vorstellen. Ich habe in letzter Zeit den immer stärkeren Eindruck, in den Redaktionen und Lektoraten sitzen lauter jubi-litiskranke Beschäftigungstherapeuten herum, die sich nicht vorstellen können, daß es Menchen gibt, denen weniger langweilig ist als ihnen.

Die Frage, was mir zu Kolumbus einfällt - ein bißchen mehr als das Ei sollte in der Glosse freilich schon vorkommen - erreichte mich mitten in der Arbeit an meinem großen Schopenhauerroman, was zeigt, wieviel Weltfremdheit ich mir gönne, was für ein ramponiertes Verhältnis zum Diesseits ich besitze. Ich schreibe wohl, weil meine Schlagfertigkeit erst in Zeitlupe so richtig zur Geltung kommt, anderenfalls wäre ich ja Zirkusdirektor oder Showmaster oder Politiker geworden. Schopenhauers nächster runder Geburtstag findet meiner literarischen Unternehmung zum Trotz im Jahr 2038 statt, der nächste gesellschaftsfähige Todestag auch erst 2010. Gut möglich, daß man 2038 schon meinen eigenen Todestag feiert, wer weiß, vielleicht verdienen die schmarotzenden Feuilletonisten 2038 bereits an mir.

Gerade haben wir das sogenannte Mozartjahr überstanden und unseren Amadeus lauttosend unter die Erde gebracht, sollen wir uns nun an die Auferstehung des Kolumbus machen, dabei ist mir ja schon zu Mozart kaum etwas eingefallen, weil schon so vielen so viel zu Mozart eingefallen ist. Um der fortgeschrittenen Forschung zum Trotz dochnochoriginell zusein, habe ich mich bei Mozart aus der Affäre gezogen, indem ich seine Anfänge als Wunderembryo im Mutterleib abgehandelt habe. Und ausgerechnet jetzt am Ende des Mozartjahres, nach Redaktionsschluß sozusagen, nach Ende der Einreichungsfrist kommt mir die revolutionäre Idee: Seit zweihundert Jahren spekulieren die Wissenschaftler, ob Mozart nicht etwa ermordet wurde, wie es sich für eine derartige Persönlichkeit gehört, seit zweihundert Jahren finden tolldreiste Recherchen und imaginäre Prozesse und Gerichtsverhandlungen statt, ein reges Kommen und Gehen auf der Anklagebank: Franz Hofde-mel ist ein heißer Tip, die Kollegen Franz Xaver Süßmayr und Antonio Salieri liegen ebenfalls gut im Vergifterrennen, und nicht einmal das liebe Stanzerl ist über jeden Verdacht erhaben. Cosi fan tutte. Daß Wolfgang Amadeus Mozart ausgerechnet am fünften Dezember gestorben ist, spielt für die mordlüsternen Forscher in ihrer Arroganz und Ignoranz und Berufsblindheit nicht die geringste Rolle, dabei weiß jedes Kind, welche Bewandtnis es mit dem fünften Dezember hat. Mozart ist nicht ermordet worden, er ist vom Krampus geholt worden, siehe dazu auch Don Giovanni, aber jetzt ist das Mozartjahr vorbei, jetzt ist Mozart tot und out und vom Tisch, jetzt kann ich wieder fünfzig Jahre warten, bis es sich lohnt, mit meiner Weisheit hausieren zu gehen.

Jedenfalls frage ich mich, warum auf das Mozartjahr ausgerechnet das Kolumbusjahr folgt. Ist Mozart etwas zu Kolumbus eingefallen? Vielleicht spielen in der Chronologie der Festivitäten Kugeln eine gewisse Rolle: Zum einen die Mozartkugeln, zum anderen die Kugelgestalt der Erde. Nächstes Jahr allerdings kommt der zweihundertste Todestag von Ludwig XVI. an die Reihe, und der ist beim besten Willen nicht mit Kugeln in Zusammenhang zu bringen: Ludwig wurde guillotiniert. Ungelöste Fragen finden sich freilich nicht nur bei dem in einem Massengrab verscharrten Mozart, sondern auch beim zu seinem Lebensende völlig in Vergessenheit geratenen Kolumbus in Hülle und Fülle. Warum etwa nannte der topographische Tolpatsch, der Kuba und Haiti partout für Inseln im Osten Indiens hielt, die nackten Rothäute am Strand Indianer, obwohl doch jeder Esel weiß, daß die Bewohner Indiens Inder heißen? War Kolumbus ein Legastheniker?

Bereits vor der großen Überfahrt wurde Kolumbus in seinem Glauben, auch über den Westweg nach Indien zu kommen, durch den portugiesischen Hofastronomen Martin Behaim aus Nürnberg bestärkt. Der hatte als erster einen Globus angefertigt und ihn „Erdapfel" genannt. In Wahrheit war Kolumbus nicht der Entdecker Amerikas, sondern Entdecker der Kartoffel, die in Europa unter eben jenem Pseudonym „Erdapfel" bald wesentlich mehr Furore machte als die Globusse. Wollte uns Kolumbus sagen, daß unsere Erde in Wirklichkeit etwa weder flach noch rund, wie Toscanelli meinte, sondern kartoffel-förmig ist? Mein Vater hat immer gesagt, viel Erfreuliches ist seit den Kartoffeln aus Amerika nicht mehr zu uns gekommen. Persönlich möchte ich anmerken, daß mir Kartoffeln nicht schmecken. Von mir aus hätte sich die Spanische Königin Isabella die

Ausrüstungs- und Reisekosten seinerzeit sparen können. Reis ist mir lieber. Aus Hinterindien.

Womöglich ist die ganze Fünfhun-dertjahrhysterie vom Kolumbusurur-enkel Mc Donalds inszeniert worden. Und warum kommt fünfhundert Jahre nach Kolumbus ausgerechnet ein gewisser Columbo nach Europa zurück, der sich nach der Entdeckung Amerikas auf die Entdeckung der mordlüsternen Amerikaner spezialisiert hat? Fragen über Fragen, und ich bin überzeugt, nach Ablauf des Kolumbusjahres werde ich nach alter Tradition die Antwort auf all diese Mysterien haben. Und genau dann wird ihre Publikation nicht nur für den Bayerischen Rundfunk, sondern selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten völlig unmöglich sein.

Einstweilen räume ich Ludwig XVI., Maria Antoinette, Kolumbus, all die anderen wehrlosen Jubilare und ihre aktuellen Skelette in die Schublade, es läutet, wie jeden Abend kommt mich mein guter, zweihundertvier Jahre alter Schopenhauer besuchen, wirft einen verächtlichen Blick auf das Angebot des Bayerischen Rundfunks und empfiehlt mir als Schlußsatz meiner Prominentenwiederaufbereitungsmeditation: „In Folge langer Erfahrung hat man aufgehört, von den Menschen viel zu erwarten; da sie, im Ganzen genommen, nicht zu den Leuten gehören, welche bei näherer Bekanntschaft gewinnen: vielmehr weiß man, daß, von seltenen Glücksfällen abgesehen, man nichts antreffen wird, als defekte Exemplare der menschlichen Natur, welche es besser ist, unberührt zu lassen."

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