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Was folgt auf den Tod ?

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Die drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam zeigen deutliche Parallelen in der Lehre von den Letzten Dingen, der Eschatologie.

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Die drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam zeigen deutliche Parallelen in der Lehre von den Letzten Dingen, der Eschatologie.

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„Wenn einer auch nur das Gewicht eines Stäubchens an Gutem getan hat, wird er es zu sehen bekommen. Und wenn einer auch nur das Gewicht eines Stäubchens an Bösem getan hat, wird er es ebenfalls zu sehen bekommen“ (Sure 99,7-8)*.

In immer neuen Variationen wird im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, in schaurigen Farben das Bild von Auferstehung und Gericht entworfen; und daneben sind die schrillen Töne der Gerichtsposaune nicht zu überhören. Der arabische Prophet sah das Ziel seiner Sendung darin, die Menschen zum rechten Eingottglauben zu führen und ihnen kundzutun, wie sie ihr Leben in Hinblick auf den Einen Gott gestalten müßten, um der ewigen Verwerfung zu entrinnen und der ewigen Glückseligkeit teilhaftig zu werden. Von daher ist es verständlich, daß die Lehre von der Auferstehung und dem Gericht eine zentrale Stellung in der islamischen Theologie einnimmt.

Alle drei monotheistischen Religionen stimmen darin überein, daß der Mensch nach seinem Tode einem Einzelgericht unterzogen wird. Das Verhältnis dieses Einzelgerichtes zum letzten Gericht, weiters der Zustand und die Weiterexistenz der Toten werden jedoch verschieden gedeutet. Neben dem Islam kennt auch das Judentum kein Fegefeuer im Sinne der katholischen Lehre, dafür aber eine Hölle, die für die einen ewig ist, für die anderen bloß eine Art Pur-gatorium.

Zu den Zeichen, die das Näherrücken des letzten Gerichtes ankündigen, gehört das Zunehmen der gottfeindlichen Kräfte; ein Faktum, das in der islamischen Tradition detailliert ausgeführt wird. Das Kommen des Mahdi (= Rechtgeleiteter) als Erneuerer des religiösen Lebens am Ende der Zeiten und die Wiederkunft Christi sind eher im Volksislam verankert. Im Koran und in der Tradition gibt es hierfür keinen Ansatzpunkt.

Nach der Darstellung des Koran leitet eine große Katastrophe das apokalyptische Schauspiel des Endgerichtes ein. „Jener Tag“ ist der „Tag der Auferstehung“, der „Tag des Gerichtes“, die „Stunde“ (des Gerichtes), der „Tag der Abrechnung“, der „Tag der Entscheidung“.

Ein gewaltiger Posaunenstoß wird die alte Weltordnung ins Wanken bringen: Eine große Angst wird Himmel, Erde und Menschen ergreifen — Die Erde bebt und die Berge wanken, sie werden zerbröckeln und zu Staub — Die Sterne erlöschen und stürzen — Der Mond spaltet sich und verfinstert — Die Sonne wird zusammengefaltet. Auch die Evangelien kennen den Gedanken, daß diese „Stunde“ plötzlich hereinbricht. Und diese „Stunde“ kennt niemand, außer Gott allein.

Ähnlich der neutestamentli-chen Gemeinde stand auch Muhammad in der Anfangszeit unter dem starken Erlebnis des bald zu erwartenden Gerichtes: „Die Katastrophe, die zu erwarten ist, steht nahe bevor. Niemand kann sie beheben, außer Gott“, heißt es in Sure 53,57-58. Vielleicht hat überhaupt die Bewußtwerdung dieses Gedankens Muhammad zum arabischen Propheten, zum Warner und Verkünder der Frohbotschaft in arabischer Zunge „gerufen“.

Mittelpunkt der eschatologi-schen Katastrophe ist die von Gott bewirkte Auferstehung der Toten, welche gemeinsam als eine zweite Schöpfung betrachtet wird. In eindrucksvollen Bildern und Gleichnissen wird diese Auferstehung der Toten den Ungläubigen im Koran verständlich gemacht. In der Natur zeigt sich deutlich, daß Gott als Herr über

Leben und Tod immer wieder das Lebendige aus dem Toten erweckt; so gibt zum Beispiel der Regen der ausgedorrten Erde neues Leben und neue Fruchtbarkeit. „Derjenige nun, der die Erde wieder belebt, kann auch die Toten wieder lebendig machen“ (Sure 41,39).

Ob nun die Auferstehung körperlich und seelisch oder nur seelisch zu denken ist, darüber wird viel diskutiert. Zur Beurteilung des Menschen beim Gericht werden sein Glaube und seine Werke berücksichtigt. Jeder haftet persönlich dafür, was er begangen hat. Die Möglichkeit, zugunsten eines Menschen oder eines Volkes Fürsprache einzulegen, ist nicht ohne weiteres gegeben, denn die Entscheidung steht an jenem Tage Gott allein zu; nur er kann Fürspracherecht einräumen, wem er will.

Neben den Büchern, in denen die Taten der Menschen aufgezeichnet sind — die Guten bekom-

,,ln prachtvollen Bildern werden die Wonnen des Paradieses gemalt“ men das Verzeichnis ihrer Taten in die rechte Hand, die Bösen in die linke Hand -, dient eine Himmelswaage zur gerechten Feststellung der guten und bösen Werke der Menschen. Die Verdammten kommen in die Hölle, die ewig dauert.

Noch bevor der poetische Geist Dantes Himmel und Hölle mit seinen Gestalten füllte, hat der Koran in drastischen Bildern die verschiedenen Qualen der Hölle gezeichnet: „Sie trinken eine Mischung von heißem Wasser“, „Das Höllenfeuer wird mit ihnen geschürt“, „Kleider aus Feuer sind ihnen zugeschnitten“, „Sie essen von einem Qualenbaum“...

Trotz der wiederholten Verbindung von Glauben und guten Werken bleibt nach der islamischen Tradition der Glaube das Hauptkriterium zur Begründung des endgültigen Urteils über die Menschen. Hingegen werden in prachtvollen Bildern die Wonnen des Paradieses gemalt: das unge^ trübte Glück im wunderbaren Garten Gottes mit seinen Flüssen von Wasser, Milch, Wein und Honig, mit seinem Uberfluß an Früchten und an allem, was dem leiblichen Wohl dient. Die im Paradies Verweilenden können auch Gott schauen.

Die jüdische und die christliche Eschatologie zeigen dieselbe Grundstruktur: kosmische Katastrophe, Auferstehung der Toten und das zweigeteilte Endgericht: Belohnung der Guten und Bestrafung der Frevler. Dazu kommt noch die Ubereinstimmung in vielen Einzelmotiven. Aber trotzdem ist das koranische Bild der escha-tologischen Ereignisse nicht ohne weiteres unmittelbar aus den jüdischen und christlichen Traditionen ableitbar. Beide haben ein dermaßen ausgesprochenes Proprium, daß auch ihre eschatologi-schen Vorstellungen niemals von diesem gelöst betrachtet werden können: die jüdische Apokalyptik kreist letztlich immer um das Schicksal Israels, und seine Messiasgestalt ist aus dem Ganzen nicht wegzudenken; in der christlichen Apokalyptik dagegen steht der wiederkehrende Christus im Zentrum.

In der koranischen Eschatologie jedoch haben die Gestalt des Messias und jene des Christus keine Bedeutung mehr. Entscheidend ist daher das Faktum, wie der arabische Prophet mit diesen ihm vorgegebenen eschatologi-schen Vorstellungen umgegangen ist. Hierbei zeigt sich klar, daß er die jüdischen und christlichen Traditionen von allen partikularen Glaubensinhalten befreit hat, und über die kommenden Ereignisse nur mehr in allgemeiner Terminologie berichtet.

Das Prinzip Einheit hat seine Konsequenzen auch für die islamische Eschatologie; denn die Einheit Gottes bedingt die Einheit der Botschaft, die jedem einzelnen und jedem Volk gleichermaßen angeboten wird. Und diese Einheit der Botschaft hat die Allgemeinheit der eschatologischen Darstellung bedingt.

Der Autor ist Dozent am Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz.

* Der Koran besteht aus 114 Suren, die wiederum in Verse unterteilt sind.

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