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Was gilt Breschnews Ja?

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In den Ostblockstaaten werden die Regimekritiker weiter gerichtet, trotz Helsinki, trotz Belgrad und trotz des in den kommunistischen Metropolen Osteuropas immer wieder beteuerten Willens zur Entspannungspolitik. Wer es bis jetzt noch nicht glauben wollte, wer von der entspannungsorientierten Praxis des Kreml und seiner Satelliten überzeugt war, dem werden jetzt von kommunistischen Machthabern selber die Augen geöffnet: Die Vereinbarungen der Schlußakte von Helsinki zählen in der kommunistischen Praxis einiger Staaten Osteuropas ganz einfach nichts, auf die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Uberzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ wird in Teilen des osteuropäischen Machtimperiums kein Wert gelegt!

Man kann dem, was in der Sowjetunion und in der Deutschen Demokratischen Republik in letzter Zeit passiert ist, nur noch fassungslos gegenüberstehen, muß Zorn, Ohnmacht und Resignation empfinden, wenn man sieht, wie in Moskau und Ost-Berlin hinter Menschen schwere Gefängnistore zufallen; hinter Menschen, die nur etwas getan haben, was alle Menschen tun: Sie haben nachgedacht über die Gesellschaft, in der sie leben; sie haben die politische und soziale Situation in ihrer Umgebung zu analysieren versucht und sind dabei zu Ergebnissen gekommen, die nicht den Ergebnissen ihrer Machthaber entsprochen haben. Dafür, daß sie nachgedacht und ihre Ansichten weiterverbreitet haben, sollen sie nun mundtot gemacht werden, indem man sie aus der Gesellschaft verbannt.

Dabei haben etwa die „Helsinki-Gruppen“ in Moskau und anderen sowjetischen Städten nicht einmal politischen Opportunismus ausgeübt. Sie haben ganz einfach die Einhaltung der Vereinbarungen der Schlußakte von Helsinki gefordert, die Breschnew ja schließlich selbst unterzeichnet hat. Gilt die Unterschrift des Genossen Parteivorsitzenden überhaupt nichts? Hat er in Helsinki nur die Schriftzüge seiner Unterschrift geübt? Die Mitglieder der „Helsinki-Gruppen“ waren jedenfalls davon überzeugt, daß die Unterschrift des höchsten Mannes im

Sowjetstaat bindend ist. Sie haben sich offensichtlich geirrt!

Abgezeichnet hat sich der neue überharte Kurs der Kreml-Führung gegen die Bürgerrechtler schon beim Prozeß gegen Juri Orlow, der zu sieben Jahren Arbeitslager und fünf Jahren anschließender Verbannung verurteilt wurde. Anatoli Schtscharanski, einem 30jährigen Computerspezialisten, droht jetzt sogar die Todesstrafe wegen Hochverrats. Offizielle sowjetische Begründung: Schtscharanskij habe für den amerikanischen Geheimdienst spioniert. Dabei hat der amerikanische Präsident Carter auf einer Pressekonferenz selbst erklärt, „eine doppelte Uberprüfung“ hätte ihn davon überzeugt, daß „Herr Schtscharanskij unseres Wissens niemals irgendeine Verbindung zur CIA hatte“. Was die sowjetische Justiz freilich nicht davon abhielt, am Vorwurf der Spionage festzuhalten und so die Erklärungen des US-Präsidenten nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.

Alexander Ginsburg, ein 40jähriger Schriftsteller, muß mit einer Strafe bis zu zehn Jahren Lagerhaft rechnen. Seine Anklage lautet auf „antisowjetische Tätigkeit“, das gleiche Verbrechen, wie es Juri Orlow begangen haben soll. Pjatkus, ein weiterer Bürgerrechtler, soll in der litauischen Hauptstadt WUna vor Gericht gestellt werden.

Offenbar gibt es auf höchster Ebene im Kreml einen Beschluß, nach dem das Problem der Dissidenten mit rücksichtloser Gewalt und Einschüchterung zu lösen sei. Interessant dabei ist, daß die Bürgerrechtler weniger als kommunistische Abweichler denunziert werden. Sie sind vor allem „Verräter am sowjetischen Vaterland“, Leute, die den geheiligten Sowjetstaat im Ausland in Mißkredit gebracht haben. Die Propaganda ist demnach so angelegt, daß breite Schichten der Sowjetbevölkerung sich mit den Anklagen identifizieren können: Verurteilt werden schließlich nicht Systemkritiker, sondern Leute, die dem sowjetischen Nationalismus schweren Schaden zugefügt haben. Warum sonst wohl wird von offizieller sowjetischer Seite immer wieder der jüdische Anteil bei den Bürgerrechtlern herausgestrichen?

Bei der ganzen Entwicklung des Dissidentenproblems in Osteuropa kam es nicht unerwartet, daß die treuesten Gefolgsleute des Kreml in den osteuropäischen Satelliten nun die gleichen Praktiken wie Moskau verfolgen. In Ost-Berlin läßt man den selben eisigen Wind wie in der Hauptstadt des großen Bruders blasen. Zum Schweigen gebracht werden hier Leute wie Rudolf Bahro oder Nico Hübner. „Beide Schuldsprüche sind erschreckend“, kommentiert dazu die „Süddeutsche Zeitung“: Zum einen wegen der Rigorosität, mit der hier Ex-empel statuiert und Strafen zum Zwecke der Abschreckung verhängt worden seien; zum anderen wegen der Mentalität, die sich auf diese Weise verrate: „Offenbar ist die politische Urteilsfähigkeit bei einem Teil der Machthaber zu einem plumpen Freund-Feind-Denken verkümmert.“

Es war der 22jährige Ostberliner Nico Hübner - er ist am vergangenen Freitag wegen Wehrdienstverweigerung zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden -, der dieses „Freund-Feind-Denken“ in einer Studie über die DDR-Gesellschaft aufzeigte: „Die Wahrnehmung der tatsächlichen Welt wird der Zwangsjacke ideologischer Begriffe unterworfen. So wird klar festgelegt, was .fortschrittlich' ist und gefördert und was .reaktionär' ist und bekämpft werden soll. .Reaktionär' ist auf alle Fälle stets der, der nicht der Meinung der SED ist.“

Hübner wollte sich nicht dem System beugen, „das sich nur durch totalitäre Bewußtseinsmanipulation, durch Bespitzelung von (Anders-) Denkenden, durch Erpressung und Verleumdung an; der Macht halten kann“. Er mußte es trotzdem, wird es aber leichter als seine Leidensgenos-sen ertragen, da er sich von Anbeginn darauf gefaßt gemacht hatte, „den Strafvollzug des Regimes von innen kennenzulernen“.

Die Liste der Regimekritiker in der DDR, die ausgebürgert oder inhaftiert worden sind, ist lang: Wolf Biermann, Robert Havemann, Helmut Warmbier, Werner Molik sind nur die bekanntesten unter ihnen, weil sie sich auch im Westen Gehör verschaffen konnten. Gehör geschenkt wird in der DDR aber scheinbar überhaupt keinem Bürger, der sich kritisch zum Regime äußert. Selbst wenn er sich dabei zum Marxismus-Leninismus bekennt - er wird zum Schweigen gebracht, denn nur die Partei kann Marx, Engels oder Lenin richtig interpretieren.

Da ist selbst Rudolf Bahro auf dem Holzweg, der aus marxistischer Sicht den SED-Staat analysierte, kritisierte und seine Untersuchung in dem Buch „Die Alternative“ veröffentlichte (siehe Buchbesprechung Seite 11). Die Suche nach der „sozialistischen Alternative“ in den kommunistischen Staaten des Ostens müßte eigentlich schon überholt sein, weil es eine solche offenbar nicht gibt. Natürlich gilt es die bestehenden Verhältnisse zu „humanisieren“, wie es die Regimekritiker anstreben -, im Rahmen der kommunistischen Ideologie ist das aber offensichtlich nicht durchführbar. Und also bedarf es keiner „sozialistischen Alternative“, sondern einer „Alternative zum Sozialismus“. Nicht die politischen Verhältnisse hat eine Fäulnis befallen, das ganze kommunistische System hat seit seiner Geburtsstunde unheilbare Krankheitsherde in sich.

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