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Was gilt der Rat der Länder?

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In den vergangenen zwölf Monaten hat sich im Bundesrat allerhand getan: Es gab eine Reihe von dringlichen Anfragen, die aus aktuellem Anlaß (vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen oder Lkw-Steuer) an die zuständigen Minister gerichtet wurden; es gab „normale“ Anfragen und Entschließungsanträge; vor allem aber machten die Bundesräte von ihrem Recht, gegen Gesetzesvorlagen des Nationalrates Einspruch zu erheben, lebhaft Gebrauch: Insgesamt sechzehn Mal legten sich die Ländervertreter mit Hilfe ihres allerdings nur suspensiven Vetorechtes gegen Beschlüsse des Nationalrates quer; etwa gegen das 2. Abgabenänderungsgesetz, gegen die Scheidungsreform oder gegen das Zwen-tendorf-Gesetz.

Zum Vergleich: In den ersten 20 Jahren der Zweiten Republik erhob Österreichs Länderkammer nur vierzehn Mal Einspruch gegen Gesetze des Nationalrates.

Allerdings: Der Prinz, der das Dornröschen der österreichischen Parlaments-Demokratie wachgeküßt hat, leidet an einem entscheidenden Mangel. Die außergewöhnliche Kraft seiner Küsse ist auf den Zeitraum von drei halben Jahren beschränkt. Denn genau so lange - von Mitte 1977 bis Ende 1978 - verfügt die im Nationalrat oppositionelle Volkspartei über die Mehrheit der Stimmen im Bundesrat. Dies deshalb, weil nach unserer Verfassung der Vorsitz im Bundesrat wechselt, was dann zu einer kuriosen Situation führt, wenn die beiden Großparteien wie derzeit über gleichviel Stimmen (29:29) verfügen, weil die Stimme des Vorsitzenden jener Fraktion fehlt, die diesen stellt. Und seit 1. Juli 1977 stellen eben die sozialistisch regierten Bundesländer in der Reihenfolge Wien, Burgenland und Kärnten jeweils für ein halbes Jahr den Vorsitzenden des Bundesrates.

Obwohl - oder gerade weil - der Bundesrat durch seine derzeitigen Mehrheitsverhältnisse in der Lage ist, gemäß seiner Konzeption ein föderalistisches Gegengewicht zum Nationalrat abzugeben, stellt sich die Frage nach der Effektivität dieser Institution: Schließlich sollte es ein wenig nachdenklich stimmen, wenn beide Großparteien in einem Bundesland (Steiermark) gemeinsame Front gegen

ein Bundesgesetz (Lkw-Steuer) machen, die ÖVP dann aber den Einspruch gegen dieses Gesetz allein beschließen muß, während die SPÖ-Ver-treter dieses Landes im Bundesrat ihren Fraktlonskollegen vom Nationalrat die Mauer machen.

Die skeptische Haltung der Sozialisten gegenüber der Länderkammer hat ihre Wurzeln in der Ersten Republik. Wie Univ.-Prof. Herbert Schambeck, selbst Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des Bundesrates, in einem Beitrag zum „Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart“ festhält, hat schon Robert Danneberg, einer der Hauptverhandler der Sozialdemokraten für den Verfassungsentwurf 1920, erklärt, daß es seiner Partei gelungen sei, die Einrichtungen des Bundesrates im gemeinsamen Verfassungsentwurf jeder politischen Bedeutung zu entkleiden und die Kompetenz der Landtage auf ein Minimum einzuschränken.

Wer sich über die Ohnmacht des Bundesrates den Kopf zerbricht, sollte nicht den Fehler begehen, Ursache mit Wirkung zu verwechseln. Ursache seiner Ohnmacht, aus der der Bundesrat aufgrund von Zufälligkeiten (siehe Vorsitz-Wechsel) hin und wieder er-

wacht, ist die Halbherzigkeit seiner Konstruktion. Die mangelnde Bindung der Bundesräte an die sie entsendenden Landtage hat zur Folge, daß sich im Bundesrat parallel zum Nationalrat Fraktionen bilden, die sich sozusagen von Haus zu Haus unterstützen.

In der Praxis kann dieses fraktionstreue Verhalten im Bundesrat durch die Statistik belegt werden: In der Koalitions-Ära gab es kaum Einsprüche der Bundesräte gegen Bundesgesetze. Als die SPÖ nach einer Reihe von für die ÖVP verheerenden Landtagswahlen im Bundesrat Ende der sechziger Jahre die Mehrheit bekam, nützte sie diese dazu, um gegen die von der ÖVP-Mehrheit im Nationalrat beschlossenen Gesetze Einspruch zu erheben. Und heute votieren die Bundesräte der ÖVP gegen Gesetze der Sozialisten.

Ein weiterer, vielleicht schwerer wiegender Mangel besteht darin, daß das Vetorecht des Bundesrates immer mehr zum Formalakt degeneriert. Daß die durch den Einspruch betroffenen Abgeordneten des Nationalrates sich ernstlich über die Gründe der Bundesrats-Ablehnung den Kopf zerbrechen, glauben wohl nur naive Träumer. Be-

harrungsbeschlüsse im Nationalrat bedeuten nicht Mehrarbeit für die Köpfe, sondern für die Beine: Weil die Herren Mandatare noch einmal aufstehen müssen.

Wegen der bereits auf dem politischen Reißbrett vorgeplanten Mängel konnte der Bundesrat in der Praxis seine Arbeitsweise weder mit den Ländern noch mit dem Nationalrat in fruchtbringender Form koordinieren. In nicht wenigen Fällen wurde der Sitz im Bundesrat, bei der ÖVP wie der SPÖ, zum Notpflaster für jene Politiker, die im jeweiligen Landtag noch nicht oder nicht mehr Platz fanden.

Daß die Sozialisten, die die Mehrheit und damit die Macht haben, einer echten Stärkung des Bundesrates nichts Positives abgewinnen können, sollte nicht hindern, über dieses Thema nachzudenken. Und einen Blick über die Grenzen zu werfen: In der Bundesrepublik ist die Situation der österreichischen insofern durchaus ähnlich, als auch dort die Sozialdemokraten (mit der FDP) im Bundestag die Mehrheit besitzen, während der Bundesrat von den Unionsparteien dominiert wird.

Der Unterschied ist freilich ein entscheidender: Die völlig andere Struktur des deutschen Bundesrates bringt es mit sich, daß er kein so schattiges Dasein führt, wie sein österreichisches Gegenstück. Erstens können die Mitglieder des deutschen Bundesrates gegen alle „zustimmungspflichtigen“ Gesetze (rund 55 Prozent) mit einfar eher Mehrheit ein absolutes Veto einlegen. Zweitens können sie mit zwei Drittel ihrer Stimmen jedes beliebige Gesetz verwerfen. Drittens gibt es einen „Vermittlungsausschuß“ zwischen Bundesrat und Bundestag, der im Regelfall für brauchbare Kompromisse und verstärkte Zusammenarbeit sorgt. Und viertens sitzen im deutschen Bundesrat nur Mitglieder der Landesregierungen, was seinen parlamentarischen Charakter freilich verkürzt, dafür aber mit sich bringt, daß Landespolitik und Bundespolitik nicht so auseinanderklaffen wie in Österreich.

Die insgesamt stärkere Gewichtung des deutschen Bundesrates hat es mit sich „gebracht, daß die Landtagswahlen, zumal seit 1970, immer stärker auch den Charakter von gleichsam mittelbaren Bundesratswahlen angenommen haben. Gerade in diesen Wochen zieht man in der Bundesrepublik sehr wohl ins Kalkül, daß der allfällige Sturz der SPD-FDP-Koalition in Hessen bei den Landtagswahlen am 8. Oktober weitreichende Folgen haben könnte: Die Union hätte damit im Bundesrat sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was die wackelige Bonner Koalition zum Einsturz bringen könnte.

Der Blick über unseren eigenen Zaun soll freilich nicht dazu verleiten, ein fremdes Modell kritiklos für österreichtauglich zu erklären.

Der Blick über den Zaun - nicht nur in Richtung Deutschland - soll aber zeigen, daß es anders (und keineswegs schlechter) auch geht. Eine Reihe von Wünschen zur Stärkung des Bundesrates liegen in Wien seit geraumer Zeit auf dem Verhandlungstisch. Man sollte alle Parteien dafür gewinnen, über kosmetische Reparaturen hinaus dafür Sorge zu tragen, daß die Politik des Bundes und der Länder in Hinkunft besser und reibungsloser ineinandergreifen.

Möglichst bevor Dornröschens Schlaf-Saison von neuem anbricht.

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