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Digital In Arbeit

Was haben die Ingenieure falsch gemacht?

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Kein politisches System hat in den vergangenen Jahrtausenden vermocht, das zu tun, was Ingenieure zuwege brachten, indem sie die Erkenntnisse von Naturwissenschaften! nutzten: der breiten Masse der Menschheit schwere Arbeit abzunehmen, damit die Sklaverei zu beenden und ihr einen Lebensstandard zu verschaffen, den noch vor Jahrzehnten niemand erträumt hat.

So hat sich etwa in der Bundesrepublik Deutschland in je 25 Jahren ab 1875 das Volkseinkommen pro Einwohner bis zu 30 Prozent erhöht, ab 1950 aber um 300 Prozent. Dabei ist in diesen 100 Jahren die Arbeitszeit beinahe auf die Hälfte gesunken.

Trotzdem macht sich heute ein Unbehagen breit, das nicht zu übersehen ist: So werden manche Methoden, die zu diesem Erfolg geführt haben, pauschal angegriffen, wie etwa die Arbeit am Fließband, eine zwar monotone, aber körperlich leichte Arbeit, die eine preiswerte Mengenproduktion erst ermöglicht hat.

Mit der Frage nach den Ursachen, mit der Überlegung: „Was haben wir Ingenieure falsch gemacht?”, beschäftigt sich Dipl.-Ing. Ernst Fuhrmann, Vorsitzender des Vorstandes der Porsche AG., und Honorarprofessor an der Technischen Universität in Wien. Seine Begründung, warum nach den großartigen Erfolgen der letzten 200 Jahre die Ingenieure plötzlich Mißtrauen, ja Undank ernten: „Wir sind vielfach bei dem stehengeblieben, was zu Beginn der technischen Entwicklung eine sinnvolle Beschränkung war, bei der Bearbeitung von Teilsystemen, wie Motor, Getriebe und Bremsen. Wir haben dabei das Gesamtsystem aus dem Auge verloren, wie etwa den gesamten Verkehr mit seinen vielfachen Auswirkungen auf die Umwelt.”

Als Folge dieser Vernachlässigung ergaben sich nicht immer die bestmöglichen Arbeitsplätze, eine fast unerträgliche Belastung der Umwelt durch Abgase, Staub, Lärm und eine Verschandelung der Landschaft, aber auch eine starke Ausbeutung der Rohstoffvorräte.

Wie und zu welchem Preis können aber nun die Ingenieure wieder Abhilfe schaffen? Prof. Fuhrmann erklärt: „Es war bisher in der Industrie geübter Brauch, unter dem Stichwort der .Rationalisierung Arbeitsplätze einzusparen und dafür teure Maschinen und mehr Material oder Energie einzusetzen. Das führte in einigen Fällen, vor allem im Konsumgüterbereich, zur Wegwerfproduktion. Reparaturen werden wegen des hohen Lohnanteils nicht mehr ausgeführt, dafür eher neue und komplette Anlagen beschafft. Dieses System wird darüber hinaus pervertiert, indem die Kunden dazu verführt werden, auch noch brauchbare Gegenstände wegzuwerfen.”

Dieser sinnlosen Verschwendung muß, meint der Experte, Einhalt geboten werden. Als Beispiel dafür, wie man Rohstoffe gewinnen kann, ohne die natürlichen Vorräte unwiederbringlich auszubeuten, nennt Prof. Fuhrmann die Alkoholherstellung aus Pflanzen - ein Weg, hochwertigen Treibstoff für Fahrzeugmotoren zu gewinnen.

In Brasilien wird bereits seit 1966 bis zu 25 Prozent Äthylalkohol dem Benzin beigemischt, der aus Zuckerrohr oder Maniokwurzeln hergestellt wird. Auch in Italien wird erwogen, aus Zuckerrüben, Obst und Zellulose Äthanol zu gewinnen. Nach Veröffentlichungen der Benzinfirma AGIP kann man auf einer Anbaufläche von nur

10.000 Hektar Zuckerrüben ein bis zwei Millionen Tonnen Äthanol pro Jahr ernten. Danach brauchte man, um den gesamten Benzinverbrauch der Bundesrepublik durch Treibstoff auf „Zuckerrübenbasis” abzudecken, eine Anbaufläche von etwa 50 mal 50 Kilometer.

Als weitere Möglichkeit für den Ingenieur, Versäumtes wieder gutzumachen, nannte der Porsche-Experte die Langzeitnutzung, demonstriert am Beispiel des Langzeitautos. Personenwagen halten heute etwa zehn Jahre. Sie könnten aber, etwa bei Verwendung von feuerverzinktem Stahl oder Aluminium für die Karosserie, auch 18 bis 20 Jahre leben. Das brächte Materialeinsparungen zwischen 55 und 65 Prozent und Energieeinsparungen zwischen fünf und 20 Prozent.

Gerade jetzt, da sich die Räder der Konjunktur langsamer drehen, wäre es möglich, durch die Einführung der Langzeittechnologie - und das nicht nur beim Auto - jenen langersehnten Entwicklungsschub auszulösen, der zu einem neuen wirtschaftlichen Boom führen könnte.

Im Übereifer, Fehler der Vergangenheit wieder gutzumachen, dürfe man allerdings nicht in das andere Extrem verfallen, wie das - wieder am Beispiel des Autos - immer wieder vorkommt, deponierte Prof. Fuhrmann. Sie hat man etwa in Kalifornien im vergangenen Jahr mit riesigem Aufwand bei Ottomotoren den Anteil an Kohlenmonoxyd auf ein Zwanzigstel, von Kohlenwasserstoffen auf ein Fünfundzwanzigstel und von Stickoxyden auf ein Zehntel des 1960 üblichen Wertes verringert und will bis 1982 noch einmal stark verringern.

Würde man diese Vorgangsweise in der westlichen Welt mit ihrer jährlichen Automobilproduktion von 20 Millionen Pkw anwenden, so würde das 140 Milliarden Schilling kosten. Zum Vergleich: Die gesamte Entwicklungshilfe der OECD betrug 1976 an die 200 Milliarden Schilling. „Bei diesen Beträgen erscheint mir das Motto ,Je weniger Auspuffgase, desto besser1, etwas grob”, meinte Prof. Fuhrmann. „Die Milliarden, die hier notwendig wären, sind gewiß anderswo besser zu investieren.”

In Konfliktsituationen kann der Ingenieur aber auch etwas bei der Außengeräuschbekämpfung von Autos kommen. Durch Kapselung des Motors und Vergrößerung des Auspuffs kann man die Geräusche um acht bis zehn Dezibel absenken, allerdings gekoppelt mit einer Gewichtserhöhung von 30 bis 60 Kilo. Das erhöht nicht nur die Herstellungskosten, sondern auch den Kraftstoffverbrauch um 2,5 bis fünf Prozent.

Wollte man nun die Vorschriften in dieser Richtung verändern, würde dies

- überschlagsmäßig berechnet — bedeuten: In Österreich gibt es derzeit etwa 1,8 Millionen Pkw. Jährlich werden 180.000 bis 200.000 neu zugelassen. Allein für diese würde sich der Preis um insgesamt rund 1,4 Milliarden Schilling pro Jahr erhöhen, der Benzinverbrauch in etwa zehn Jahren - wenn die ganze Wagenflotte umgestellt ist - um etwa 100.000 bis 200.000 Tonnen pro Jahr. Dazu kommen noch die Lastkraftwagen. „Es bleibt also abzuwägen”, so Prof. Fuhrmann, „ob die Lärmreduzierung wirklich acht bis zehn Dezibel sein muß, oder ob nicht vier bis fünf genügen - mit einem Bruchteil der Kosten.”

Der Wissenschafter meint abschließend: „Der Ingenieur, der für jeden einzelnen Fall sehr viel perfektere Vorschläge machen kann, muß selbst das richtige Maß finden. Dazu sollte das Gesamtsystem beachtet und in schwierigen Fällen versucht werden, mit der Methode kleiner praktikabler Schritte über längere Zeit hinweg das gesteckte Ziel auf wirtschaftliche Weise zu erreichen. Hält sich der Ingenieur von heute an diese Maßstäbe, die ein hohes Maß an Verantwortung voraussetzen, so wird er auch die Vertrauenskrise der vergangenen Jahre überstehen.”

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