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Was haben wir gelernt?

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Die Obrigkeit, das war für JL • die Kirche in Österreich über Jahrhunderte der Kaiser, war für die Kirche in Österreich etwas Unverrückbares. Dieses Obrigkeitsdenken ist, obwohl sich die historischen Verhältnisse so radikal geändert haben, meinem Gefühl nach noch immer stark in der Kirche in Österreich verhaftet, und zwar nicht nur in der Hierarchie, sondern auch an der vielzitierten Basis.

Dieses Obrigkeitsdenken hat nicht nur zu diesen Ergebnissen geführt, von denen wir in diesen Tagen gehört haben, sondern dieses Obrigkeitsdenken führt auch heute noch zu einer auffallenden Willfährigkeit gegenüber der Staatsgewalt. Ich denke, daß hier kritischere Positionen zu überlegen und wohl auch einzunehmen sind.

2. Einige der Zeitzeugen haben gemeint, zu dieser Erklärung der Bischöfe, aber auch zu anderen Dingen im Umfeld dieses März 1938 hat doch auch ein Umstand geführt, den man der politischen Naivität zuschreiben muß. Ich frage mich, ob nicht auch wir in der Katholischen Kirche Österreichs heute von einer politischen Naivität verschiedenen Zeitströmungen gegenüber gekennzeichnet sind.

Ich meine, diese politische Naivität hat sich gegenüber den vergangenen Jahrzehnten nicht nur nicht vermindert, sie hat sich in einer bestimmten Position noch zusätzlich verschärft, und zwar durch den an sich so erfreulichen und unwiderruflichen Rückzug der Kirche aus der Partei- und Tagespolitik.

Weil man mit der Politik in weiten Teilen des Kirchenvolkes ja gar nichts-mehr zu tun haben möchte. Das politische Geschehen, auch die Debatte über das Jahr 1938, wird von den Katholiken weithin anderen Kräften überlassen. Gehen Sie doch hin zu den Mahnwachen und hören Sie zu! Wo meldet sich denn da ein Christ zu Wort? Hier geben völlig andere Kräfte den Ton an.

Im katholischen Bereich begnügt man sich oft mit handgestrickten Kalenderweisheiten über Politik und politisches Geschehen, und ich finde das für die Zukunft einen besorgniserregenden Zustand.

3. Die Kirche hat den Widerstand 50 Jahre lang überwiegend ignoriert. Das ist doppelt unverständlich, weil die Kirche in Österreich nach mehr als 1.000 Jahren wieder Märtyrer gehabt hat in diesen sieben Jahren! Und diese Märtyrer wurden vergessen, verdrängt, übersehen, und niemand kennt sie!

Als Professor Liebmann bei uns in der Steiermark zum ersten Mal allein die Priester aufgelistet hat, die umgebracht worden sind, waren mit ein oder zwei Ausnahmen die Namen den Leuten, den Priestern, dem Klerus und dem Volk völlig unbekannt, sogar unbekannt in den Heimatgemeinden dieser Priester!

Der gegenwärtige Papst, der so gerne zu einem Buhmann emporstilisiert wird, hat diesen Punkt offenkundig voll erkannt, wenn Sie nur daran denken, daß er in Deutschland Selig- und Heiligsprechungen vorantreibt von solchen Männern des Widerstandes, da ja offenbar auch in der Bundesrepublik hier ein Verdrängen gegeben war.

Ich unterstreiche daher die Aufforderung von Professor Liebmann, daß doch diese Tage von der Kirche genützt werden, die Märtyrer in den Vordergrund zu stellen, daß doch endlich diese Schicksale deutlicher hervorgehoben werden, daß Männer, die nach wie vor unter uns leben, wie Pater Josef Zeininger, der in der Todeszelle des Landesgerichtes, zum Tod verurteilt, 1945 befreit worden ist, gehört werden.

4. Ich meine, daß das, was Doktor Kirchschläger gestern gesagt hat - die Bilder von diesen Juden, die gezwungen worden sind, die Parolen wegzukratzen — das eigentlich Bedrängende ist. Auch wir in etwas jüngeren Jahrgängen als die Zeitzeugen, die gestern gesprochen haben, haben uns um unsere jüdischen Klassen- und Schulkameraden nicht gekümmert, die plötzlich verschwunden sind........

* Ich kann mich nicht erinnern, -daß darüber je geredet worden ist. Das ist, glaube ich, die Schuld, das ist etwas, was wir uns in Erinnerung rufen müssen. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, daß nicht hur der Episkopat, sondern auch die sogenannten Normalkatholiken instinktiv der Meinung waren, wir sind für die nicht zuständig, denn das sind ja keine Christen, keine Katholiken, und eigentlich hat erst das Zweite Vati-kanum mit dieser Mentalität gebrochen.

5. Eine Konsequenz, gerade für uns katholische Publizisten, scheint mir zu sein, zu. bedenken,was von fast allen Zeitzeugen der letzten zwei Tage in so eindrucksvoller Weise dargestellt wurde, nämlich, wie aggressiv die Kirchenfeindlichkeit des Regimes gewesen ist, welche Emotionen da mit eine Rolle gespielt haben, bis hin zu dieser Verwüstung des Erzbischöflichen Palais ... Diese Kirchenfeindlichkeit ist doch im Untergrund, in Ressentiments nach wie vor da.

Welche Wellen des Kirchenhasses sind über dieses Österreich in den letzten 100 Jahren hinweggegangen! Von der Los-von-Rom-Bewegung am Ende der Monarchie über die sozialdemokratische Kirchenaustrittswelle mit 10.000 Kirchenaustritten in den zwanziger Jahren bis zur doppelten Zahl von Kirchenaustritten in der NS-Zeit, von denen nur ein Teil zurückgenommen wurde nach 1945.

Wir stehen mitten in einer Epoche, wo es überhaupt keine offizielle kirchenfeindliche Bewegung gibt, und wir sehen uns vor dem Faktum, daß mehr Leute aus der Kirche austreten als während der sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Kirchenaustrittswelle. Und bis heute gibt es keine Untersuchung über die Motive dieser Kirchenaustrittswelle!

Eine Konsequenz muß sein, daß wir uns stärker mit den Ursachen dieser Kirchenfeindlichkeit befassen, auch ob nicht wir diese Kirchenfeindlichkeit als Kirche provozieren, daß wir durch verschiedene Bilder, die wir bieten, Jesus nicht den Weg bereiten, sondern den Weg zu ihm verstellen.

6. Es hat zwischen 500.000 und 600.000 registrierte Nationalsozialisten in Österreich gegeben. Verschiedene Zeichen sprechen dafür, daß ein nicht unerheblicher Teil dieser Menschen damals in die innere Emigration gegangen ist... Engagement ist sozusagen tabu, weil man sich ja mehr als die Finger verbrannt hat. Die Kirche ist, so meine ich, in diesen Kreisen wenig gefragt. Und ich glaube, daß sich diese Stimmung fortsetzt in Zehntausenden österreichischen Familien, von Generation zu Generation.

Das sind keine Nazi, ich bestreite das. Das sind Menschen, die in der Diskussion um Schuld und Sühne Österreichs oft vergessen werden, weil es Hunderttausende gegeben hat, und auch das wird vergessen und nicht ausgesprochen, die wirklich aus Idealismus zum Nationalsozialismus gekommen sind, und die sich nachher eingestehen mußten, ich bin hineingelegt worden, ich bin selber zum Opfer geworden für eine falsche Sache.

Das ist bitterer als der Märtyrer, der für seine Sache stirbt und weiß, es ist die gerechte Sache. Das ist die bitterste Verwundung, die einem Menschen überhaupt zugefügt werden kann!

Um diese Menschen haben sich viele Seelsorger seit 1945 gewiß individuell bemüht, die Parteien haben dieser Menschengruppe Posten angeboten und ihnen Karrieren versprochen, aber inhaltlich ist, glaube ich, mit dieser so großen Gruppe von Österreichern eigentlich nicht ernsthaft geredet worden... auch von der Kirche nicht.

7. Unser Land hat die Diktatur erlebt, die Folgen der Diktatur sind bis heute spürbar, auch für die Jüngeren, die das gar nicht mehr selber erlebt haben. Wir sollten uns daher um jene Menschen kümmern, die auch heute noch unter Diktaturen leben müssen. Es ist ein Versäumnis gerade von uns Österreichern, daß wir uns nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur und nach der heroischen Hüfe für die Ungarn-Flüchtlinge im Jahre 1956 um unsere Nachbarländer im Osten eigentlich beschämend wenig kümmern.

Wir Österreicher hätten aus der Kenntnis der Dinge und aus der Nähe zu diesen Vorgängen doch die Aufgabe, andere Völker aufzuwecken und aufmerksam zu machen. Worauf?

Ich halte das, was heute in Osteuropa vor sich geht, für einen faszinierenden Befreiungsprozeß der Völker in dieser Region. Ich meine, das ist überhaupt nur vergleichbar mit der Befreiung Südosteuropas von den Türken im vorigen Jahrhundert. Damals sind die engagiertesten Geister Westeuropas nach Griechenland gefahren, die englischen Dichter, die Franzosen, Deutsche, um diese Befreiung Griechenlands durch ihre Anwesenheit, durch ihre Arbeit zu unterstützen. Ich kenne kein einziges Beispiel, daß so etwas in Ungarn oder in Polen oder in Jugoslawien passiert, wo das durchaus möglich wäre, daß sich intellektuelle oder künstlerische Potenzen aus Westeuropa um diese Menschen kümmern, die in diesem Befreiungsprozeß schwierigster Art stehen.

Der Autor ist Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“. Gekürzte Auszüge aus seinem Referat am 28.2.1988 im Wiener Europahaus.

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