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Was ist ein Dichter? Eine unzeitgemäße Frage

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Können Sie mir sagen, was ein Dichter ist?

Sie werden erwidern, daß Sie andere Sorgen haben, aber die sollen Ihnen ja auch nicht genommen werden! Ich behaupte nur das: mit Bestimmtheit wissen Sie, was eine Karosserie, was ein Segelflugzeug ist, und ich bin überzeugt, daß Sie nicht wissen, was ein Dichter ist Się werden dereinst in ,VerT legenlieit geraten, we'nn Ihre Urenkel Sie fragen: Urgroßpapa, zu deiner Zeit soll es ja noch Dichter gegeben haben, was ist das?

Die Unwissenheit, die Sie dann zeigen werden, sollten Sie sich heute schon nicht gefallen lassen. Man hat Ihnen in den letzten zehn Jahren so viele Rätsel zum Raten gegeben, Sie sind so scharfsinnig dadurch geworden, daß nicht einzusehen ist, warum Sie nicht auch dieses lösen sollten. Damit soll nicht behauptet sein, daß es wichtig wäre zu wissen, was ein Dichter sei, aber schließlich ist es ein Wort, das aus sechs Buchstaben besteht, und solche Worte sucht man manchmal sehr dringend!

Das Wort Dichter gehört außerdem zum Wirtschaftsleben. Eine Überlegung, wieviele Menschen von dem Wort Dichter leben, findet kaum ein Ende, auch wenn man an der wunderlichen Lüge vorbeisieht, daß der ganze Staat behauptet, für nichts da zu sein, als die Küste und Wissenschaften zur Blüte zu bringen. Denn da kann man etwa mit den literarischen Professuren und Seminaren beginnen, kommt von ihnen auf den Anteil an Quästoren, Pedellen, Sekretären und dergleichen, der vom gesamten Universitätsbetrieb auf sie entfällt, und vielleicht noch zur Schutzpolizei, ohne die ein geordnetes Studium kaum noch zu denken ist. Oder man beginnt mit den Verlegern, kommt auf die Verlage mit ihren Beamten und Angestellten, auf die Sortimenter, die Druckereien, die Papier- und Maschinenfabriken, die Eisenbahn, die Zeitungen, die Ministerial- dezernenten, die Intendanten: Kurz, je nach Geduld kann jedermann, der sich diese kreuz und quer führenden Zusammenhänge, die von Goethe bis zur Garderobenfrau reichen, ausmalen will, sich einen Tag lang damit beschäftigen, und das wirklich Merkwürdige ist, daß diese Tausende Menschen bald gut, bald schlecht, bald ganz, bald teilweise davon leben, daß es Dichter gibt, obwohl niemand weiß, was ein Dichter ist, niemand mit Bestimmtheit sagen kann, daß er einen Dichter gesehen habe, und alle Preisausschreibungen, Akademien, Honorar- und Honoratiorenempfänge nicht die Sicherheit geben, daß man einen lebend fängt.

Ich schätze, daß in der ganzen Welt heute einige Dutzend von ihnen noch vorhanden sind. Ob sie davon leben können, daß man von ihnen lebt, ist ungewiß; einige werden wohl dazu imstande sein, andere nicht: wenigstens könnte man etwas von dieser Art aus dem Vergleich mit ähnlichen Erscheinungen schließen. So gibt eis unzählige Menschen, die davon leben, daß es iühner ©der, daßes Fische gibt, aber die Fische und Hühner leben nicht davon, sondern sterben daran; anderseits leben sie aber in gewissem Sinn doch auch davon, ja sie werden sogar gemästet, wenigstens eine Weile lang. Dieses Verhältnis ist so verwickelt wie eine Schlinge, in die man nicht ohne Not den Hals stecken soll, aber bei Fischen und Hühnern steht wenigstens fest, was sie sind, und sie bilden keine Störung der Fisch- und Hühnerzucht, wogegen der Dichter ganz entschieden eine Störung der Geschäfte bedeutet, die sich auf der Dichtung aufbauen.

Hat er Geld oder Glück, so mag es noch hingehn; sobald er sich aber vermißt, ohne diese beidert sein Erstgeburtsrecht zu beanspruchen, wird er, wohin er auch kommen mag, nicht weiter wirken als ein Gespenst, das den Einfall hat, uns an ein Darlehn zu erinnern, das unseren Siebenmalurahnen gewährt worden ist. Nicht ganz ohne Scham wird man ihn fragen, ob er versichern könne, eine Dichtung zu verfassen, der ein Mindestabsatz von dreißigtausend Stück gewiß sei. Er aber wird erwidern müssen, daß er es nicht versichern kann, und wird bei Bühnenvertrieben und anderen Kultureinrichtungen eine berechtigte Mißstimmung erregen, denn man will ihm überall wohl und hat, da er weder Kassenstücke, noch Tonfilme zu schreiben vermag, das dunkel Gefühl, .wenn man all das zusammentue, was dieser Mann nicht könne, so bleibe nur übrig, daß er eine ungewöhnliche Begabung sei. Aber da kann man ihm eben auch nicht helfen, und man müßte kein Mensch sein, wenn man ihm das schließlich nicht übelnähme, um Ruhe vor ihm zu haben.

Als vor einiger Zeit ein solches Gespenst verdurstet um die Einnahmequellen Berlins strich, sagte ein junger, behender, üppiger Schriftsteller, der überall seinen Weg fand und doch das Gefühl hatte, daß er es auch nicht leicht habe: „Herrgott, wenn ich so viel Talent hätte wie dieser Esel, was würde ich damit anfangen!“ Er irrte sich. Sollte man vermuten, daß ich vielleicht doch wisse, was ein Dichter sei und wozu nutze, so will ich es nicht leugnen, werde aber nie davon sprechen, denn ich tue es nur, wenn ich dazu aufgefordert werde.

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