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Was ist Religion ?

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Die Sehnsucht nach dem „ganz anderen” treibt in der Religion die schönsten, aber auch seltsamsten Blüten hervor: die Befreiungstheologie, die spirituelle Erneuerung, den islamischen Fundamentalismus mit seinen politischen Folgen, das weltweite Interesse an der zen-buddhistischen Meditation, die Jugendsekten, die Esoterik und die New-Age-Bewe-gung.

Präzise Analyse und philosophische Durchdringung von Glaubensformen—das war hingegen schon immer ein Anliegen der westlichen Religiosität. In diese Tradition stellt sich auch der Münchener evangelische Theologe Falk Wagner mit seiner fast 600 Seiten starken Untersuchung „Was ist Religion?”.

Der Autor vermag gedanklich zu faszinieren, nicht zuletzt durch einen Anlauf zur Uberwindung der Religionskritik von Feuerbach, Marx, Nietzsche und Freud. Wagner formuliert eigens zu diesem Zweck eine „radikale und theologische” Religionskritik aus der Mitte der Theologie, die der von außen kommenden Kritik den Wind aus den Segeln nehmen soll.

Dies leistet er mit Hüfe einer Durchleuchtung des „religiösen Bewußtseins”: Wenn Theologen, Religionsphilosophen oder Religionspsychologen das religiöse Bewußtsein zum Ausgangspunkt ihrer Darstellung der Religion nehmen, wird der absolute Grund, auf den sich das religiöse Bewußtsein bezieht, von diesem Bewußtsein abhängig gemacht. Das religiöse Verhältnis zwischen Grund und Begründetem wird also entgegen der Selbstaussage des religiösen Bewußtseins umgedreht. Genau diese Abhängigkeit Gottes vom religiösen Bewußtsein aber wirft die säkulare Religionskritik der Religion vor.

Es hilft nichts, wenn christliche Autoren, wie der berühmte protestantische Theologe Karl Barth, dem Ausgangspunkt der Religion beim religiösen Bewußtsein den Ausgangspunkt bei der Offenbarung Gottes gegenüberstellen. Das „Gegenüberstellen” ist nur ein Positionswechsel des religiösen Bewußtseins und daher eine andere Form jenes Tuns, Gott von der menschlichen Subjektivität her zu begründen, die sofort wieder der Religionskritik verfällt.

Es sind damit schon die beiden Pole (religiöses Bewußtsein und Offenbarung Gottes) genannt, zwischen denen auch Wagner seine Denkarbeit vorantreibt.

In Kapitel Eins (Zur Geschichte des Religionsbegriffs) werden die Bemühungen um die Allgemeinheit des Gottesgedankens in Gegensatz und Verbindung mit dem Evangelium an Augustinus, Thomas von Aquin und den Reformatoren deutlich. In der Aufklärung setzt dann die Identifizierung von allgemeinem Gottesgedanken und Moralgesetz ein. Wagner gewinnt dabei besonders der Religionstheorie Kants wertvolle Anregungen ab.

Seit der Romantik und bis in unser Jahrhundert hinein herrscht hingegen die Auffassung von einer eigenen religiösen Fähigkeit des Menschen (Schleiermacher: „Provinz im Gemüt”). Bald beginnen dann die Religionskritiker, die Religiosität auf natürliche oder sozioökonomi-sche Prozesse innerhalb der Menschheit zurückzuführen und zu entkräften. In unserem Jahrhundert hat Karl Barth die Religion als Widerstand gegen die Offenbarung Gottes und daher als Sünde deklariert. Dem kann der Autor aus dem schon genannten Grund nicht zustimmen.

Im Kapitel Zwei werden Religionssoziologie, Religionspsychologie und Religionsphilosophie befragt. Durch die Untersuchung der religionsphüosophischen (noch im 2. Kapitel) und dann der theologischen Argumente (im 3. Kapitel) begeben wir uns mit Wagner auf einen schwierigen Denkweg, der jedoch immer noch am aussichtsreichsten ist, das Wesen der Religion zu begreifen.

Aber sind die zentralen Gegenstände der Religion, ist Gott überhaupt begreifbar? Sollen wir uns nicht vielmehr auf Intuition, Eingebung, Glauben verlassen? Wer so spricht, argumentiert sowohl richtig als auch falsch. Er argumentiert richtig, insofern er das menschliche Denken abhalten will, Gott von menschlichen Denkvoraussetzungen abhängig zu machen; er argumentiert aber falsch, weil er zwar vorgibt, von Gott kein Wissen zu besitzen, zugleich aber sagt, daß Gott nichts Gewußtes sei—genau das aber behauptet er von Gott zu wissen.

Da es jahrhundertelange theologisch-philosophische Anstrengungen gibt, Gott zu denken, da die Religionskritik mit ihrer Widerlegung des Gottesbegriffes auf so viel Zustimmung gestoßen ist, ja da das Denken nun einmal den Menschen kennzeichnet, ist es unmöglich, Gott nicht zu denken.

Falk Wagner diskutiert den Neukantianismus, die Philosophie Wittgensteins. Er holt mehrmals zur Explikation der Religi-onsphüosophie Kants, Fichtes und Hegels aus, er setzt sich mit den evangelischen Theologen Tü-lich, Pannenberg, Ebeling und anderen auseinander. Sein Ergebnis besteht in der Ablehnung des kos-mologischen Gottesbeweises (Beweis der Existenz Gottes im Schluß vom Sein der Welt her) und im Aufgreifen des ontologi-schen Beweises (Beweis der Existenz Gottes im Schluß von dem im Gebrauch des Gottesbegriffes stets mitgedachten Sein Gottes). Den ontologischen Gottesbeweis sieht der Autor als Selbsterweis Gottes im Denken des Menschen an Gott, wodurch die Offenbarung Gottes in Schöpfung und Erlösung in uns aktuell wird.

Wenn man etwas an diesem Buch, das auf der Höhe der theologischen Diskussion steht, bemängeln kann, dann höchstens, daß es nur wenig in die Probleme der nicht-christlichen Religionen und in den Dialog der Religionen hineinführt. Dazu wären freilich mehrere Bände erforderlich gewesen.

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