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Was ist uns die Schule wert?

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Die angekündigten Sparmaßnahmen im Schulbereich deuten manche schon als Rückkehr in die „pädagogische Steinzeit". Das dürfte übertrieben sein, aber sicher sind einige Errungenschaften sozialdemokratischer Bildungspolitik gefährdet.

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Die angekündigten Sparmaßnahmen im Schulbereich deuten manche schon als Rückkehr in die „pädagogische Steinzeit". Das dürfte übertrieben sein, aber sicher sind einige Errungenschaften sozialdemokratischer Bildungspolitik gefährdet.

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Im Schulressort, konkret an den Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Höheren Schulen (AHS und BHS) ist Feuer am Dach: Lehrer streiken, Schüler und Eltern demonstrieren (FURCHE 15/1992). Die Ursache: Unterrichtsminister Rudolf Schölten strebt eine ihm gerechter erscheinende Neuverteilung der Lehrerstundenkontingente an die einzelnen Bundesländer (gemäß der jeweiligen Schülerzahl) an, bisher seien Wien und Salzburg bevorzugt gewesen.

Fazit: Wien und Salzburg müßten 1992/93 mit dem gleichen Kontingent wie 1991/92 auskommen, nur in den anderen Bundesländern sind Zuwächse vorgesehen. Aber es ist nur in der Theorie gerecht, in unterschiedlichen Regionen (Ballungsraum oder ländliche Gegend, gute oder schlechte Verkehrsverbindungen, Bedarf an Ganztagsbetreuung oder nicht) ausschließlich auf die Kopfzahl der Schüler zu schauen.

Die - nicht nur in Wien und Salzburg geäußerte - Kritik an der zwischen Ministerium und Landesschulräten ausgehandelten Stundenzuteilung ist berechtigt. Denn das bisherige Vorgehen nimmt keine Rücksicht auf den Bedarf an zusätzlichen Klassen im AHS-Bereich und auf die letzte Etappe der AHS-Oberstufen-Reform, die Tausende zusätzliche Lehrerstunden erfordert. Die von Schölten proklamierte „Autonomie" der Schulen darf ihre Feuerprobe bei der Abdek-kung eines Defizits bestehen.

Um ihre Stundenkontingente einhalten zu können, sehen nämlich nun viele Schulen keine andere Möglichkeit als das Streichen von Angeboten (Freigegenstände, Übungen, Förderkurse) und das Zusammenlegen von Kursen und Klassen, was wieder zu (den vom Gesetz nur in Ausnahmefällen vorgesehenen) Klassen mit bis zu 36 Schülern führen kann. Jüngere Lehrer, die zum Teil bisher schon um ihre Stunden zittern mußten, sind von Arbeitslosigkeit bedroht, Absolventen eines Lehramtsstudiums bangen um ihre Berufsaussichten.

Nach Ostern will man sich wieder zusammensetzen, und es bestehen durchaus Aussichten, daß man für heuer noch zu einer Lösung kommt. Erstens werden dann genauere Zahlen, was den Bedarf betrifft, vorliegen, und zweitens gibt es noch nicht verbrauchte Stundenkontingente an AHS und BHS, mit denen man die ersten Monate des Schuljahres 1992/93 abdecken könnte.

Daß dabei von Schölten angedeutete mögliche Umschichtungen von der BHS zur AHS nur als einmalige Notlösung und auch dann nur im Einvernehmen mit Vertretern beider Schultypen akzeptabel sind - will man nicht einen Keil zwischen AHS und BHS treiben -, sollte klar sein. Eine konsequente und dauerhafte Lösung besteht aber sicher nur in einer dem gesetzlichen Auftrag (Oberstufenreform der AHS, neue Lehrpläne an der BHS) Rechnung tragenden Budgetierung oder einer Änderung diverser Gesetze und dem Eingeständnis: Dieses Bildungssystem ist uns zu teuer.

Daß in Österreichs Schule in den vergangenen Jahren viel investiert wurde (wobei man darüber streiten kann, ob immer am richtigen Platz investiert wurde), ist unbestritten und anzuerkennen. Kamen an der AHS 1979/80 auf einen Lehrer 12,4 Schüler, waren es 1990/ 91 nur mehr 8,9. Im gleichen Zeitraum sank an der Hauptschule - sie verlor in dieser Zeit ein Drittel ihrer Schülerzahl! - diese Vergleichszahl von 12,4 sogar auf 7,3, an der Volksschule von 16,0 auf 12,7. Die Kosten pro Schüler und Jahr an einer AHS betrugen 1976 noch 18.654 S, 1991 schon 59.503 S (in-flationsbereinigt 27.774 S).

Die Frage - gerade im Hinblick auf die stets im Munde geführte „Europareife" - lautet: Was ist uns die Schule wert? Aber auch: Wie geht man im Schulbereich mit dem Geld um? Weitere finanzielle Engpässe zeichnen sich ab: So sind beispielweise die Gehaltswünsche der Pflichtschullehrer nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben, und auch die nötige Erhöhung des Angebotes an ganztägigen Schulformen wird teuer kommen. Die Rubel im Bildungswesen werden nicht mehr so locker rollen können wie bisher.

Niemand läßt sich gerne etwas wegnehmen. Aber wenn alle den Gürtel enger schnallen müssen, wird auch die Schule nicht darum herumkommen. Wenn nun die Sozialdemokraten im Schulbereich das Sparen entdecken, gefährden sie damit aber interessanterweise ihre eigene bisherige Schulpolitik: Die Tage des Schulversuchs „Neue Mittelschule" mit dem teuren „Team-teaching" (zwei Lehrer unterrichten 24 Schüler) dürften gezählt sein, aber auch der Projektunterricht und die Arbeit in Kleingruppen scheinen gefährdet.

Das von Schölten genannte Extrembeispiel - Cello-Unterricht für drei Schüler - mag wirklich ein Luxus sein, aber schon hört man andere Extrembeispiele: Da soll es BHS geben, wo in für sechs bis acht Schüler vorgesehene Werkstätten-Stunden, die wegen der dort laufenden Maschinen nicht ungefährlich sind, zwölf bis vierzehn Schüler gesteckt werden; da wird die Zusammenlegung von AHS-Maturaklassen mit jeweils 15 Schülern zu einer Klasse mit 30 Schülern erwogen, um Stunden zu sparen.

Warum man, wenn es schon ums Sparen geht, noch nie an eine Reform der teuren Gratisschulbuchaktion gedacht hat, die letztlich prägend und symptomatisch für den Umgang mit Geld im Bildungsbereich war und ist, sei dahingestellt. Sie war sicher gut gemeint, und gut gemeint waren vermutlich auch die Pläne von Minister Schölten. Aber wirklich gut wäre es, einen Unterrichtsminister zu haben, der nicht selbst ständig Lehrgeld zahlen muß.

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