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Was krank macht

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Nein, „Patientenkarrieren" müssen nicht - zumindest: nicht so zahlreich - sein! Daß eine Person jahrelang Ärzte, Fachärzte, Spezialisten und Kuranstalten auf­suchen muß, aber keine Heilung findet, weil ausschließlich die kör­perlich und daher die im herkömm­lichen Sinn medizinisch feststell­baren Symptome für die Behand­lung ernstgenommen werden, ihre wahre Krankheit im seelischen Bereich aber gar nicht erkannt wird, das entspricht der im Titel genann­ten Karriere. Diese ist dann aller­dings ein „Aufstieg" zu immer grö­ßerer innerer Verzweiflung.

Selbst wenn wir nur von wenigen Menschenschicksalen dieser Art wüßten, müßte alles getan werden, um dieses Leid zumindest zu mil­dern; es gibt aber viele Beispiele, und es geht dabei eben nicht um „Fälle", sondern um Menschen.

Warum ist das - noch - so? Der Grund dafür liegt in dem längst veralteten Begriff von Gesundheit, mit dem die sogenannte Schulme­dizin operiert und mit dem der Großteil der Bevölkerung leben muß. In der Heimat Sigmund Freuds gilt es noch immer als Schande, psychisch bedingte Krankheiten zu haben, und es ist immer noch weit­gehend tabu, Heilung in einer ent­sprechenden Therapie zu suchen.

Psychotherapeuten mit Fach­kenntnis und Verantwortungsbe­wußtsein gibt es indes längst, die Praxis dieses Noch-nicht-Berufes weist beglückende Erfolge aus und verzeichnet steigenden Bedarf. Das zunehmende Verständnis - die Überwindung des Unverständnis­ses - in allen Kreisen der Bevölke­rung, nicht zuletzt auch bei Ärzten selbst, ist ein Zeichen der Hoff­nung. Denn nichts wird dem Fort­schritt in diesem Zusammenhang mehr dienen als die Kooperation zwischen Medizinern und Psycho­therapeuten.

So ist im Entwurf zum Psycho­therapiegesetz die wechselseitige Verpflichtung zur Konsultations-zuweisung für Ärzte und Psycho­therapeuten vorgesehen. Manche Vertreter der Ärztekammer treten aus standespolitischem Interesse gegen diese Kontaktnahme auf; es gibt aber sicher viele Ärzte, die aufgrund ihrer Menschenkenntnis schon längst erkannt haben, daß ein psychotherapeutischer Befund auch ihrer Diagnose dienlich ist -und vor allem: dem Patienten hilft.

Psychotherapeuten sind keine Esoteriker, keine Wunderheiler oder Handaufleger, sondern wis­senschaftlich ausgebildete Fachleu­te; aufgrund von Einzel- oder Grup-penselbsterf ahrung müssen sie auch für ihre persönliche und menschli­che Qualifikation den Beweis er­bringen. Gerade diesen Ausbil­dungsstandard möchte das Gesetz sicherstellen und im Interesse der Bevölkerung gewährleisten. Der vorgesehene interdisziplinäre An­spruch der Ausbildung läßt das Gesetz auch in anderer Hinsicht als zukunftsweisend apostrophieren, da es sich nicht am Prinzip berufs­ständischer Monopolisierung orien­tiert (ein beachtlicher Unterschied zum ursprünglichen Entwurf des Psychologengesetzes, der mit Aus-und Abgrenzungen operierte).

Sofern Gesetzen bewußtseinsbil­dende Kraft zugesprochen werden darf, kann man nur wünschen, daß die Intention des Psychotherapie­gesetzes wirksam wird: Es soll nicht mehr darum gehen, daß bloß Symp­tome behandelt werden, sondern daß der Mensch gesehen wird, der krank ist; eine begrenzte Diagnose soll noch nicht die Wahrheit sein, sie ist eine Hypothese zum Gesamt­bild des Kranken.

In der Präambel der Statuten der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen steht die fol­gende Definition: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen kör­perlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß das Freisein von Krankheit und Gebre­chen." Mit dem Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes könnte die Verwirklichung dieses Verständnis­ses (das für die WHO schon vor Jahrzehnten formuliert wurde!) eingeleitet werden.

Univ. Prof. Friedrich Oswald ist Leiter des Zentrums für das Schulpraktikum der Universi­tät Wien.

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