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Was macht der „weiße Russe“?

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„Wird Portugal ein neues Chile?“ fragten Auslandskorrespondenten in der Meinung, daß eine eventuelle Unterstützung eines kommunistischen Putsches durch eine Fraktion des MFA zum Auseinanderbrechen der Junta führen könnte, gefolgt von einem Bürgerkrieg.

Die Kommunistische Partei hat bessere Kontakte zum linken Flügel der Armee als die anderen Parteien. Der Londoner „Daily Telegraph“ vertrat daher die Ansicht, daß Portugal sich in einer chaotischen Situation befinde und auf dem Wege, „in das Netz zu fallen, das hinter dem Eisernen Vorhang gesponnen“ weltweite Propagandakampagne und daß die Kontrolle der portugiesischen Massenmedien und der Gewerkschaften durch die Kommunisten ohne Zusammenarbeit mit der Armee keine entscheidenden Faktoren sind. Es ist schwer, eine ganze Armee zu infiltrieren, aber relativ leicht, Einfluß auf eine kleinere Gruppe von Jungoffizieren auszuüben, von denen manche Romantiker ohne jegliche politische Erfahrung sind. Obwohl die Junta immer noch von einer „pluralistischen Demokratie“ spricht, übt Moskau den entscheidenden Einfluß auf den linken Flügel des MFA aus. Die KP schütterlicher Anhänger der Sowjets war Cunhal der einzige westeuropäische Kommunistenführer, der die Invasion der CSSR im August 1968 bejubelte. Seine intellektuelle Kapazität soll jene der meisten portugiesischen Politiker überflügeln. Außerdem stehen ihm geschulte Ratgeber zur Seite. Einer der wichtigsten unter diesen ist Kalinin, der russische Botschafter in Lissabon, der früher bereits als Botschafter in Kuba erfolgreich war. Die Sowjetbotschaft in Lissabon hat derzeit 120 Mitarbeiter und die osteuropäischen, von den Russen kontrollierten Botschaften beschäftigen weitere Dutzende von „Diplomaten“.

„Wachsamkeitsausschüsse“ beim Radio, im Fernsehen und in der Presse arbeiten unter kommunistischer Kontrolle. Die UdSSR entsandte ihre besten propagandistischen Attraktionen nach Portugal: den Moskauer Staatszirkus, den Chor der Roten Armee, den Soldatenchor von Sebastopol, schließlich auch Valentina Tereschkowa, die Astronautin, „Heldin der Sowjetunion“, Mitglied des Obersten Sowjets und Luftwaffenoberst.

Die Wahlen für die Konstituierende Versammlung sollen am 12. April stattfinden, die Wahl des Staatspräsidenten im Oktober. Die Kommunisten fürchten sich, wie stets, vor Wahlen, weil alle Testbefragungen als maximales Ergebnis für die KP nur 12 Prozent der Stimmen erwarten lassen.

Außer den erwähnten Parteien werden es voraussichtlich zwei christdemokratische Parteien durchsetzen können, daß man sie zu den Wahlen zuläßt. Eine von ihnen ist die Zentrumspartei (CDS), die nach Meinungsumfragen die Mehrzahl aller Stimmen erhalten könnte, gefolgt an Stimmenzahl von der Sozialistischen Partei. Die CDS ist Mitglied der Europäischen Union Christdemokratischer Parteien. Die Kommunisten führen gegen sie seit Monaten heftige Angriffe, die beim Parteikongreß in Porto kulminierten. Der Generalserketär der CDS, Adelino Amaro da Costa, meinte dazu: „Die herrschende Atmosphäre des Terrors und der Einschüchterung kann durchaus zur Stimmenthaltung des Volkes bei den Wahlen führen.“

Der Führer der Christlich-Demokratischen Partei, Major Sanchez Osörio, einer von den Revolutionären vom 25. April, sagte: „Unsere

Portugiesischer KP-Chef Cunhal: Operation in Lichtgeschwindigkeit Photo: Votava Partei zieht die Arbeiter an. Wir besitzen enge Kontakte zu den christdemokratischen Parteien in Europa und in Lateinamerika.“

Die Frage ist, ob die Wahlen, wenn sie stattfinden, Portugals Probleme lösen können. Major Vitor Alves, der im MFA eine dominierende Rolle spielt, verkündete kürzlich in Westdeutschland: „Portugal ist noch keine Demokratie, es befindet sich in einem Prozeß der Demokratisierung.“ Der radikale Flügel des MFA hat jedenfalls mit Mißbehagen erkannt, daß Wahlen ohne Diskriminierung und Einschüchterung einen wahrscheinlich bedeutenden Sieg der in der Mitte stehenden politischen Kräfte mit sich bringen würden.

wird. Es sei jedenfalls unwahrscheinlich, daß eine kommunistische Machtübernahme ohne darauffolgenden Bürgerkrieg verhindert werden könne. -

Es muß hier festgehalten werden, daß die „Revolution der Nelken“ vom 25. April 1974 kein kommunistischer Coup war. Die putschende Gruppe der 250 jungen Offiziere wollte nur den Krieg in Afrika beenden, der nun schon 13 Jahre lang währte, in Angola sowohl als auch in Mocambique und Guinea-Bissau. Möglich, daß bereits einige Marxisten unter ihnen waren, aber die anderen wünschten nur Reformen und handelten ohne genauere politische Ziele. Der „starke Mann“, Brigadier Otelo Saraiva de Carvalho, leugnete energisch, daß er Beziehungen zu den Kommunisten gehabt habe: „Auch für die Kommunistische Partei war der 25. April eine Uber-raschung. Ihr Generalsekretär, Alva-ro Cunhal, kann es beschwören.“

Ein anderer Führer des revoltierenden Militärs, Major Sanchez Osörio, der bis Ende September 1974 Postminister war, hat allerdings eine andere Meinung geäußert. Er trat mit General Antonio de Spinola zurück und gründete die Christlich-Demokratische Partei. Wir sagten ihm, daß ein britisches Blatt behauptet habe, schon sieben Monate vor der Revolution, und zwar am 9. September 1973, hätten die Offiziere in Evora ein Treffen abgehalten, von dem sie sich dann auf ein Landgut am Monte do Sobral begeben hätten, wo ihr Gastgeber der geheime Cheforganisator der Kommunistischen Partei gewesen sei. „Ich weiß es nicht“, erwiderte Major Sanchez Osörio, „aber es ist anzunehmen, daß die KP bereits vor dem 25. April informiert war. Die Kommunistische Partei besitzt ja zwei voneinander, getrennte Strukturen, eine „demokratische“ und eine geheime. Ihre Geheimorganisation erhielt sicherlich vor dem 25. April Informationen über die bevorstehende Revolution.“

Jedenfalls operierten die Kommunisten mit Lichtgeschwindigkeit, wie eine Invasionsarmee, die ein Land okkupiert; ihre „Spezialausschüsse“ besetzten die Radio- und die Fernsehstationen, die Zeitungsredaktionen und die Gewerkschaftszentralen. Es gab in vielen Fällen harte Konfrontationen mit militanten Mitgliedern der Sozialistischen Partei. Die Kommunisten rissen jedoch alle Schlüsselpositionen an sich. Aber Moskau weiß sehr wohl, daß seine

stellt die politische Hauptkraft in der Provisorischen Regierung dar.Die Kommunisten und andere Linksextremisten bildeten Terrorgruppen, bewaffnete Revolutionsbrigaden : zum Mißvergnügen mancher Offiziere. Gegenwärtig arbeiten die Terrorgruppen im geheimen, und so konnte Alvaro Cunhal erklären: „Die Partei ist nicht bewaffnet... Es gibt jedoch Waffen, um unsere demokratische Revolution zu verteidigen, und diese Waffen befinden sich in guten Händen — in den Händen der Bewegung der Streitkräfte.“

Im „Neuen Portugal“ gibt es keinen „rechten“ Sektor des politischen Spektrums. In der vom Militär beherrschten Provisorischen Regierung sind nur drei Parteien vertreten: die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP), die Sozialistische Partei (PS) und die Volksdemokratische Partei (PPD). Die PCP folgt treu der „Moskau-Linie“, sie ist diszipliniert, seit Jahren geheim organisiert und wird autoritär von ihrem aus Prag heimgekehrten Generälsekretär Alvaro Cunhal geführt. Die PS ist Mitglied der Sozialistischen Internationale und genießt die Unterstützung aller westeuropäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien. Ihr Generalsekretär, Mario Soares, ist bekanntlich derzeit Außenminister. Die PPD steht links vom Zentrum und ihre Führer behaupten, sie sei eine „sozialdemokratische“ Partei.

Im Paläcio Foz, in dem sich das Internationale Pressebüro befindet, sind zur Zeit 38 politische Parteien registriert, von denen 12 als ultra-links, also links von der KP stehend, zu bezeichnen sind. Um an den Wahlen teilnehmen zu können, muß jede Partei 5000 Unterschriften aus verschiedenen Teilen des Landes vorweisen. Einige der ultralinken Gruppen sind dazu imstande und können sich an den Wahlen beteiligen, wie etwa die MRPP (Reorganisierte Bewegung der Proletarier) und eine maoistische Gruppe, die es als einzige wagt, die moskowitischen Kommunisten tätlich anzugreifen. Die MRPP nennt Cunhal einen „weißen Russen“ (Russo Branco), seiner weißen Haare wegen, Cunhal studierte übrigens Jus bei Professor Marcelo Ca^tano, der dann nach Oliviera Salazar Ministerpräsident wurde. Im Jahre 1949 wurde Cunhal verhaftet und zu 20 Jahren verurteilt. Später amnestiert, konnte er nach Moskau entkommen, von wo er nach Prag übersiedelte. Als uner-

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