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Was machte Casaroli in Moskau?

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Der vatikanischen Außenpolitik wird oft genug vorgeworfen, sie sei das extreme Beispiel für Geheimdiplomatie. Das ist eine Begriffsverwechslung. Die Tatsache, daß viele Fäden zur Durchsetzung der Außenpolitik auf diplomatischem Wege gesponnen werden, und das nicht immer in der Öffentlichkeit, gehört zum Wesen der Diplomatie und ist nach wie vor bei sämtlichen Staaten gebräuchlich. Die Diplomatie ist aber nur ein Mittel, um die Außenpolitik auf friedlichem Wege durchzusetzen. Was aber die Außenpolitik der römischen Kirche anbelangt, so gibt es keinen Staat der Erde, der sich an Offenheit der Ziele mit ihr vergleichen kann. Ihr Ziel ist die Ausbreitung der kirchlichen Stiftung, also die Verbreitung des Evangeliums über die ganze Erde. Das wesentlichste Mittel der vatikanischen Diplomatie ist dabei eine Friedenspolitik. Man wird sagen müssen, daß seit hundert Jahren, seit dem Untergang des Kirchenstaates am 20. September 1870, die katholische Kirche vom Ballast der Staatspolitik befreit ist. Die vatikanische Außenpolitik konnte aber die jahrhundertelange Erfahrung nunmehr auf die rein kirchliche Aufgabe konzentrieren. Natürlich mußte die Kirche in der Zeit zwischen 1870 bis nach dem Ende des ersten Weltkrieges aus einer Periode nahezu totaler Einflußlosigkeit erst mühsam den Weg zu einer geachteten, geschätzten und vielfach sogar begehrten außenpolitischen Position im internationalen Geschehen zurückgewinnen.

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Der vatikanischen Außenpolitik wird oft genug vorgeworfen, sie sei das extreme Beispiel für Geheimdiplomatie. Das ist eine Begriffsverwechslung. Die Tatsache, daß viele Fäden zur Durchsetzung der Außenpolitik auf diplomatischem Wege gesponnen werden, und das nicht immer in der Öffentlichkeit, gehört zum Wesen der Diplomatie und ist nach wie vor bei sämtlichen Staaten gebräuchlich. Die Diplomatie ist aber nur ein Mittel, um die Außenpolitik auf friedlichem Wege durchzusetzen. Was aber die Außenpolitik der römischen Kirche anbelangt, so gibt es keinen Staat der Erde, der sich an Offenheit der Ziele mit ihr vergleichen kann. Ihr Ziel ist die Ausbreitung der kirchlichen Stiftung, also die Verbreitung des Evangeliums über die ganze Erde. Das wesentlichste Mittel der vatikanischen Diplomatie ist dabei eine Friedenspolitik. Man wird sagen müssen, daß seit hundert Jahren, seit dem Untergang des Kirchenstaates am 20. September 1870, die katholische Kirche vom Ballast der Staatspolitik befreit ist. Die vatikanische Außenpolitik konnte aber die jahrhundertelange Erfahrung nunmehr auf die rein kirchliche Aufgabe konzentrieren. Natürlich mußte die Kirche in der Zeit zwischen 1870 bis nach dem Ende des ersten Weltkrieges aus einer Periode nahezu totaler Einflußlosigkeit erst mühsam den Weg zu einer geachteten, geschätzten und vielfach sogar begehrten außenpolitischen Position im internationalen Geschehen zurückgewinnen.

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Der Grundstein der modernen vatd-kanischen Außenpolitik wurde schon von Benedikt XV., dem Priedens-papst des ersten Weltkrieges, gelegt, worauf durch diie Diplomatenpäpste Pius XI., Pius XII., Johannes XXIII. und durch den gegenwärtigen Papst das heute im modernen außenpolitischen Geschehen zu edner festen Größe emporgewachsene Gebäude der vatikanischen Mission entstanden ist. Das muß man sich alles vor Augen halten, wenn man den Besuch des Sekretärs des Rates für öffentliche Angelegenheiten der Kirche, des Erzbischofs Casaroli in Moskau betrachtet. Um dies zu verstehen, muß neuerlich ein Blitįk zurückgeworfen werden bis zum Ausgangspunkt der vatikanisch-sowjetischen Beziehungen. Schon Benedikt XV. hat unmittelbar nach dem Ende des ersten Weltkrieges und nach dem Ausbruch der russischen Revolution, die ja auch erst in Etappen zum Sowjetsystem führte, große Hoffnungen auf die Möglichkeit engerer Beziehungen zu Rußland gehegt. Die vatikanische Politik hatte keine Utopie ins Auge gefaßt, sondern realistisch die Tatsache, daß das zaristische Rußland als der politische Machtfaktor der Orthodoxie, bis zum Augenblick seines Unterganges immer wieder Annäherungsversuche der römischen Kirche, die vor allem im 19. Jahrhundert nicht selten waren, zurückgewiesen hat. Erst der Sieg des Bolschewismus — wobei für den Vatikan das kommund’stiische System nicht im Vordergrund stand — hat dazu beigetragen, daß die vatikanische Politik zwar klar und offen ihre Gegnerschaft zum Bolschewismus zum Ausdruck brachte, doch verschiedene Versuche unternahm, mit der notleidenden orthodoxen Kirche in Kontakt zu kommen und gleich wie die europäischen Großmächte die Hoffniung hegte, daß der Bolschewismus ein vorübergehendes Regime sei, nach dessen Konsolidierung auch die römische Kirche auf besseren Kontakt mit Bußland hoffte.

Hier kann natürlich nur die große Linie gezeicimet werden, auf Einzelheiten einzugehen, dazu fehlt nicht nxir die Zeit, es wäre in diesem Zusammenhang auch verwirrend. Tatsache ist, daß schon unter Pius XI.

nicht nur wissenschaftliiSi das russä-sGhe System studiert wurde, sondern in einer eigenen Kommision Pro Russia die ganze Problematik — Rußland, Sowjetsystem, Kommunismus, Orthodoxie — beobachtet und untersucht wurde. Die vatikanische Politik ist eine Realpolitik, aber sie ist nach wie vor kcjnsequent. Man hat niemals das Zliel aufgegeben, Rußland nahezukommen. Man hat dieses Ziel jedoch in fairer Weise und je nach den tagespolitischen Ereignissen zu erreichen getrachtet. Erst eine spätere Zeit wird klarmachen, in welchem Maße schon unter Pius XII., der genau zwischen Kommunismus und Rußland unterschieden hat, Kontakte bestanden, trotzdem insbesondere Stalin in eindeutigster Weise Gegner nicht nur der religiösen, sondern auch des politischen Faktors Römische Kdirche gewesen ist.

Die Wende der russfechen Politik begann erst knapp vor dem Tode Stalins und wurde von Chruschtschow in geradezu auffälliger Weise demonstriert. Es sei hier nicht nur an den spektakulären Besuch seines Schwiegersohnes Adschubei im Vatikan erinnert, sondern auch an die Tatsache, daß das Moskauer orthodoxe Patriarchat, allen Voraussagen entgegen, schon 1962 Beobachter zum Vartdfcandschen Konzil entsandte.

Die Möglichkeiten zu gegenseitigen Kontakten sind zweifellos immer mehr verstärkt worden, wobei sicher auch indirekte Wege und Umwege in Betracht gezogen wurden. Der aufmerksame Beobachter wird sich beispielsweise fragen, ob nicht die vor zwei Jahren erfolgte Erhebung der fhmischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl und dementsprechend die Errichtung einer Pro-Nuntiatur in Hedsimki damit zusammenhängen könnten, daß die Distanz HeOsinkd— Moskau sicher keine unüberwindliche Entfernung darstellt. Nicht die vatikanische Politik hat ihre Zielrichtung geändert, sondern der Kreml selbst. Angesichts der Tatsache, daß das heutige Rußland in sehr bedeutendem Maße in den Baltenstaaten, dann aber auch in den unterdrückten Teilen der mit Rom veredniigten Ostkirchen kirchliche Interessen zu betreuen hat, wird es um so klarer, daß der Apostolische Stuhl diese Öffnung des Kremls in jeder Weise benützt, ohne dabei seine Prinzipien aufzugeben. Und werm nunmehr Brzbischof Casaroli nach Moskau gefahren ist, um den Atomsperrvertrag au unterschreiben, so kamn das nicht als eine innerlich wertlose Geste abgetan werden, sondern hier haben sich zwei Mächte begegnet, von denen die eine, die geistige Macht, heute nicht einmal mehr über vatikanische Gendarmerie verfügt, von denen aber jade ein eminiantfis Interesse an der Aufrecbterhaltung des Friedens hat, so daß es Rußland daher notwendig erscheint, auch mit dem Apostolischen Stuhl nähere und offizielle Beziehungen zu haben. Das gemeinsame Interesse Ist der Friede, und es wird nicht Wunder nehmen, wenn in nicht zu ferner Zeit, wie dies vor einigen Jahren mit Jugoslawien begonnen wurde, inoffizielle Vertreter zwischen dem Apostolischen Stuhl und dem Kreml auagetauscht werden. Die Wiener Diplomatenkonvention und die Konsularkonvention, die ja beide von Moskau und dem Vatikan unterzeichnet sind, bieten hierzu auch die rechtliche Grundlage.

Vatikan auf Linkskurs?

Daß Erzbdschof Casaroli bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit benützte, die Kontakte zum Moskauer Patriarchat zu verstärken und zugleich auch für die katholische Kirche in der Sowjetunion Erleichterungen zu schaffen, ist völlig klar. Wer aber annimmt, wie dies in einigen Kommentaren zu lesen war, daß damit eine Linksabwedchung der Vatikanpolitik oder eine Anerkennung des Kommunismus verbunden war, der irrt sich. Weder ist der Kreml katho-hsch noch ist der Vatikan konunu-nistisch geworden. Das bringt uns aber abschließend auf die Persönlichkeit des Erabdschofs Casaroli zu sprechen. Seit der Neuordnung der römischen Kurie 1968 hat der Kardinal-Staatssekretär eine we-sentldch höhere Aiu^atoe als unmittelbare rechte Hand des Papstes und Chef der gesamten kurialen Regierung und Verwaltung bekommen. Damdt ist es heute nicht mehr der Staatssekretär, der das eigent-lidie Organ der Außenpolitik 1st, sondern der Sekretär des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, in diesem Fall Erzbischof Casaroli, der angesichts der gegenwärtigen Struktur der Kurie — es würde mich nicht wundem, wenn sie noch eine Änderung erfährt — nicht den Rang eines Kardinals Innehat. Er ist in vielfacher Ansicht eine kirchliche Persönlichkeit in einer Schlüsselstellung, er ist nicht nur derjenige^ der heute den entsched-denden Einfluß aiuf die außenpolitischen Agenden hat, er ist zugleich das führende Mitglied der niüttlerweile in das’’StaatssėfcrėtS«^t völlig integrierten Rußlandlkom-raission und, was um so bemerkenswerter ist, er ist auch Mitglied der päpstlichen Kommission für Lateinamerika. Damit wird gezeigt, daß diese Persönlichkeit gerade in den Brennpunkten der heutigen kirchlichen Außenpolitik — Rußland und der Orbis sowjeticus einerseits und das von der kommunistischen Gefahr ergriffene Lateinamerika anderseits — an erster Stelle steht. Wie ich schon eingangs hervorhob, sind die Ziele der vatikanischen Außen-pwlitk klar durchschaubar, sie sind wirklich transparent. Kein Glied in der heute von Umwälzungen geschüttelten römischen Kirche ist aber so fest verankert wie die traddtions-reiche vatikanische Diplomatie. Sie wind immer ihre Ziele, an die tatsächlichen Tagesereignisse angepaßt, konsequent wedterverfolgen. Natürlich hängt dies auch von der Qualität der Persönlichkeit ab und darin hat sich Casaroli als vollendeter Meister erwiesen. Es ist ihm gelungen, in Jugoslawien zu einem sehr brauchbaren Modus vivendi zu kommen, womit der Beweis erbracht war, daß auch mit einem kommunistischen Regierungssystem die römische Kirche ohn« Preisgabe ihrer Grund-ednsteilung — das kann nicht genug betont werden — tatsächlich eine gemeinsame, wenn auch ziur Zeit sehr Meine Plattform finden kann. Gerade daß der Kreml Erzbischof OasaroM, und damit dem entsOhiaiden-den Mann der vatikanischen Außen-poldtik, Gelegenheit gegeben hat, in Moskau den Atomsperrvertrag zu unterzeichnen, zeigt den Erfolg nicht nur dieser Politik, sondern auch den Wert dieser diplomatischen Persönlichkeit.

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