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Was nur die Kirche kann

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ökumenische Konzilien hat die Kirche in ihrer Geschichte berufen, wenn zentrale Fragen ihres Glaubens und Lebens spruchreif wurden. Der Friede ist von Anfang an ein Grundthema der Kirche. Der Weltfriede ist heute die erste Uberlebensaufgabe der Menschheit. Friede, wie Christen ihn üben und bejahen können, muß ein Friede der Gerechtigkeit sein. Einen solchen Frieden haben die Kirchen in vielen Äußerungen gefordert, so vor zwei Jahren die Vollversammlung des Weltrats der Kirchen in Vancouver. Der Weltfriede ist daher heute das angemessene Thema eines ökumenischen Konzils...

Es gibt zwei wesentlich verschiedene politische Themenkreise:

1. das fortdauernde Blutvergie- ßen im Süden,

2. die Drohung des nuklearen Weltkriegs im Norden. 1

Beide Themenkreise müssen in-ihren jeweiligen Sachzusammenhängen besprochen werden. Es wird unmöglich sein, sich auf rein theologische Feststellungen zu beschränken...

Die Zeit drängt. Meines Erachtens sollte man sich nicht mehr als zwei Jahre bis zum faktischen Beginn des Konzils und möglichst nicht mehr als ein weiteres Jahr bis zu seinem Ende Zeit setzen, so daß es spätestens 1989 abgeschlossen wäre. Zwei Jahre bis zum Beginn: ein halbes Jahr Vorerörterung in den einzelnen Kirchen, ein halbes Jahr Vorerörterung zwischen den Kirchenleitungen, ein Jahr technische Vorbereitung. Ein Jahr bis zum Abschluß. Länger nicht...

Der erste Adressat eines Friedenskonzils der Kirchen ist die Welt, nicht die Kirche. Die Welt ist zerrissen von Unfrieden, bedroht von einem übergroßen Krieg. Die Kirche soll an die Welt mit überzeugenden Forderungen herantreten und ihre Dienste für die Erfüllung der Forderungen anbieten. Sie darf das nur, wenn sie ihren eigenen Forderungen genügt und ihre eigenen Konflikte austrägt. Insofern ist der Adressat des Konzils dann auch die Kirche selbst...

Eine Gliederung der Sachthemen kann an die Absicht des ökumenischen Rats der Kirchen anknüpfen, eine Weltversammlung der Kirchen über Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einzuberufen. An diesen drei Titeln läßt sich das Dilemma von Gemeinsamkeit und Gegensätzen ablesen. Aufrichtig wird jedermann für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sein. Fragt man nach der inhaltlichen Bestimmung der drei Begriffe und nach dem Weg zu ihrer Verwirklichung, so ist man mitten im leidenschaftlichen Streit.

Schreiende soziale Ungerechtigkeit ist der Vorwurf der Sprecher der Mehrheit im Süden gegen die nördliche Wirtschaftsdominanz und gegen eigene Führungsschichten; Verletzung der individuellen Menschenrechte wird allen jenen Regierungen vorgeworfen, die, unter welcher Ideologie auch immer, ihren eigenen Untertanen nicht trauen. Den großen. Krieg vorzubereiten, ist der gegenseitige Vorwurf der Supermächte; Krieg und Bürgerkrieg ist tägliche Realität in weiten Regionen des Südens. Zerstörung der Natur, christlich gewendet der Schöpfung, wirft die wachsende ökologische Bewegung der herrschenden Technik vor...

Die Menschheit hat die Machtkonkurrenz bisher nur überlebt, weil es eine Gegenbewegung gab, in zwei Formen, einer kühlen und einer glühenden. Die kühle Form mag man Vernunft nennen, die glühende Liebe...

Vernunft und Liebe sind nicht identisch, aber aufeinander angewiesen. Die politische Vernunft muß sich der objektivierenden Mittel der großen Gesellschaft bedienen... Sie bedarf des Rechts, schafft Normen der Gerechtigkeit, fordert eine politische Moral. Die Nächstenliebe aber knüpft an die Verhaltensweise in der kleinen Gesellschaft an. In dieser gilt geradezu ein Quantifizierungsverbot für gegenseitige Leistungen; es ist zerstörend, die persönliche Beziehung zum Mitmenschen mit Geld zu messen. Eben darum bringt die Nächstenliebe nicht die abgemessene Moral hervor, sondern den Uberschuß; christlich gesagt nicht Gesetz, sondern Evangelium.

Die heutige Krise ist die Krise der bisher einsetzbaren Mittel politischer Vernunft. An sich wären die Probleme durch gemeinsame Vernunft lösbar... Diese müßte sich gegen die kurzsichtigere Rationalität der Einzelinteressen durchsetzen und gegen die starken Affekte, die diese Interessen begleiten. Affekte wurden nur durch Affekte gebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand den notwendigen Bewußtseinswandel vollziehen kann, der nicht durch die Verzweiflung hindurchgegangen ist und den nicht der Affekt der Nächstenliebe aus der Verzweiflung gerettet hat.

Dies aber ist die Figur der christlichen Eschatologie. Verzweiflung ist seelische Vorwegnahme des Gerichts, und Nächstenliebe ist das neue Leben. Wenn die Kirche die Tradition ihres Ursprungs versteht, hat sie der Welt etwas zu sagen, was ihr niemand sonst sagen kann.

Aus einem Vortrag für das Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ am 9. Oktober 1985 in der Konzilsgedächtniskirche Wien-Lainz.

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