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„Was seid ihr so furchtsam?“

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„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20) verheißt Jesus Christus seinen Jüngern. Doch hat man dieser Botschaft in der Kirche wirklich Glauben geschenkt? Ängstlichkeit und Sorge begleiten die Kirche auch heute. Es gelingt nicht so recht, unsere Mitmenschen von der frohen Botschaft des Apostels Paulus („Zur Freiheit hat Christus uns befreit“, Gal 5,1) zu überzeugen. Dabei hat die Geschichte schon oft gezeigt, daß Widerstände gegen das hereinbrechende Neue wohl auch aus gut gemeinter Sorge vorgebracht wurden, aber letztlich die Zeichen der Zeit nicht erkannt wurden.

Die Entwicklung der Naturwissenschaften wurde anfangs mit Verboten und Mißtrauen begleitet. Heute kann die Erkenntnis der wunderbaren Zufälligkeit des Kosmos zum Glauben ermutigen. Das zähe Festhalten an einer wörtlichen Auslegung der Paradieserzählung, die die Kraft mythologischer Rede, wie sie uns etwa auch durch das altorientalische Epos von Gilgamesch und Enkidu entgegentritt, verfehlt, hat unnütze Gewissenskonflikte mit sich gebracht.

Ein Besuch in einer paläontologischen Sammlung, ein Blick in ein Buch über vergleichende Anatomie der Wirbeltiere oder einige Kenntnisse der Verhaltensforschung zeigen schon, was es heißt, Mensch aus dem „Staub vom Erdboden“ (Gen 2,7) zu sein, biologisch und psychisch kontingent. Die Auswirkungen dieser neuen Sichtweisen auf unser Verständnis vom Menschen und vom rechten Tun sind erst aufzuarbeiten.

Das Entstehen der kritischen Erforschung biblischer Texte hat Jahrzehnte der Spannungen und zahlreiche Verdächtigungen für katholische Theologen gebracht. Heute ist zumindest in der wissenschaftlichen Exegese eine erfreuliche Freiheit vorzufinden. Dennoch stehen noch manche Konsequenzen für die Verkündigung — etwa für die Interpretation der Mariologie oder des hier-

archischen Aufbaus der Kirche — aus, deren Einbringung für das ökumenische Gespräch einige hilfreiche Impulse bieten könnte.

Wenn ein Theologe die Sprache unserer Zeit trifft und versucht, neue Akzente zu setzen, so wird er nicht von seinem Grundanliegen her, sondern von möglichen Abweichungen von einer in ungeschichtlicher Denkweise umwandelbar gesehenen Lehre her beurteilt. Wenn der missionarische Einsatz religiöser Gruppen, die oft als Sekten bezeichnet werden, in seelsorgliche Leerräume vordringt, wird Abkapselung anstelle des offenen und brüderlichen Gesprächs empfohlen. Offenbar ist trotz sonntäglicher Verkündigung das Wissen um den Reichtum des katholischen Glaubens nicht weit verbreitet.

Wenn Christen den Schatz östlicher Meditationsformen für sich fruchtbar machen, wird warnend die Möglichkeit einer Konversion zu Hinduismus oder Buddhismus in den Raum gestellt. Wenn Frauen ihre gesellschaftliche Rolle neu gestalten wollen oder gąr Teilnahme am kirchlichen Weihesakrament anstreben, werden sie mit dem Hinweis auf jahrhundertalte Traditionen vertröstet. Wenn Menschen, deren Ehe zerbrochen ist, einen neuen Anfang in einer neuen Bindung wagen, erfahren sie weniger Verzeihen und Barmherzigkeit als Festgelegtsein durch kirchenrechtliche Fesseln.

Vielen ist die Unruhe, die die Kirche der Gegenwart erfaßt hat, zu groß, sind schon zu viele Veränderungen geschehen. Da möchte ich doch auf die Heilige Schrift selbst verweisen. Vergleicht man das unruhige Allegro staccato der (echten) Paulusbriefe mit dem behäbigen Andante kirchenamtlicher Texte, so kann bewußt werden, aus welch lebendigem Gärungsprozeß Kirche entstanden ist. Die Jünger erfahren die Nähe des Herrn, aber nicht, ohne Wogen und Wind ausgesetzt zu sein (Mk 4,35 - 41).

Der Autor lehrt Mathematik an der Universität Salzburg und ist Vorsitzender des Katholikentagskomitees der Erzdiözese Salzburg.

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