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Was sind „Grüne"?

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Der „Grünen Welle" in Österreich widmet das Institut für Wirtschaft und Politik das jüngste Heft ihrer Publikationsreihe „Conturen". Aus der Vielzahl der interessanten Beiträge haben wir einen Auszug aus jenem ausgewählt, der sich mit den Chancen einer „grünen" Partei in Österreich auseinandersetzt.

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Der „Grünen Welle" in Österreich widmet das Institut für Wirtschaft und Politik das jüngste Heft ihrer Publikationsreihe „Conturen". Aus der Vielzahl der interessanten Beiträge haben wir einen Auszug aus jenem ausgewählt, der sich mit den Chancen einer „grünen" Partei in Österreich auseinandersetzt.

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Als Meinungsforscher, dessen Beruf es ist, die Bevölkerung zu befragen, bekomme ich in letzter Zeit Uber den Themenbereich Umweltschutz, Kernkraft, Energiekrise, kurz, über die „Grünen", so viele Fragen gestellt, daß ich an dieser Stelle einmal für interessierte Leser, die in der heutigen Informationsflut Orientierung und Uberblick suchen, klar und im großen Zusammenhang alle solche immer wieder auftauchenden Anfragen beantworten will...

1. Was sind „Grüne"?

Wie in allen westlichen Industriestaaten breiten sich auch in Osterreich „grüne" Ideen aus, die im wesentlichen die Sorge ausdrücken, daß wir durch Umweltverschmutzung, Technik und Chemie, durch „unnatürliche" Lebens- und Arbeitsbedingungen an Gesundheit und Glück, körperlich und seelisch, Schaden leiden könnten.

Die Grünen sind vor allem moderne, städtische, besser gebildete und jüngere Menschen, denen es gut geht und die auch einen Rückfall in frühere Not nicht befürchten; sie streben daher einerseits nach hoher Lebensqualität, die früher und heute noch in Entwicklungsländern als Luxus galt und gilt, sie sorgen sich andererseits aber auch um die Zukunft.

Zum Wesen der „grünen" Ideen gehört es auch, mit politischen Mitteln wirksam zu werden, wobei eine direktere Demokratie, von der Basis her, gefordert wird.

Den ganzen, recht vielfältigen und wirren Ideenkomplex, den man da findet, hat man unter-Begriffen, wie Technologiemißtrauen, Fortschritts-Skeptizismus und Demokratie-Verdrossenheit, zusammenzufassen versucht. Alles vergebens. „Grüne" Ideen lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Sie tauchen da und dort auf, werden auch immer öfter als Argument für lokale Interessen, Bürger-Initiativen und persönliche Lebensstrategie verwendet.

Während die grundlegenden Auffassungen recht beständig zu sein scheinen, gibt es unter den „Grünen" periodisch Wellen aktueller Themen, sozusagen den letzten „grünen Modeschrei" - seien das nun Fabrikabgase, der Stadtverkehr, Staudämme, die chemische Industrie, Kunstdünger oder Kernkraftwerke.

2. Wie viele Grüne gibt es in Österreich?

Das ist unmöglich zu sagen. Manche „grüne" Ideen, wie Umweltschutz, die Angst vor Chemikalien und Kunstdünger, der Wunsch nach einem natürlicheren Leben (was das immer sein mag), sind bei drei Viertel der Bevölkerung vorhanden.

Jene Bevölkerungskreise, deren unmittelbarem Lebensempfinden die „grünen" Ideen entsprechen, die also nicht nur in einzelnen Punkten, sondern in vielen Bereichen „grün" denken, machen aber nur etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. Darunter gibt es wieder mehr und weniger eingefärbte Grüne.

Der Grad der Identifikation mit „grünen" Ideen stimmt aber wiederum nicht immer mit der Aktions- und „Kampf-Bereitschaft überein. Meist meint man unter den „Grünen" nur jenen kleinen militanten Kern, der sich politisch manifestiert. Diese machen, selbst wenn man die Grenze weit zieht, nicht mehr als fünf Prozent der Bevölkerung aus.

3. Gibt es eine grüne Ideologie?

Nein, wenn man darunter eine zusammenhängende politische Lehre versteht, eine gesellschaftliche Handlungsanweisung mit definierten Zielen oder gar ein politisches Programm.

Zu einer vollen Ideologie fehlt aber eine klare Zielsetzung. Die Grünen wollen meistens nur Entwicklungen, die Fehlentwicklungen sein könnten, verhindern. Die Alternativen, zwar als AI-ternativ-Kultur ersehnt, sind kaum solcher Art, daß aus ihnen gesellschaftspolitische Leitlinien entstehen könnten.

In der ständigen Kritikbereitschaft widersprechen die „grünen" Ideen eigentlich dem Wesen jeder Ideologie. Echte Grüne sind Propheten und Warner, nicht politische „Macher". Un-günstigstensfalls wird daraus eine Ideologie der „Aussteiger".

4. Wo stehen die Grünen politisch?

Ziemlich gleichmäßig in den Parteien verteilt - und bei den politisch Unentschiedenen.

Es gibt keine klare Parteizuordnung für die Grünen. Die Bildungsschicht und der städtische Mittelstand der Industriegesellschaft, aus denen sie kommen, haben heute ihre politischen Wurzeln sowohl im traditionellen Bürgertum wie im aufgestiegenen Proletariat. Daher hat jede Partei ihre eigenen Grünen. Doch sind sie in allen Parteien etwas mißtrauischer gegen die Parteilinie.

Im aktiven Kern der Grünen ist man auch bereit, der eigenen Partei einen „Denkzettel" bei Wahlen zu geben, wenn man sich enttäuscht fühlt.

Das heißt, jede Partei muß mit einem kleinen Prozentsatz an Wählern rechnen, die sie bei dem nächsten Wahlgang im Stich lassen, wenn die Partei sie im

Kern ihrer „grünen Uberzeugung" verletzt. Andererseits besteht eine gewisse Chance, Grüne, vor allem aus der Schar der Unentschiedenen und Wechselwähler zu gewinnen. Bei allen diesen Potentialen handelt es sich um Prozentbruchteile oder höchstens einzelne Prozente der Wählerschaft.

5. Haben „grüne" Parteien eine Chance?

Keine sehr große. Das Reservoir für eine solche Partei wäre jener erwähnte Kern von fünf Prozent der Wahlberechtigten.

Darüber hinaus kann eine „grüne"

Partei höchstens auf lokaler Ebene und anläßlich eines besonderen Streitfalles oder einer Vertrauenskrise zeitweise mehr Stimmen erreichen.

Aber selbst der Kern von fünf Prozent läßt sich kaum von einer einzelnen „grünen" Partei ansprechen - weil es eben unter diesen Leuten völlig verschiedene politische Vorstellungen gibt. Es ist viel wahrscheinlicher, daß sich in den Parteien „grüne" Flügel bilden, die mehr oder weniger Einfluß ausüben.

Der Autor ist Geschäftsführer des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) sowie Lehrbeauftragter für Psychologie. Soziologie und Langfristplanung an der Technischen Universität Wien.

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