6920810-1981_43_23.jpg
Digital In Arbeit

Was wächst da eigentlich ?

Werbung
Werbung
Werbung

„Jeder von uns ist verantwortlich, daß der Wohlstand einer großen Industriewirtschaft gewährleistet bleibt. Wachstum und Stabilität imserer Volkswirtschaften werden der gesamten Industriewelt und den Entwicklungsländern zur Prosperität verhelfen… Das Ziel muß heißen stetiges und dauerhaftes Wachstum…" Auf diese Erklärung einigten sich die Regierungschefs der führenden westlichen Industrieländer 1975 bei einem Krisengipfel in Rambouillet. ;

Die^e Feststellung zeigt deutlich, welche zentrale Bedeutung dem Wirtschaftswachstum beige-

messen wird. Daher scheint es angebracht, einmal der Frage nachzugehen, was denn da eigentlich wächst, wenn man von Wachstum des Bruttonationalprodukts spricht, und wie das Instrumentarium zur Erfassung des Wachstums entwickelt worden ist..

Heute ist es uns schon zur Selbstverständlichkeit geworden, daß wir jährlich Auskunft über den Stand unserer wirtschaftlichen Leistung bekommen.

Bis zum Ersten Weltkrieg aber waren weder die theoretischen Konzepte ausgereift noch die statistischen Unterlagen für gesamtwirtschaftliche Erhebungen vorhanden. Erste Versuche stellen Privatarbeiten dar, die sich auf Grundbücher, Steuer- und Zollregister stützen.

Zu einer Verbesserung der Datenlage kommt es durch den Ausbau der.Einkommensteuer in den Industrieländern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Es bedurfte aber erst der schmerzlichen Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise, um das System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in seiner heutigen Form zu konzipieren. Damals wurde nämlich offenbar, daß die statistische Erfassung des komplex gewordenen Wirtschaftssystems ebenso notwendig war wie ein vertieftes theoretisches Verständnis des Geschehens.

Sozialprodukt erfaßt Versorgungsgrad mit Gütern und Leistungen

Es war vor allem der Engländer John Maynard Keynes, der mit seinen Arbeiten die Basis für das heute weltweit verwendete System der Wirtschaftsrechnung gelegt hat Entscheidend war, daß er das wirtschaftliche Geschehen als Kreislaufprozeß zu beschreiben verstand. Damit erst wurde es möglich, die wirtschaftliche Leistung von verschiedenen Ausgangspunkten zu messen.

Zentrales Anliegen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die Ermittlung des So-zialprodukts.DiesesistdieSumme der für den Endverbrauch bestimmten Güter und Leistungen, die innerhalb einer Volkswirtschaft im Laufe eines Jahres im Produktionsprozeß hergestellt werden.

Von drei Seiten her kann man an die Schätzung dieser Größe herangehen: So läßt sich etwa die Frage stellen, wo die Leistungen erbracht und die Güter erzeugt werden. Damit erfaßt man das Leistungsvolumen am Ort seiner Entstehung: in der Landwirt-

Schaft, der Industrie, dem Gewerbe, dem Handel, dem Verkehr, usw….

Als Leistung einer wirtschaftlichen Einheit wird dabei die Wertschöpfung eingesetzt. Sie ergibt sich aus der Differenz zwischen Umsatz und Vorleistungen, die von anderen Einheiten zugekauft werden. Wo es kein Entgelt für die erbrachten Leistungen gibt, wie etwa im Bereich der öffentlichen Verwaltung, wird die Leistung über die eingesetzten Kosten, also etwa über die gezahlten Gehälter, geschätzt.

Der zweite Zugang zur Erfassung des Leistungsvolumens geht von der Frage aus, wem das Er-

gebnis der Anstrengungen zufließt, wie der Ertrag verteilt wird: über Löhne, Gehälter oder Gewiime.

Schließlich karm das Problem, noch von einer dritten Warte her gesehen werden. Man kaim danach fragen, wie das Erwirtschaftete verwendet, ob und wieviel davon konsumiert oder aber investiert wird.

Keynes Konzept von der statistischen Erfassung des Wirtschaftsgeschehens bildete die^ Grundlage des von der UNO wei- terentwickelten ,3ystem of National Accounts". In seinen Grundzügen wurde es 1953 der Öffentlichkeit vorgestellt und seither nicht mehr wesentlich geändert. Dieses System brachte eine internationale Vereinheitlichung bei der zahlenmäßigen Erfassung des Wirtschaftsgeschehens. Die weltweite Verbreitung wurde von der UNO nicht zuletzt deswegen stark gefördert, weil sie zur Finanzierung ihres Budgets auf möglichst genaue Daten über die wirtschaftliche Leistung ihrer Mitglieder zurückgreifen wollte.

Damit sind wir auch schon bei der Frage nach der Verwendung dieses Daterunaterials angelangt: Vor allem dient es dazu, das Ausmaß der materiellen Versorgung in einem Land zu erfassen. Da die Daten jährlich erhoben werden, liefern sie aber auch die Basis für die Beschreibung der zeitlichen Entwicklung des wirtschaftlichen Geschehens, also der Messung des Wirtschaftswachstums.

Bei der Beobachtung der zeitli

chen Entwicklung kommt es jedoch zu einem besonderen Problem, dem der Preisveränderung.

Wer etwa Größen aus dem Jahr 1980 mit den vergleichbaren Werten aus 1979 vergleicht, muß feststellen, daß die Veränderungen zwei wichtige Ursachen haben: Sie enthalten sowohl Veränderungen des Produktionsumf anges als auch der Preise.

Die Erfassung der Preise geschieht durch umfangreiche Erhebungen, die in monatlichen Abständen durchgeführt werden. In längeren Zeitabständen (10 Jahre, in Zukunft sollen es nur mehr 5 sein) wird festgelegt, wie sich der Warenkorb, den der durchschnittliche Haushalt im jeweiligen Land

konsumiert, zusammensetzt: Wieviel Geld wird für welche Güter und Leistungen ausgegeben?

Aus der Berücksichtigung oder Vernachlässigung der Preisveränderungen ergibt sich die Unterscheidung in nominelles und reales Wirtschaftswachstum: Reales Wachstum beschreibt die Produktionsveränderungen allein (es betrug 1980 in Österreich 3,5 Prozent), nominelles enthält zusätzlich die Preisveränderungen (es belief sich 1980 auf 8 Prozent).

Ein weiteres Anwendungsgebiet der volkswirtschaftlichen Daten ist der internationale Vergleich. Das jährlich von der UNO veröffentlichte „Yearbook of National Accounts Statistics" enthält eine Fülle von zum Teil sehr detaillierten Wirtschaftsdaten für die meisten Länder der Welt. Zur Herstellung der Vergleichbarkeit bedarf es hier der Umrechnung einer Währung zur anderen. Im allgemeinen wird der US-Dollar als Vergleichsbasis verwendet.

Sowohl der zeitliche als auch der internationale Vergleich des Sozialprodukts wurde vielfach als Basis für Aussagen über Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung verwendet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung