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Was wir brauchen, sind Mischausbildunsen

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Die österreichische Bil-dungspyramide ist für mich weder vertikal noch horizontal adäquat proportioniert. Wir brauchten aus meiner Sicht eine breitere Schicht nüttlerer Bildvmg, dichter gestufte Studienabschlüsse, auch die Kurzstudien, die freiüch von Herrn Minister Busek in einem seiner letzten Interviews bereits abgelehnt worden sind.

Wir brauchen stärkere Herausforderungen für Begabimgen, und wir müssen auch darauf achten, daß die Bildtmgspyramide repräsentativ für die soziale Schichtimg ist. Das ist sie nach wie vor nicht, wenn ich sehe, daß drei Viertel der Bauern lediglich Volksschulabschluß haben und daß auch die jungen Hoferben im Grunde genommen nicht disponieren betreffend eine höhere Schule, auch nicht disponieren betreffend eine Universität. Nur 0,4 Prozent der Hof erben liebäugeln mit einem Studium an der Universität für Bodenkultur.

Ein zweiter Vorschlag, eine zweite Hypothese: Unser tertiärer Bildungssektor, also der Sektor "higher education", ist nicht adäquat ausdifferenziert. Wir können daher nicht den unterschiedlichen

Begabungen und Interessen der Studierenden und auch nicht den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Absolventen adäquat Rechnung tragen. Und ich meine eine Differenzierung des tertiären Sektors nicht nur horizontal, sondem auch vertikal im Sinne von Elitenbildung und Fördenmg besonders Begabter.

Ich verstehe freUich, um das hier anzumerken, den Begabungsbegriff vielschichtig. Begabung heißt für mich Begabung im kognitiv-rationalen, intellektuellen Bereich. Begabung, und das muß immer wieder gesagt werden, geradein Österreich, heißt aber auch Begabung im psy-chomotorisch-handwerkhchen Bereich.

Es gibt auch höchstbegabte Meister, es gibt auch Meister, die der EHte angehören. Begabung gibt es aber auch in der sozialen Kompetenz. Es gibt auch höchstbegabte Krankenschwestern, und es gibt auch Meisterinnen auf diesem Gebiet und Begabung auch im intuitiven Bereich. Und wer nicht über einen differenzierten Begabungsund Elitenbegriff nachdenkt, der wird immer wieder auf ideologische Barrieren mit der Elite auflaufen.

der wird immer wieder einen Beitrag dazu leisten, daß das Schulwissen zu Unrecht in der Hierarchie über dem Erfahrungswissen steht.

In einer Publikation der OECD zum Thema "Development of Higher Education" wird ausgeführt, daß Österreich eines der wenigen Länder ist, das im Grunde genommen keinen nicht-universitären Bereich höherer Bildung hat. Wir haben in Österreich nur die Universitäten und die Pädagogischen Akademien, sonst nichts. Die Bundesrepublik hat beispielsweise die Fachhochschulen, sie hat deswegen auch eine höhere Studentenquote als Österreich. Und ich glaube, wir brauchen diese höhere Büdung im nicht-universitären Bereich.

Kurzstudien zum Beispiel könnten diese notwendige Differenzierung bringen. Und es ist für mich zunächst gleichgültig, ob diese Kurzstudien im Dunstkreis des Wissenschaftsressorts oder im Dunstkreis des Un-terrichtsressorts organisiert werden. Ich halte beispielsweise die Bemühungen in Vorarlberg, ein Technicum Vorarlberg zu installieren, für einen höchst unterstüt-zenswerten Versuch, dahingehend, den nicht universitären Sektor in Österreich, der eben berufsorientierter, psychomotorisch-hand-werklich orientierter sein muß, auszubauen.

Wir müssen unter Umständen auch regionale Aspekte im Bereich der "higher education" beachten. Es gibt regionale Bedürfnisse, beispielsweise der Industrie und Wirtschaft in einer Region, nach Einrichtungen höherer Büdung. Diese regionalen Bedürfnisse müssen nicht immer mit einer Universität abgedeckt werden. Ich plädiere dafür, in Österreich darübo: zu diskutieren, ob wir ün Universitätssystem nicht eine Differenzierung brauchen, zwischen dem, was im Ausland das "community college" ist, und der nationalen Universität", in der nationale Bedürfnisse, insbesondere Forschung, betrieben werden.

Ein drittes und letztes: Ich plädiere für eine stärkere Beachtung des dualen Aspekts der Qualifizierung. Unser Weltbild, unsere Wissenschaft und unsere Ausbildung sind geprägt und dominiert vom kausalen Denken. Wir werden aber auch das Denken in Analogien, wie es beispielsweise für die Homöopathie oder auch die Astrologie typisch ist, schulen müssen. Ich nehme bewußt diese beiden Denkrichtungen, weü dort das Denken in Analogien geschult wird. Ich gehe nicht davon aus, daß das eine Denkmodell durch das andere ersetzt wird, aber wir müssen auch Phantasie mobilisieren, dadurch, daß wir schauen, ob Erkenntnisse im einen Bereich analog in einem anderen Bereich gewonnen werden können. Ich plädiere dafür, daß die Lehr- und Lemstruktur des einen Bereichs, also des Schulwissensbereichs, stärkerinden anderen Bereich integriert wird, in den Erfahrungswissensbereich, und umgekehrt.

Das heißt für die Universitäten, daß sie eine stärkere Berufs- und damit Ausbildungsorientierung bei der wissenschaftli-chenBerufsvorbil-dung vomehmen müssen. Ich gehe davon aus, daß das Grundstudium an einer Universität, das Diplomstudium, stärker als bisher ausbil-dungsorientiert sein muß, daß wir vielleicht auch Sandwichstudien anbieten können: eine Zeitlang Studium an der Universität, eine Zeitlang Praxis, daim wieder ein Studium an der Universität, und dann erst den akademischen Grad.

Dazu wäre es freilich erforderlich, das österreichische Studienrecht höchst intensivzu derzu-Ueren. Es ist uns in Österreich an den Universitäten bis auf den letzten Beistrich im Grunde genommen alles vorgeschrieben. Wir können nicht auf die Dynamik des außeruniversitären Bereichs schnell und adäquat reagieren.

Mit dem akademischen Grad ist der effectus civilis, die staatiich verliehene Berufsberechtigung, verbunden. 14 maschingeschriebene Seiten weisen nur die Gesetzesbestimmungen auf, in denen mit einem bestimmten akademischen Grad eine Berufsberechtigung verbunden ist. Was wir aber brauchen, ist Mischausbüdung: der Techniker, der auch Betriebswirtschaft versteht; der Geisteswissenschaftler, der etwas von der Volkswirtschaft versteht; der Jurist, der etwas von der Anthropologie versteht. Das können wir nicht, weil die akademischen Grade bis ins letzte voraus geregelt sind.

Ich habe aus meiner Liste (siehe Kasten) von Vorschlägen, Visionen und Phantasien nur drei herausgegriffen, wenn Sie sich die weiteren Punkte anschauen - vier bis zwölf -, haben Sie durch das Stichwort vielleicht eine kleine Vorstellung darüber, was ich damit sagen möchte.

Ich gehe nicht davon aus, daß das umsetzungsfähige Re-

formvorschläge sind, ich habe sie daher bewußt Visionen und Phantasien genannt. Ich gehe davon aus, daß wir viele Visionen und Phantasien brauchen, um mit den Problemen, die wir im Bildungssystem haben, fertig zu werden. Ich gehe freilich aber auch davon aus, und die Universitäten tun das zu wenig, daß unser Bildimgssystem nach wie vor sehr viel Positives produziert.

Ich wünschte mir an meiner Universität als nächstes eine Marketing-Abteilung, die einmal darstellt, was die Karl-Franzens-Universität - und das gilt für aUe 18 österreichischen Universitäten und Hochschulen - derzeit bereits, trotz der Probleme, die wir haben, Hervorragendes leistet. Und auch das muß gegenüber unserem Bildungssystem immer wieder festgehalten werden.

Der Autor ist Vorsitzender der Osterreichischen Rektoretdconferenz, Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz und dort ordentlicher Professor an der juridischen Fakultät. Auszug aus einem Vortrag beim "managenvent congress 89" des Management Clubs am 29. April in Wien.

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