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Was wird aus Bangladesh?

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Der Staat, der im Dezember 1971 aus dem Sezessionskampf und Befreiungskrieg der Ostbengalen und der Inder gegen Pakistan entstanden ist, wächst sich zu einem politischen Monster aus: lebensunfähig, doch hochexplosiv. Massenelend und Massenlethargie sind Humus für die Rivalitätskämpfe der verschiedenen Machtgruppen und neuen Eliten. Die Not hat in den ersten Jahren den Kampf der Großmächte um Bangladesh gedrosselt. New Delhi, dahinter die Sowjets, waren „in“. Die anderenüber-ließen ihnen das wirtschaftliche und menschliche Ruinenfeld. Die Erhitzung der Kämpfe der Bengaleneliten lockte dann doch. Die Lockung wurde unwiderstehlich, als die Armee sich einschaltete: Putsch — Gegenputsch — Putsch, und hinter jeder Aktion eine Garnitur von Großmächten. Wie ein Sprengkörper, der nach beiden Richtungen losgehen kann, liegt „das goldene Bengalen“ zwischen Indien und China. Mit den Indern und den Sowjets war die Stoßrichtung bisher gegen Peking gerichtet. Die Militärs des letzten Putsches haben nun die Richtung geändert. Sie haben dabei die Kraft hinter sich, die heute alle Ostbengalen einigt: den Haß gegen den Befreierstaat Indien, gegen Indiens Partner, die UdSSR.

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Der Staat, der im Dezember 1971 aus dem Sezessionskampf und Befreiungskrieg der Ostbengalen und der Inder gegen Pakistan entstanden ist, wächst sich zu einem politischen Monster aus: lebensunfähig, doch hochexplosiv. Massenelend und Massenlethargie sind Humus für die Rivalitätskämpfe der verschiedenen Machtgruppen und neuen Eliten. Die Not hat in den ersten Jahren den Kampf der Großmächte um Bangladesh gedrosselt. New Delhi, dahinter die Sowjets, waren „in“. Die anderenüber-ließen ihnen das wirtschaftliche und menschliche Ruinenfeld. Die Erhitzung der Kämpfe der Bengaleneliten lockte dann doch. Die Lockung wurde unwiderstehlich, als die Armee sich einschaltete: Putsch — Gegenputsch — Putsch, und hinter jeder Aktion eine Garnitur von Großmächten. Wie ein Sprengkörper, der nach beiden Richtungen losgehen kann, liegt „das goldene Bengalen“ zwischen Indien und China. Mit den Indern und den Sowjets war die Stoßrichtung bisher gegen Peking gerichtet. Die Militärs des letzten Putsches haben nun die Richtung geändert. Sie haben dabei die Kraft hinter sich, die heute alle Ostbengalen einigt: den Haß gegen den Befreierstaat Indien, gegen Indiens Partner, die UdSSR.

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In der Befreiungseuphorie vom Jänner 1972 vergaßen Befreite und Befreier, daß 1946 und 1947 mohammedanische Ostbengälen dem Muslimstaat Pakistan als Ostpakistaner angehören wollten. Massaker zwischen Hindus und Muslims waren das Vorspiel zur Sammlung der mohammedanischen Bengalen in Ostpakistan. Züge, voll mit Mohammedanern aus den Gebieten in Indien, erreichten als Leichenzüge die pakistanische Grenze, Züge, voll von Hindus aus den ostpakistanischen Territorien kamen mit ermordeten Passagieren in Indien an. In dieser Zeit betrieb der junge Scheik Mujibur Rahman, wenn nicht den Massenmord, so doch die Teilung.

Kurz nach der Teilung verfing sich Ostpakistan in einem Sprachkampf mit Wesitpakistan. Im Westen erklärte man Urdu zur Staatssprache; die Ostbengalen wiederum beharrten auf Bengali. Der Sprachenkonflikt wurde zum politischen Konflikt, der „Sprachkolonialismus'' zum „Wirtschaftskolonialismus“. Die „Zweihundert Familien“, die neben den Generälen Westpakistan beherrschten, betrieben die Jutefabriken, die von den Engländern in Ostbengalen gebaut und zurückgelassen worden waren. Und sie bauten auch neue Fabriken, neue Industrien. Westpakistan profitierte, Ostpakistan lebte in und von diesem System. Neid nagte an der Islambrüderlichkeit.

1970 kam mit der Großen Flut in Ostpakistan das Kataklysma. Unzählige Tote, grenzenloser Verlust. Die Regierung Westpakistans tat damals, was nach 1971 in der Bangladesh-Elite zur Gewohnheit wurde. Hilfsgüter aus dem Westen vergehwanden en route ... Darauf kam der überwältigende Wahlsieg des Führers der ostpakistanischen Autonomiepartei, des Scheik Mujibur Rahman, der, konstitutionell, nun Ministerpräsident ganz Pakistans werden sollte. Das wollten aber die Westpakistaner unter keinen Umständen. Sie verlegten Armeen, sie verhängten Militärrecht über Ostpakistan. Sie mordeten und vergewaltigten ungehemmt. Nach der Befreiung mit Hilfe Indiens glaubte man in Ostbengalen, in Indien, auf der Welt, daß der Haß gegen die islamischen Brüder aus Westpakistan den Haß gegen die westbengalischen Brüder aus Hindu-Indien ausgelöscht habe; ein euphorischer Trugschluß, in Bangladesh heute vergessen, verdrängt.

Nach ihrem Sieg über Pakistan waren die Inder in dem neuen Staat Bangladesh wie in einem Blumenmeer, in dem es aber von Tag zu Tag mehr Brennesseln und Disteln gab. In tadelloser Kavaliershaltung waren sie hilflos gegen den Bengalenüberschwang. Es gab ein allgemeines Töten. Gegner von gestern, Biharis, Mitglieder feindlicher Fraktionen. Ich war im Lager des Bihari-Frei-schärlerführers Zidikkim. Dem Korrespondenten der TASS sagte er vor mir: „Ich habe alle Razzakan-Fa-schisten liquidiert.“ Einem US-Korrespondenten sagte er: „Ich habe alle Kommunisten in unseren Einheiten liquidiert.“ Er hat wahrscheinlich weder den Russen noch den Amerikaner belogen. Der Scheich konhte damals des Terrors und der Anarchie Herr werden. Er verwirklichte den Primat der Politiker vor den Bewaffneten. Er ließ mit begrenztem Erfolg alle Waffen einziehen. Er zwang die Sidikkims in die Armee.

Doch die Politiker stachen sogar in ihrer südasiatischen Umgebung durch ihre Korruption hervor. Und die Armee wurde, als sie wuchs, von inneren Kämpfen zerfressen. Mujibur Rahman selbst verfiel der regionalen Krankheit. Er selbst blieb unbestechlich, doch seiner Familie, seinen Freunden öffnete er alle Tore zur Korruption.

Ich wurde im Jänner 1972 vom Scheik empfangen, dann wieder im August 1974; ich sah, wie innerhalb von zwei Jahren der Bangabandhu, der Vater des Vaterlandes, verfiel. Nach seiner Heimkehr aus der pakistanischen Gefangenschaft war er feurig, doch politisch maßvoll, aufrecht und aufrichtig. Ich fragte, ob er europäische Beispiele anerkenne. Er antwortete: „Die großen Demokraten. Die Männer, die in Europa um die Demokratie gekämpft haben.“ Ich fragte: „Ist mit dem gemeinsamen Kampf von Indern und Ostbengalen die Erinnerung an Kalkutta jetzt ausgelöscht?“ Er antwortete: „Jeder, hüben und drüben, hat gesühnt, was er damals angerichtet hat. Die Geister stehen nicht mehr auf.“ Er konnte nicht wissen, wie bald sie auferstehen sollten, und zwar gegen ihn. Ich sah ihn dann im August 1974; mißtrauisch, geistig und körperlich aufgeschwemmt; ein typischer Machtpolitiker dieser Zone — aller Zonen. Kein Wort war noch wert, notiert zu werden.

Ein halbes Jahr später liquidierte er die Demokratie, die er gegründet hatte, rief mit Hilfe der Moskau-Kommunisten die Präsidentschaftsdiktatur aus, die erst mit seinem Tod unter den Salven des neuen Diktatorenteams der jungen Offiziere endete.

Scheik Mujibs Schiffbruch war total. Die Armee war aus Stücken zusammengesetzt: einzelne Bestände kamen aus der regulären pakistanischen Armee, andere aus den Partisanenverbänden der Mukthi Bahini. Und selbst in diesen Gruppen gab es Spaltungen; unter den Regulären die Einheiten, die im ostbengalischen Freiheitskampf gekämpft, und die anderen, die in Westpakistan weitergedient hatten. Je schwächer der Scheik sich politisch fühlte, desto skrupelloser spielte er die Armeefraktionen gegeneinander aus. Zum Schluß investierte er aber seine Gnade, die besten Waffen und den höchsten Sold in die Rakkhi Bahini, eine Nachfolgeorganisation der Muk-thi Bahini, doch vorbehaltlos dem Scheik, dem Terror und dem Marodieren verschworen.

Gerade, als Präsident Scheik Mu-jibur Rahman glaubte, mit dem Einsetzen von gauleiterartigen Gouverneuren in den Provinzen dem Chaos ein Ende gesetzt zu haben, brach das wackelige Gebilde der Armee über ihm zusammen. Die Empörung über die Mißwirtschaft, der Haß gegen Indien hatten die entschlossensten

Führer des rebellischen Mukthi-Ba-hini-Stammes, die jetzt in die Richtung Peking blickten, verbunden. Der Präsidentenmord an Scheik Mujibur Rahman vom 15. August, von 49 ehemaligen Mukthi Bahini vollzogen, wurde von der Armee toleriert.

Erst als die 49 jungen Offiziere nicht nur dem neuen Präsidenten, Khondakar Mustaque, sondern auch der Armeeführung Befehle erteilten, brach diese Koalition zusammen.

Die Armeeführung sammelte sich um den G^nttfalmäfor Musharraf, eine der'letzten Säulen der indischbengalischen Waffenbrüderschaft. Der Gegenschlag gelang am 4. November. Die jungen Offiziere flohen. „Ihr“ Präsident, Khondakan, wurde abgesetzt. Doch „die Revolution rollt weiter“. Die Mehrzahl der Generäle wollte nur die größenwahnsinnigen Mörder des Mujibur beseitigen, nicht die Politik des Mujibur wieder heraufbeschwören. Drei Tage lang blieb Generalmajor Musharraf Oberstkommandierender. Drei Tage lang konnte die Presse in Indien jubeln und in-Moskau vom „Sieg der fortschrittlichen Kräfte“ berichten. Länger kann offenbar kein Freund Indiens in Bangladesh sich an der Macht halten und am Leben bleiben.

Am 7. November hieß es wieder: Truppenzusammenstöße, Nachrichtensperre, Flugplatzsperre; zuletzt die Meldung: Musharraf getötet, ein neuer Revolutionsrat gebildet, unter der Führung des Generalmajors Ziaur Rahman, der am 15. August und am 4. November schützend seine Hände über die 49 Präsidentenmörder gehalten hatte.

Ziaur Rahmans Lebensskizze ist; das Führungsbild der neuen Phase: Pakistani-Offizier mit Sand-hurst-Ausbildung, im Befreiungskampf als Kommandant der Mukthi-Bahini-Spezialabteilung „Z“ auf der Seite der Ostbengalen, erst Freund, dann Feind der indischen Waffenbrüderschaft. Sein politisches Weitwinkelobjektiv reicht von Peking bis nach Islamabad, Washington und London liegen wahrscheinlich im freundlichen Blickfeld; Moskau und Delhi sicherlich außerhalb.

Doch die Revolution geht weiter. Den prochinesischen Untergrund gab es in der Armee schon lange. Jetzt bricht er aus, ob Peking es will oder nicht. Nach dem 7. November tauchte die Forderung auf: eine Armee neuen Typs, ohne Offiziersabzeichen, am besten ohne Offiziere. Um die Mitte des Monats ging man in Dakka und in Chittagong daran, die revolutionäre Forderung zu verwirklichen. Mit den Offiziersabzeichen von den Uniformen wurden einige Dutzend Offiziere aus dem Leben entfernt. Ziaur Rahman pendelt zwischen den Garnisonen. Die neue Elite ist an der Macht, mit Rängen und Rangabzeichen. Die Revolution muß gestoppt werden. Ziaur kann sich auf die neuen Freunde berufen, auf die Chinesen. Die haben sich in den beiden Städten mit Flugzeugen und Öltanks in Mammutmissionen niedergelassen und sie glauben an die Gewehre in den Händen einer etablierten Militärmacht, nicht einer zukünftigen, revolutionären.

Nach dem letzten Putsch, am 7. November, waren die gelenkte Presse in Indien und die uniformierte Presse in der UdSSR zuerst ganz still. Jetzt schreibt die „Prawda“ von „feindlichen Kräften“, die in Dakka die Macht an sich gerissen hätten. Und das Presseamt in Delhi dementiert Gerüchte, daß Indien eine Intervention in Bangladesh plane.

Die Landschaft in Bangladesh sieht aus wie die deutsche Landschaft nach dem Westfälischen Frieden aussah. Die Bevölkerung ist in Lähmung versunken und nur eine dünne Schicht, Elite und Eliteaspiranten, agiert bengalisch. Nur die Vermehrungsrate ist positiv; die höchste der Welt. Seit der Befreiung, trotz Hunger und Flut und Rakkhi Bahini, sind aus den 63 Millionen Ostbengalen mehr als siebzig Millionen geworden. Die Explosivstoffe, die sich hier, auf diesem übervölkerten Elendsfeld, sammeln, könnten eines schönen Tages Westasien bedeutungslos erscheinen lassen...

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