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Was zu geschehen hätte

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Die erhoffte Wende ist leider ausgeblieben: Jener Mehrheitsbeschluß, mit dem die sozialistische Koalitionsregierung das neue Wohnbauförderungsgesetz und das neue Wohnhaussanierungsgesetz gegen die Stimmen der ÖVP-Opposition verabschiedete, machte eine große Chance zunichte.

Die beiden neuen Gesetze haben gleich eine ganze Reihe von einmaligen Gelegenheiten versäumt. Etwa im Bereich der Stadterneuerung: Seit Jahr und Tag verlangt die Volkspartei hier Steuererleichterungen für jeden Privaten, der bereit ist, sein Geld in die Reparatur Wiens zu investieren. Unzählige Fachleute haben Berechnungen vorgelegt, um wieviel schneller, besser und billiger die Stadterneuerung dann vom oft angekündigten Schlagwort zur erfreulichen Realität werden könnte.

Die Bundes-SPÖ ließ ihren frischgebackenen Wiener Stadtchef kalt im Regen stehen, von Steuererleichterungen ist in den neuen Gesetzen keine Spur zu finden. Wie die beschleunigte Stadterneuerung für Wien, zu der sich nun auch sozialistische Lippen bekennen können, jetzt finanziert werden soll?

Die Vernachlässigung besseren Wissens zugunsten überkommener Ideologie zieht sich jedenfalls wie ein roter Faden durch die neuen SP-Wohngesetze. Ganz zu schweigen von der permanenten Benachteiligung des Eigentums gegenüber Mietwohnungen. Ganz'

zu schweigen auch davon, daß die SPÖ-Koalition ein Gesetz zur Sicherung von Wohnungswerbern gegen Genossenschaftspleiten ablehnte. Die Zeiten, in denen derartige Pleiten aus der Schublade der fetten Lettern für Uberra-schungsschlagzeilen zu den kleineren Schriftgrößen für fast schon tägliche Meldungen wechselten, sind ja auch schon fast wieder vergessen, oder?

Aber da ist auch noch die Tatsache, daß das Wohnen für viele Österreicher durch diesen sozialistischen Mißgriff gehörig teurer werden wird. Da wird frisch und fröhlich in bestehende Verträge — für jede Periode und Ideologie der Rechtslehre das Allerheiligste — eingegriffen, wird die Verzinsung von Förderungsdarlehen von 0,5 Prozent auf ganze 6 Prozent angehoben. Und da wird den Ländern auch noch die Möglichkeit eingeräumt, Darlehen früher als ehemals vereinbart fällig zu stellen.

Die Folgen für den Wohnungsinhaber: seine Aufwendungen steigen. Nach dem alten SP-Grundsatz: Wenn der Staat kein Geld hat, muß der Bürger sparen. Nur — wenn der Staat nicht mehr fähig ist, ein Vorhaben zu finanzieren, müßte der Staat sich eigentlich bereitfinden, entsprechende Eigeninitiativen des Bürgers zu fördern. Davon aber keine Spur: Nicht nur, daß keinerlei Steuerbegünstigungen für Privatinitiative gewährt werden — statt daß die vorhandenen Förderungsinstrumente vereinheitlicht und vereinfacht werden, macht ein zusätzlicher Paragraphendschungel den Zugang zu einer Förderung auch noch schwieriger denn je.

Darunter zu leiden haben werden vor allem Wien und die Wiener. Abseits aller Sonntagsreden ist die Stadterneuerung für Wien nämlich tatsächlich eine echte Herausforderung, die nur mit dem Wiederaufbau nach 1945 verglichen werden kann. Laut Studien des Institutes für Stadtforschung sind von den rund 1,1 Millionen Wohnungen in den insgesamt 18 Groß- und Mittelstädten Österreichs rund 350.000 dringend sanierungsbedürftig. Am stärksten betroffen ist naturgemäß die Bundeshauptstadt Wien: 260.000 Wohnungen bedürfen hier dringender Reparatur, zusätzliche 100.000 Wohnungen müßten im Laufe der nächsten Jahre instandgesetzt werden.

Wohnraum wäre in Wien also genug vorhanden — in Gebieten, in denen die nötige Infrastruktur nicht erst auf der grünen Wiese um teures Geld geschaffen werden muß. In den natürlich gewachsenen Stadtvierteln fährt bereits die Straßenbahn, sind die Gas-, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen längst verlegt, gibt es den Greißler am Eck, das Kino im Bezirk, das Theater, die Galerie in der Nähe.

Stadterneuerung dient auf den ersten Blick vor allem der Bequemlichkeit und dem Komfort. Aber neue Häuser werden zumindest drei oder vier Generationen lang bewohnt und gesehen!

Diese Fakten sind ein Plädoyer für die Architektur in ihrer Funktion als stadtgestaltendes Element, in der sie auch für den heimischen und fremden Passanten, den Beschauer, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat.

Architektur darf sich hier aber nicht nur als kosmetischer Schönheitsfaktor verstehen.

Da gibt es viel zu tun: die Straße als Raum des gemeinsamen Lebens, der Begegnung, ist heute ebenso nicht mehr existent wie das Stiegenhaus, die Bassena, in dieser Form als Sozialtherapie. Auch ist schon längst der Zeitpunkt absehbar, wo der Quadratmeter Blech größer sein wird als der Quadratmeter Abstellplatz auf der Straße.

All diese Entwicklungen müssen bei der Stadterneuerung berücksichtigt werden, wenn man dem Anspruch gerecht werden will, „sozialen Wohnbau" zu betreiben.

Der Autor ist Vizebürßermeister von Wien.

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