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Washington muß in der Chinafrage leisetreten

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Als Präsident Carter den aus Peking heimkehrenden Außenminister Vänce auf den Stufen der Staatsmaschine begrüßte, betonte er mehrmals, die Gespräche mit den neuen Machthabern in Peking seien lediglich informativer Art gewesen, in diesem Rahmen auch ein voller Erfolg. Einmal mehr stand der Präsident offensichtlich unter Erfolgszwang, obwohl selbst außenpolitische Experten nicht erwartet hatten, daß der Besuch des amerikanischen Außenministers in der vollen Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten gipfeln würde.

Denn die Normalisierung der Beziehungen mit Errichtung von Botschaften in beiden Hauptstädten setzt den Bruch Washingtons mit Formosa voraus, das Peking als integralen Bestandteil seines nationalen Hoheitsgebietes betrachtet Der ehemalige Präsident Nixon hat diese Gleichung 1972 im sogenannten Shanghai-Kommunique prinzipiell anerkannt. Bis jetzt hatte man jedoch keinen Einblick in die,Vorstellungen Pekings über'den Zeitpunkt, zu dem ęlieser Brucb vollzogen werden soll. Watergate und die große Ablöse in Peking nach dem Tod Maos brachten die Gespräche zu diesem Thema zum Stillstand. Die Chinesen haben immer wieder erklärt, daß sie Zeit hätten. Noch vor seinem Tod soll Mao Tse Tung erklärt haben: „Wenn uns die Vereinigten Staaten in 100 Jahren nicht anerkennen, werden sie es im hundertundersten Jahr tun.“ Et brachte damit zum Ausdruck, daß China zwar warten könne, die USA China jedoch brauchen.

Trotz dieser chinesischen Rethorik ist seit der Regierungsübemahme durch Carter immer wieder durchgedrungen, daß die Chinesen keine 100 Jahre warten wollen und daß sie aus zuständigem Munde hören möchten, wie sich Carter und sein Team den Zeitplan der Verwirklichung des Shanghaier Abkommen vorstellen. Die Pekinger Führungsspitze will wissen, wann die kleine amerikanische Garnison aus Formosa und den Pescadores abgezogen und der formelle Bruch mit der „Tschiang Kaischßk Clique“ - wie es im offiziellen Partei- Jargon heißt - vollzogen wird.

Die jüngste amerikanische Außenpolitik zeigt wenig Skrupel, den Vertrag mit Formosa aufzukündigen, wenn es im Interesse der weltweiten Großmachtstrategie gelegen ist. Der politisch rechts vom Zentrum beheimatete Richard Nixon hatte seinerzeit nicht allzuviel innenpolitischen Widerstand zu erwarten, „Realpolitik“ zu machen. Anders ist es mit Carter: Er scheint keinerlei Bedenken zu haben, sein Eintreten für die Menschenrechte mit Bestrebungen zu koordinieren, die diplomatischen Beziehungen mit Kuba und Vietnam wiederherzustellen und die amerikanischen Streitkräfte aus Südkorea abzuziehen.

Was Carters China-Politik im Wege steht, ist das neue Panamakanalab- kdmmen, das momentan im Kongreß und in der amerikanischen Öffentlichkeit heftig diskutiert wird. Schon hat der alte Vorkämpfer des amerikanischen Nationalismus, der Präsident Ford in den Vorwahlkämpfen unterlegene Gouverneur Ronald Reagan erklärt, er werde die Kampagne gegen das Panamaabkommen anführen. Es wird daher einer konzentrierten Pro pagandaoperation des Weißen Hauses bedürfen, um dieses Vertragswerk durch den Senat zu schleußen, wo es der Zustimmung von zwei Dritteln der Senatoren bedarf. Der Führer des Senates, der Demokrat Byrd, hat jedoch vor einer überstürzten Kampagne gewarnt.

Ein einseitiger Bruch der Verträge mit Formosa durch Washington würde aber nicht nur die gegen das Panamaabkommen latente konservative Opposition auf den Plan rufen, sondern auch „liberale“ Kreise, die eine solch „kaltschnäuzige“ Außenpolitik nicht hinnehmen würden. Zu viel hat Carter gerade in diesen Kreisen von Moral in der Außenpolitik gepredigt, als daß er ungestraft seine Prinzipien brechen könnte. So hat beispielsweise einer der angesehensten „liberalen“ Außenpolitiker, der ehemalige Unterstaatssekretär im Außenamt unter Kennedy und Johnson und jetzige Bankier, George Ball, in einem viel beachteten Leitartikel in den „New York Times“ einen Warnschuß abgegeben, indem er unter dem Titel „Gegen feiges Nachgeben gegenüber ’Peking“ unter anderem ausführt: „Was wir verlieren würden, wenn wir Taiwan über Bord werfen? Jedenfalls Achtung vor uns selbst“. Ball lehnt die Befürchtung ab, daß sich Peking Moskau nähern würde, wenn Washington die Anerkennung nicht bald formalisiere. Und weiter schreibt der liberale Politiker: „Peking liebt uns nicht wegen unserer schönen Augen oder wenn wir uns feige seinen Wünschen beugen. Peking ist daran interessiert, mit uns limitierte diplomatische Beziehungen aufrechtzuerhalten, weil wir ein Feind des Feindes Pekings sind.“

Daß Senator Goldwater, der Führer der konservativen Republikaner im Senat, seine warnende Stimme erhob, bevor Außenminister Vance nach China reiste, mag nicht weiter verwundern. Daß aber auch im liberalen Lager der Widerstand wächst, mag Präsident Carter, der schon seine Probleme mit dem Kongreß hat, zu äußerster Vorsicht gemahnt haben. Washington dürfte in der Chinafrage weiterhin sehr leisetreten.

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