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Washingtons Rückzug auf die Inselpositionen

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„Amerikas Tag beginnt in Guam”, heißt es im Prospekt einer Luftlinie, die von Nordamerika nach Asien fliegt. „Sie kommen früher an, als Sie abgeflogen sind.” Guam liegt westlich der internationalen Datumslinie, zehntausend Kilometer vom amerikanischen Festland entfernt. Die Jumbo-Jets von Hawaii nach Manila, Singapur und Hongkong landen auf Guam mitten in der Nacht. Kleinere Flugzeuge auf der Mikronesien-Route machen mehrere Zwischenlandungen; ihr „Inselhüpfen” beginnt auf Ma- juro, einem langgestreckten Atoll der Marshallinseln. Die Flugpiste liegt auf dem schmalen Korallenriff, bei starkem Wind wird sie vom Pazifik überspült. Das Blech der Fahrzeuge auf Majuro ist von Salz zerfressen, manche Autokarosserie besteht nur noch aus Fragmenten.

Nach einem kurzen Luftsprung ist man auf Kwajalein. Hier landet man zwischen Betonbunkern, Treibstoffbehältern, Radarschirmen, Antennen, Raketensilos und einem Golfplatz. In der Lagune liegt das Wrack des deutschen Schlachtschiffs „Prinz Eugen”; es wurde nach dem Krieg für Atom- und Wasserstoffbombenversuche benutzt und später von einem Taifun über das Riff geworfen.

Zur Marshallgruppe gehört das berühmt gewordene Bikini-Atoll. Von 1946 bis 1958 wurden hier 23 Nuklearversuche unternommen. Daran erinnern Stahltrümmer und zerfetzte Bäume. Nach Angaben der amerikanischen Atomenergiekommission ist der Boden von Bikini nicht mehr radioaktiv verseucht. Pflanzen, Vögel, Fische, Krabben wurden untersucht. Die Lebensbedingungen, so wurde festgestellt, sind heute die gleichen wie vor den Tests. Von den 350 Inselbewohnern sind die meisten zurückgekehrt.

Mikronesien war den Amerikanern im Jahre 1947 von den Vereinten Nationen zur Treuhandverwaltung unterstellt worden. Die Mandatsmacht erhielt den Auftrag, Mikronesien wirtschaftlich, sozial und kulturell zu entwickeln und es zur Selbstregierung zu führen. Zunächst verwaltete die amerikanische Kriegsmarine das Treuhandgebiet, dann wurde es dem Washingtoner Innenministerium übergeben. Erst 1965 wurde der „Congress of Micronesia” geschaffen, der sich nach Washingtoner Muster aus Senat und Abgeordnetenhaus zusammensetzt. Die Verwaltung ist heute der größte Wirtschaftszweig Mikronesiens. Politische Protegės und Marinepensionäre haben auf den Inseln eine Sinekure gefunden. Die mittleren und unteren Posten sind von Eingeborenen besetzt. Fischfang und Koprage- winnung, früher die Haupterwerbszweige der Insulaner, sind fast zum Erliegen gekommen. Um so mehr hat sich die Konservenzivilisation, haben sich Trunksucht und Gewalttätigkeit auf den Inseln ausgebreitet. Überall kreuzen wankende braune Gestalten den Weg,’ sind Rastplätze und Strände von Bierdosen übersät. Vor Wellblechhütten liegen Autowracks, sitzen üppige Frauen, vertreiben sich Männer mit Kampfhähnen die Zeit.

Auf den Karolineninseln Ponape und Truk sieht man solche Szenen vor einer großartigen Landschaftskulisse, hier umwuchert tropisches Grün die Hütten, Verwaltungsbaracken und Abfallhalden. Man badet in der türkis- farbenen, kristallklaren Lagune und vermag sich kaum vorzustellen, daß auf dem Meeresgrund sechzig versenkte japanische Schiffe liegen.

Mikronesien, das „Kleininselland”, stand bis zum Jahre 1898 unter spanischer Kolonialherrschaft. Im Spanisch-Amerikanischen Krieg fiel Guam an die Vereinigten Staaten, die übrigen Inseln verkaufte Madrid für 18 Millionen Mark an das Deutsche Kaiserreich. 1885 wurde auf den Mar- shallinseln die Reichsflagge gehißt Den Deutschen ging es im Pazifik um die Erschließung von Rohstoffquellen und Warenmärkten zwischen Neuguinea und Samoa. Spanien hatte in Mikronesien zwar eine lebhafte Missionstätigkeit entfaltet, aber für die wirt schaftliche Entwicklung so gut wie nichts getan. Die deutschen Pflanzer und Minengesellschaften erhielten Regierungssubventionen, doch bevor ihre Bemühungen rentabel wurden, brach der Erste Weltkrieg aus. Der deutsche Kolonialbesitz kam beim Friedensschluß unter japanische Treuhänderschaft. Tokio betrachtete die Inseln als Siedlungsraum, systematisch wurden die drei Inselgruppen japanisiert. Sie dienten im Zweiten Weltkrieg als Sprungbrett für die Eroberung der Philippinen, Indonesiens, Neuguineas und für den japanischen Angriff auf Pearl Harbor.

In Australien und Neuseeland, auf den Inseln Polynesiens und Hawaüs organisierten die Amerikaner und ihre Alliierten die Gegenoffensive. Zäh und verlustreich wurde um starkbefestigte Inselstützpunkte und unbewohnte Atolle gekämpft. Allein auf der Marianneninsel Saipan fielen 1944 mehr als zwanzigtausend Japaner und über sechstausend amerikanische Marine soldaten. Auf der Nachbarinsel Tinian startete im folgenden Jahr eine Maschine vom Typ B 29 mit der Hiroshima-Bombe …

Washingtons Nachkriegspolitik war darauf gerichtet, Mikronesien in den Verteidigungsgürtel zwischen Alaska und Australien einzubeziehen. Während junge Mikronesier auf amerikanische Schulen geschickt wurden, kümmerte sich Washington wenig um die wirtschaftliche Entwicklung. Plantagen, Straßen, Wirtschaftsanlagen aus deutscher und japanischer Zeit verkamen. Jahrelang war Schrott das wichtigste Exportgut der Inseln. Bezeichnenderweise wurde nicht vom „Trust-”, sondern vom „Rust-Territo- ry” gesprochen.

Erst kritische Presseberichte und die Beanstandungen einer UNO-Un- tersuchungskommission führten zu verstärkten Hilfsmaßnahmen Washingtons. Ein deutscher Pastor der Liebenzeller Mission und ehemaliger Luftwaffenpilot hat hier eine von den Eingeborenen vielgelobte Fluggesellschaft aufgebaut. Abgelegene Inseln, die früher nie einen Arzt sahen, werden jetzt von „fliegenden Doktoren” besucht. Aber auch hier ersetzt Wellblech vielfach schon das Grasdach, auch hier hört man Klagen über respektlose junge Leute, die sich aus den bisherigen gesellschaftlichen Bindungen entlassen fühlen und mit ihrer Freiheit nicht viel anzufangen wissen.

Am weitesten entwickelt in Mikronesien ist Guam, die südlichste Marianneninsel. Guam gehört nicht zum Treuhandgebiet, sondern güt als amerikanisches Territorium, seine Bewohner sind amerikanische Staatsbürger. Die US-Navy unterhält hier einen Stützpunkt für die atomar betriebenen Polaris-U-Boote.

Nozu Unabhängigkeit?

Die Guamesen sind rassisch stark vermischt, in ihren Adern fließt spanisches, malaiisches und japanisches Blut. Sie wählen den Gouverneur, nehmen aber noch nicht an den amerikanischen Präsidentschaftswahlen teil. Guam ist auf gutem Wege, der 51. Staat der USA zu werden.

Die Inselwelt Mikronesiens ist sowohl landschaftlich wie ethnisch un einheitlich. Die Amerikaner, die den Nordpazifik als ihr Binnenmeer betrachten, möchten aus verteidigungspolitischen Gründen die Inseln langfristig an die USA binden. 1975 gewährten sie den nördlichen Mariannen einen ähnlichen Status wie Puerto Rico. Das sogenannte „Commonwealth der Nordmariannen” bildet nunmehr mit den Vereinigten Staaten eine politische Union. Mit Restmikronesien verhandelt Washington über ein Protektoratsverhältnis. Im „Congress of Micronesia” streiten sich Abgeordnete der Karolinen- und Marshallinseln um die Frage: Föderation unter amerikanischem Protektorat oder Unabhängigkeit? Die Politiker wissen: bei völliger Unabhängigkeit würden die amerikanischen Geldzuwendungen entfallen. Gleichwohl gibt es starke separatistische Tendenzen. Washington wird jedenfalls mit Restmikronesien Separatverträge schließen und bemüht bleiben, keine dritte Macht auf den Inseln Fuß fassen zu lassen. „Ohne Sicherheit”, so heißt es in der von Präsident Ford einstmals verkündeten Pazifik-Doktrin, „kann es weder Frieden noch Fortschritt geben.” Nach dem Vietnamkrieg und dem Disengagement Washingtons in Korea erhält Mikronesien neue strategische Bedeutung.

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