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Wasserstoff-Ente?

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Zwei Chemiker wollen in vier Jahren mit einer Million Schilling Kosten das erreicht haben, wofür die Welt seit Jahrzehnten vergebens unzählige Milliarden verpulvert.

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Zwei Chemiker wollen in vier Jahren mit einer Million Schilling Kosten das erreicht haben, wofür die Welt seit Jahrzehnten vergebens unzählige Milliarden verpulvert.

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Keine Wissenschaft kostet so viel wie die Kernphysik. Milliarden werden für immer größere Teilchenbeschleuniger verpulvert. Klarerweise opfern die Staaten nicht der reinen Wissenschaft. Ganz oben auf der Liste der Hoffnungen steht die auf den Sankt- Nimmerleinstag der kontrollierten Kernfusion. Um ihr näherzukommen, geben allein die europäischen Staaten jährlich eindreiviertel Milliarden Schilling aus. Und jetzt kommen zwei Chemieprofessoren daher und behaupten, sie hätten den Stein der Weisen im Glaskolben bei Zimmertemperatur erzeugt.

Schlicht auf dies, einen Stein der Weisen, läuft die Nachricht, deretwegen die wissenschaftliche Welt derzeit köpf steht, hinaus. Die Herrscher des Spätmittelalters erhofften sich die Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme von den Goldmachern, die fünfzi-

ger Jahre unseres Jahrhunderts träumten vom Goldenen Zeitalter der bei der kontrollierten Kernverschmelzung anfallenden Energie. Nun steht nicht zuletzt auch das Prestige einer teuren Art zu forschen auf dem Spiel.

Die Kernfusion bei Zimmertemperatur stieß begreiflicherweise auf ungläubiges Staunen, wurde gar als Aprilscherz zweier anerkannter Kapazitäten abgetan, macht nun aber immer mehr Fachleute ratlos: Auch in Wien soll der Versuch der Professoren Martin Fleischmann und Stanley Pons aufgrund der vorliegenden, lückenhaften Informationen reproduziert und dabei zwar eine geringere als die von den beiden angegebene, aber doch eine Ęnergieaus- t>eute ungeklärter Herkunft er^ zielt wörderTseirT. Handelt es sich wirklich um das Alchemisten-

Gold des zwanzigsten Jahrhunderts, Fusionsenergie? Oder „nur“ um ein unbekanntes, erklärungsbedürftiges Phänomen?

Wer von Kernfusion spricht, meint die Verschmelzung von Atomkernen des leichtesten Elements, Wasserstoff, zu denen des nächstschwereren, Helium. Die Umwandlung von Wasserstoff in Helium ist der wichtigste Energielieferant der Sterne. Um den Prozeß in Gang zu bringen, sind nach heutigem Wissen viele Millionen Grad Celsius und hoher Druck notwendig. Erst bei Temperaturen, bei denen alle Elemente längst zu ionisiertem Gas, in dem die Atomkerne ihre Elektronenhüllen verloren haben, geworden sind, ist die Bewegungsenergie der Atomkerne groß genug, um die elektrostatische Abstoßung von Teilchen gleicher elektrischer Ladung zu überwinden und mit solcher Wucht aufeinanderzuprallen, daß die Verschmelzung stattfinden kann. Ein Mantel der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium um eine Atombombe läßt deren Hitze- und Druckwelle zum Zünder der Fusion werden und kann die Wirkung der Atombombe vertausendfachen.

Seit Jahrzehnten bemühen sich die Physiker, immer höhere Temperaturen immer länger aufrechtzuerhalten. Jüngster Stand: etwa 100 Millionen Grad 20 Sekunden lang. Gewaltige Magnetfelder komprimieren das Plasma, den ionisierten Wasserstoff, und heizen dabei eine winzige innere Zone auf, die mit dem Quarzglas der Gefäßwandungen nicht in Berührung kommt. Die kontrollierte Kernfusion rückt zugleich in immer größere Ferne. In den frühen fünfziger Jahren war von 20, vielleicht 30 Jahren bis zu den ersten Fusionskraftwerken die Rede. Heute werden sie frühestens für die Mitte des nächsten Jahrhunderts prophezeit, niemand wagt mehr auszuschließen, daß man einer Schimäre nachläuft.

Die Mischung von Verblüffung, Skepsis und Hoffnung, mit der die Welt auf die Mitteilung der Professoren Fleischmann und Pons reagierte, ist daher nur zu begreiflich. Erst im Mai sollen alle Einzelheiten bekanntgegeben werden. Die University of Utah wäre am Ertrag der Entdeckung beteiligt und will daher zuvor alle rechtlichen Fragen klären.

Beide sind Chemieprofessoren, Fleischmann an der Universität von Southampton, Pons in Sait Lake City, Utah. 1984 hatten sie den Einfall, Schweres Wasser im Spannungsfeld zwischen einer Anode aus Platin und einer Kathode aus Palladium zu erhitzen. Strom zerlegt bekanntlich die Moleküle des Wassers in ihre Sauerstoff- und Wasserstoffatome, wobei sich letztere beim negativen

Pol sammeln.

Im konkreten Fall wanderten aber nicht nur die Deuterium-Moleküle zur Kathode, sondern die Forscher konnten Gamma- und Neutronenstrahlung feststellen und nach dem Versuch das Wasserstoff-Isotop Tritium nachweisen. Die 15 Zentimeter langen Palladium-Kathoden erhitzten sich, eine schmolz - was Palladium erst bei 1550 Grad Celsius tut. Die Heizung des Gefäßes, so die beiden, hätte dazu keinesfalls ausgereicht. Gamma- und Neutronenstrahlung und Tritium deuten auf Fusion. Helium hätte auch auftreten müssen, ist aber schwieriger nachzuweisen. Deutsche Physiker meinten, daß bei einem Fusionsprozeß viel mehr Tritium hątte entstehen müssen. Immerhin sei denkbar, daß die Konzentration der Wasserstoffatome in den Palladiumstäben genügend Druck erzeugt, um Kernfusionen einzuleiten. Nach wie vor geistert auch der Verdacht durch die Welt, zwei Spaßvögel könnten ihre fachlichen und psychologischen Kenntnisse verwendet haben, um der Welt einen Su- per-„Grubenhund“, eine Wasserstoff-Ente, zu bescheren.

Wäre die Sache wahr, könnte sie die Welt gründlich verändern. Schwerer Wasserstoff ist nahezu unbegrenzt vorhanden: 0,015 Prozent des im Wasser gebundenen Wasserstoffs. Die nötigen Mengen des 98prozentigen schweren Wassers, das bei 3,72 Grad Celsius gefriert und bei 101,42 Grad siedet, wären kein Problem. Auch Palladium gibt es genug. Es ist bloß eine große Frage, ob wir uns den Eintritt ins Goldene Zeitalter eines grenzenlosen Energieangebotes heute schon wünschen sollen. Abgesehen von der radioaktiven Verseuchung der Fusionsanlagen durch die Neutronenstrahlung wäre Fusionsenergie die sauberste, die man sich vorstellen kann. Es müßte kein Erdöl mehr zur Energieerzeugung verfeuert werden. Dies würde eine schlagartige, drastische Verringerung der CO»-Erzeugung bedeuten. Die Stromerzeugung würde nicht mehr zum Treibhauseffekt beitragen, das Erdöl viel länger reichen.

Billige Fusionsenergie in großen Mengen würde aber auch bedeuten, daß in einer gewaltigen konjunkturellen Expansion alle Prozesse angeheizt würden, die Umwelt und Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe erzeugen. Energie ist unter diesem Gesichtspunkt schon heute zu billig. Noch billigere könnte einen Rationalisierungsschub einleiten, bei dem die Ausbeutung der Rohstofflager noch schneller voranschreitet, noch mehr erzeugt und weggeworfen wird, Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit und Armut ganzer Erdteile aber nach wie vor existieren.

Die Menschheit verfügt heute über Rohstoffe und Energiequellen wie nie zuvor in der Geschichte und wird von technischen Innovationen geradezu überschwemmt, kann aber Hunger, Armut und Ungerechtigkeit nicht beseitigen. Mit der billigen Energie könnte es uns ergehen wie mit dem bisher in die Fusionsforschung gesteckten Geld: Das eigentliche Ziel entfernt sich immer mehr. Von der Fusionsenergie das zu erhoffen, wozu wir mit all unseren bisherigen Innovationen nicht in der Lage waren, wäre äußerst naiv.

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