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Watergate - Kontrolle eines Cäsaren?

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Ein politischer Skandal ist immer auch ein politisches Kampfmittel. Was heute in den Vereinigten Staaten vor sich geht, ist eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen der Administration Nixon und den unzähligen Gegnern, die sie sich im Laufe von viereinhalb Jahren gemacht hat. Schadenfreude von Europäern, die sich zum Antiamerikanismus bekennen, wäre eine politische Torheit. Diesmal handelt es sich ausschließlich um einen Kampf zwischen Amerikanern. Anschuldigungen, die die amerikanische Presse gegen die Regierung Nixon erhebt, stellen allerdings alles in den Schatten, was in der übrigen Welt je gegen die amerikanische Politik gesagt wurde.

An der Tatsache, daß Nixons engste Mitarbeiter sich an der Wahlspionage gegen das Haupt-

quartier der Demokraten in Watergate beteiligt oder davon gewußt oder mindestens nachträglich den Skandal zu vertuschen versucht haben, besteht heute kein Zweifel mehr. Auch daran nicht, daß allerhand Manipulationen der öffentlichen Meinung, auch die Fabrizierung von tausenden zustimmenden Briefen und Telegrammen an den Präsidenten von seinen Werbeleuten und Propagandisten zugunsten seiner Wiederwahl voriges Jahr vorgenommen worden sind. Aber die Manipulation ist so sehr eine Faustregel der politischen Sitten in den Vereinigten Staaten, samt der Bestechung von Politikern, Richtern und Polizeibeamten und ihrer Abhängigkeit von Gangstersyndikaten, daß eigentlich keiner dem anderen große Vorwürfe machen kann. Nixons Mißgeschick bestand darin, daß nicht so sehr aus Geldgier oder infolge der im politischen Leben häufig vorkommenden Erpressung seine Vertrauensleute ins Gedränge kamen, als vielmehr, weil sie skrupellos alle, auch die verwerflichsten Mittel anwandten, um die Wiederwahl ihres Chefs im November 1972, beziehungsweise die Diskreditierung seines Konkurrenten und der Demokratischen Partei herbeizuführen.

Mit der sensationellen Entlassung seiner engsten Mitarbeiter hat Richard Nixon der Affäre Halt zu gebieten versucht. Die Frage, die heute in Amerika auf allen Lippen ist, lautet, ob der Präsident etwas von der Sache wußte oder versucht hat, sie zu vertuschen.

Deshalb lautet heute die Frage, ob die Presse und die politischen Gegner Nixons Ruhe geben werden. Es gehört zu den unglaublichen, aber dennoch wahren Erscheinungen des amerikanischen Lebens, daß alle Aussagen, die vertraulich vor der Grand Jury von den Angeklagten des Watergate-Skandals gemacht wurden, prompt in die Hände des berühmten Journalisten Jack Anderson gerieten, der sie in einer Kette von mehr als 700 Zeitungen quer durch den ganzen Kontinent ausschlachtete.

Für den mit der Washingtoner Szene nicht eng Vertrauten stellt sich eine weitere Frage: Weshalb wird dieser Kampf mit einer Erbitterung geführt, die nicht nur die Ehre des Präsidenten, sondern sein ganzes politisches System ernstlich bedroht? Seit Roose-velts Zeiten ist das Präsidentenamt in Amerika mit immer größerer Macht ausgestattet worden. Die amerikanischen Präsidenten haben sich zu römischen Cäsaren entwickelt, die ihre Exekutivgewalt zusehends der Kontrolle durch das Parlament und der Öffentlichkeit zu entziehen trachteten. Solange sie Erfolg hatten, konnten sie fast wie absolute

Monarchen regieren. Der Vietnamkrieg brachte die Wendung. Nixon ist wenigstens teilweise das Opfer der Politik seiner Vorgänger. Präsident Johnson war schlau genug, seinem Nachfolger die Liquidierung eines Kriegsabenteuers zu überlassen, die ihm keinen Ruhm eintragen konnte. Nicht ohne Mühe hat Nixon den Abzug der amerikanischen Truppen aus Indochina zum ehrenvollen Frieden umgedeutet, was natürlich die amerikanische Öffentlichkeit nicht über die unerfreuliche Wahrheit des faktischen Mißerfolges zu täuschen vermochte. Daß der Präsident sich so erzürnt über die europäischen Reaktionen auf die Weihnachtsbombardements von Hanoi und Haiphong äußerte, war der Enttäuschung darüber entsprungen, daß Ajnerikas atlantische Verbündete sich nie mit dem Viet-

namkrieg solidarisiert hatten, und daß ihr passiver Widerstand gegen diese Politik mit dem aktiven der amerikanischen Kriegsgegner übereinstimmte.

Unvorsichtig und in seiner autoritären Art undemokratisch handelte Nixon bei seinen Beziehungen zu seinen Ministem und zu den Häusern des Kongresses. Während der vier Jahre seiner ersten Amtszeit hat Nixon seine ganze Macht in der Befehlszentrale des Weißen Hauses konzentriert und dadurch die Kompetenzen, die normalerweise von den Ministerialdepartments ausgeübt werden sollten, in die Hände seiner persönlichen „Berater“ gelegt. Das sogenannte Exekutivprivileg, das nicht der Verfassung, sondern einem Gewohn-

heitsrecht sein Bestehen verdankt, bewahrt die persönlichen Mitarbeiter des Präsidenten davor, vor parlamentarischen Kommissionen aussagen zu müssen. Auch das Parlament hatte faktisch keinen Einfluß mehr auf die Politik des Weißen Hauses. Sogar Gesetze, die von den Häusern des Kongresses beschlossen waren, wandte der Präsident unter irgendwelchen Vorwänden nicht an. Am meisten schadete sich Nixon selbst infolge seines schlechten Verhältnisses zur Presse und der Drohung, die Pressefreiheit einzuschränken. Es ist kein Zufall, wenn heute das Kesseltreiben gegen ihn von der Presse ausgeht, auch keiner, daß große Zeitungen wie die „Washington Post“ und die „New York Times“ ihre ehemalige Gegnerschaft gegen den Vietnamkrieg nun auf die innenpolitische Ebene verlegen. Im Watergate-Skandal geht es nicht in erster Linie um Gerechtigkeitsliebe, sondern um einen mit den robustesten Mitteln geführten Kampf gegen ein Regierungssystem und seine Repräsentanten.

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