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Weg aus der Misere?

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Ein wichtiger Eckpfeiler bei der Reform des osterreichischen Gesundheitswesens (FURCHE 51/ 1992) ist das neue Spitalsabrech-nungsmodell. Es soil den Kran-kenhausauf enthalt auf das „not-wendige Mali” reduzieren.

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Ein wichtiger Eckpfeiler bei der Reform des osterreichischen Gesundheitswesens (FURCHE 51/ 1992) ist das neue Spitalsabrech-nungsmodell. Es soil den Kran-kenhausauf enthalt auf das „not-wendige Mali” reduzieren.

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Das Thema Krankenanstaltenfinan-zierung gehort zu den Fixpunkten einer jeden Budgetdebatte in den Landern und den spitalserhaltenden Gemeinden.

Die Finanzreferenten stohnen unter der Last der Abgangsdeckung, die Gesundheitsreferenten, die Opposi-tionspolitiker und Lobbyisten der verschiedensten im Spitalswesen ta-tigen oder vom Spitalswesen betrof-fenen Gruppierungen verweisen auf - oft gravierende, oft nur vermeintli-che - Mangel in der personellen, apparativen und komfortmaBigen Ausstattung der Krankenanstalten.

Zuwenig Personal, kein flachen-deckendes Angebot aller Moglich-keiten der modernen Medizin sagen die einen, zu viele Falle in den Krankenanstalten, die nicht dorthin geho-ren, sondern in die Praxen der nieder-gelassenen Arzte oder in Pflegehei-me, sagen die anderen; zu wenig Geld sagen die einen, zu hohe Anspriiche, zu wenig Wille zur Sparsamkeit, man-gelndes KostenbewuBtsein sagen die anderen.

In einem Punkt gibt es eine starke Mehrheit (keine Einstimmigkeit): Schuld an der Misere ist der Um-stand, daB die Abrechnung der Kran-kenanstalten-Kosten nach einheitli-chen Tagessatzen erfolgt, die die tat-sachlichen Anforderungen im Ein-zelfall nicht beriicksichtigen. Damit sinkt der Grad der Kostendeckungen in alien jenen Fallen, in denen die moderne Medizin Methoden entwik-kelt hat, die die durchschnittliche Auf-enthaltsdauer vermindern; dazu kommt noch, daB diese modernen Methoden vom apparativen und vom personellen Aufwand oft teurer sind als die herkommlichen. Einige preis-werte Tage als „Vorlaufzeit”, einige ebenso preiswerte Tage des „Ablie-gens” verbessern das rechnerische Er-gebnis der Krankenanstalt.

Schon 1988 einigten sich Bund und Lander, nach einigen Vorstudien, auf die Ablosung dieses „Tagsatzsy-stems” durch ein neues leistungsbe-zogenes Finanzierungssystem auf der Grundlage einer Diagnosecodierung -heute unter dem Begriff „leistungs-orientierteKrankenanstaltenfinanzie-rung” (noch immer) in Vorbereitungs-stadium.

Die Behandlungsfalle in den Krankenanstalten sollten demnach in Zu-kunft - friihestens ab 1.1.1995 - nicht mehr nach der Zahl der Aufenthaltsta-ge in der Krankenanstalt, sondern nach „Diagnosefallgruppen” abgerechnet werden, die durch die Beriicksichti-gung „ausgewahlter medizinischer Einzelleistungen” und einer zusatzli-chen „Steuerungsgr6Be”, die beson-deren Umstande aus der Aufgaben-stellung oder der geografischen Lage der Krankenanstalt und so weiter beriicksichtigt, verfeinert werden sol-len.

Damit hofft man, lange Aufenthalts-dauern fiir die Krankenanstalten unat-traktiv zu machen und diese zu einer kostengiinstigeren Organisation der Ablaufe zu motivieren. Weiters er-warten die Befiirworter dieser neuen Finanzierungsreform eine marktwirt-schaftliche Bewegung hin zu einer Konzentration aufwendiger Leistun-gen bei Krankenanstalten, die diese Leistungen kostengiinstig zu erbrin-gen in der Lage sind.

Realistische Vorstellung

Es stellt sich die Frage, ob diese Vorstellungen realistisch sind, reali-stisch sein konnen. Zweifellos wirkt der Tagessatz in Richtung Verlange-rung der durchschnittlichen Aufent-haltsdauer, sie ist auch wirklich im in-ternationalen Vergleich eher hoch -, diese Verlangerung kostet der Versi-cherung Geld, sie erhoht den Bedarf an Spitalsbetten - auch hier ist die Dichte im internationalen Vergleich beachtlich - und ist wohl auch ein Grund fiir die „Gangbetten”. Die Verlangerung des Aufenthaltes ver-bessert das Ergebnis der Krankenanstalt, sie schadet in der Regel dem Patienten nicht.

Ein Fallpauschale motiviert sicher nicht in Richtung Verlangerung des Aufenthaltes - hoffentlich aber auch nicht in Richtung Verkiirzung iiber das medizinisch verantwortbare MaB hinaus. Immerhin wird das Ergebnis fiir die Krankenanstalt besser, je kiir-zer die Verweildauern werden. Wird dann noch die freiwerdende Betten-kapazitat nicht abgebaut, sondern -wie dies jedenfalls in der Sonderklas-se festgestellt werden muBte - zur Aufnahme weiterer Patienten geniitzt, so erhoht diese Finanzierungsform die Anforderungen an die Versicherer. Dazu werden wohl noch Uberlegun-gen anzustellen sein. Hier ist die Struk-turreform in Richtung Starkung des extramuralen Bereiches und in Richtung von speziellen Vorkehrungen fiir die Pflege alter und chronisch kranker Menschen anzusprechen.

Ebenso diskussionswiirdig er-scheint die Erwartung einer (nur) nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten sich organisierenden Verteilung der Be-handlungskapazitaten. Hier wird die „Steuerungsgr6Be” einiges Wasser in den Wein zu gieBen haben. Der Raum Wien, das Umland der Landeshaupt-stadte ist hier sicher anders zu bewer-ten als einzelne Bundeslander in den Alpen. Es wird allerdings nicht leicht sein, Notwendigkeiten einer dem aktuellen Standard entsprechenden Versorgung von politischen oder pre-stigeorientierten Wunschvorstellun-gen zu unterscheiden und zu trennen.

Voraussetzung dafiir ist, daB fiir die leistungsorientierte Krankenanstal-tenfinanzierung die Kosten tatsach-lich objektiv erfaBt und die Fallpau-schalien objektiv bemessen werden. Geht man von der gegebenen Kosten-struktur aus, so besteht die konkrete Gefahr, daB am Ende nicht der Ge-samtaufwand fiir die spitalsmaBige Versorgung der Bevolkerung redu-ziert, sondern nur die Verteilung -eben von Tagen auf Diagnosefallgrup-pen - neu organisiert wird.

Entscheidend aber wird sein, wer nun eigentlich die Fallpauschalien zahlen wird. Bleibt die derzeit gelten-de Verteilung mit einem - mittlerwei-le geringen - Anteil an Direktzahlun-gen der Sozialversicherungstrager und einem hohen Anteil aus verschiede-nen Quellen aufrecht, oder gibt es einen Zahler, der auch entsprechende Ordnungsmacht hat und ausuben kann? Die Vergangenheit lehrt, daB die Aufsplitterung derFinanzierungs-strome von Ubel ist: Nur ein starker Zahler kann tatsachlich EinfluB auf die Entwicklung ausuben. Dabei ist es ohne Belang, ob er aus einer Quelle schopft, oder - wie bisher - aus Bei-tragen und Steuermitteln.

Von Bedeutung wird weiter sein, wie die Krankenanstalten beziehungs-weise die Gesetzgeber jene Patienten behandeln, die bereit sind, fiir eine bessere Unterbringung und die freie Arztwahl iiber ihre Beitrags- und Steuerleistungen hinaus fiir eine Behandlung in einer Krankenanstalt zuSatzlich zu zahlen: die Beniitzerder Sonderklasse. Das neue System muB der Ungerechtigkeit ein Ende setzen, daB diesen Patienten die aus ihren Beitragen und Steuern indirekt an die Krankenanstalten - das heiBt nicht unter dem Titel Pflegegebiihrenersatz - flieBenden Zahlungen vorenthalten werden und sie so fiir mehr als 50 Prozent der Grundkosten der Spitals-behandlung zweimal zur Kasse gebe-ten werden. Das ist nicht nur eine Forderung der Gerechtigkeit, der Gleichbehandlung, sondern auch eine Forderung der wirtschaftlichen Ver-nunft: Das Interesse an der Sonderklasse als eine Moglichkeit, in einer ohnedies von manchmal sehr ein-schneidenden Sachzwangen geprag-ten Situation einen gewissen Freiraum zu erhalten, ist in der osterreichischen Bevolkerung sehr hoch. Wenn das Preis-Leistungsverhaltnis stimmt, wird die Belegung der Sonderklasse zweifellos naher an die im Kranken-anstaltengesetz festgesetzte Marke von 25 Prozent herankommen, als dies bisher geschehen ist.

Der Autor ist Vorstandsdirektor der Austria-Collegialitat, Vorsitzender des Spitalkomitees im Verband der Versicherungsuntemehmen Osterreichs.

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