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Weg mit Religion!

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Kampf dem Religionsunterricht: Eine Maxime im kommunistischen Ungarn. Das gute Verhältnis von Kirche und Staat auf höchster Ebene nützt hier nicht viel.

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Kampf dem Religionsunterricht: Eine Maxime im kommunistischen Ungarn. Das gute Verhältnis von Kirche und Staat auf höchster Ebene nützt hier nicht viel.

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Das Paradebeispiel für ein positives Funktionieren der Zusammenarbeit von Kirche und Staat in einem kommunistischen Land - Österreichs Nachbarland Ungarn — gerät ins Wanken, wenn man ein bißchen an der Oberfläche gewisser Lippenbekenntnisse kratzt. Das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Ungarn und die Kooperation beider Kräfte beim „Aufbau des Sozialismus“

wird von staatlichen und kirchlichen Repräsentanten auf höchster Ebene ständig unterstrichen.

Hinter der Fassade wird Religion aber nach wie vor bekämpft. Deutlich zeigt sich das an jüngst verstärkten Kontrollen gegenüber dem schulischen Religionsunterricht.

Der FURCHE liegt ein Erlaß der Schulbehörde eines ungarischen Komitats vor, der sich auf die Anmeldung und Einschreibung für den Religionsunterricht im Schul-jahr 1986/87 bezieht. In diesem Erlaß - ob er vom ungarischen Kirchenamtsleiter, Staatssekretär Imre Miklös, gutgeheißen wird, ist nicht bekannt — werden die „Genossen Schuldirektoren“ mit der Gretchenfrage konfrontiert, wie sie es denn mit der Eindämmung des Religionsunterrichtes als positive marxistische Maßnahme hielten.

Nach den geltenden Bestimmungen können in Ungarn Schüler zum Religionsunterricht in der Schule angemeldet werden; als Alternative dazu ist Religionsunterricht in der Kirche erlaubt.

Für die Anmeldung zum schulischen Religionsunterricht stehen nur der Nachmittag eines bestimmten Werktages und ein Vormittag zur Verfügung. Uber die erfolgte Einschreibung ist bereits am nächsten Tag, neun Uhr vormittags — so genau sind die Bestimmungen — ein Bericht an die Schulbehörde über Zahl und Prozentsatz der für das Schuljahr 1986/87 zum Religionsunterricht angemeldeten Schüler abzuliefern.

Bis maximal vier Wochen nach dem Anmeldetermin muß der jeweilige Schuldirektor einen ausführlichen Bericht über die Erfahrungen während der Einschreibungen an die vorgesetzte Schulbehörde richten.

Dieses Dossier muß die Zahl jener Schüler beinhalten, die im vorangegangenen Schuljahr den Religionsunterricht besuchten; desgleichen die Zahl der für das laufende Schuljahr Angemeldeten im Vergleich mit der Gesamtschülerzahl.

Den Direktoren werden außerdem folgende Einzelfragen vorgelegt:

Erfolgte für die jetzige Anmeldung zum Religionsunterricht eine vorangegangene Einflußnahme seitens der Kirche?

Welche Aktivitäten entfalteten kirchliche Persönlichkeiten?

Welche Aktivitäten wurden von Schulleitung und Lehrerschaft gesetzt?

Was unternahmen die örtliche Parteiorganisation, die politische Gemeinde und die Massenorganisationen?

Welche Gutachten, Vorschläge, Pläne gibt es seitens dieser Organisationen zur Verminderung des Interesses am Religionsunterricht?

Welche Fälle im Zusammenhang mit der Anmeldung zum Religionsunterricht,- die Vereinba- -rungen zwischen Staat und Kir- • che verletzten, müsseh untersucht werden?

Wo, wann,“in welcher Form und durch wen erfolgten Solche Gesetzesverletzungen?

Weitere Fragen betreffen religiöse Aktivitäten in den Gemeinden, wo kein schulischer Religionsunterricht abgehalten wird. Die Schulbehörde möchte genau wissen, welche andere Formen des Religionsunterrichts sich eingebürgert haben, wie stark die Verminderung der Teilnahme an der religiösen Unterweisung in der Schule war und ob es Meinungsverschiedenheiten zwischen Schulleitung und Religionslehrer gegeben habe.

Detailliert muß die Direktion auch über den Stundenplan, die Kontrolle der Religionsstunden durch den Schulleiter, die Methode des Katecheten und über deren Bewertung seitens der Schulleitung Auskunft geben.

Dieser Erlaß an alle Direktoren von Volksschulen und Gymnasien zeigt sehr deutlich, daß es hier um mehr als den bürokratischen Vollzug der entsprechenden Gesetze geht. Der schon aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen arg beschnittene schulische Religionsunterricht soll noch mehr eingedämmt und die religiöse Unterweisung in der Kirche unter Kontrolle gehalten werden. Partei, Gemeinde, Massenorganisationen werden aufgefordert, Aktivitäten zur Verminderung des Interesses am Religionsunterricht zu setzen.

Auch heute noch sind viele Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, und auch deren Eltern dem Druck von Parteifunktionären, Lehrern oder Vorgesetzten im Betrieb ausgesetzt.

Erst vor kurzem hat Staatssekretär Miklos in einer Retrospektive auf 30 Jahre ungarische Religionspolitik betont, daß „die Intoleranz gegenüber religiösen Weltanschauungen in jeder Hinsicht ein schlechter Ratgeber“ sei. Gleichzeitig hat der Kirchenamtsleiter aber die unumgängliche Notwendigkeit betont, „die marxistischen Ideen und ethischen • Normen in Wort und Tat vielseitig zu verbreiten und qualitativ zu entwickeln“ („Budapester Rundschau“, Nummer 41/1986).

Zwischen diesen Extremen spielt sich Religionspolitik in Ungarn heute ab. Diese Ambivalenz läßt den Weg frei für repressive Maßnahmen gegenüber Religion und religiöser Unterweisung.

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