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Weg zur Demokratie führt durch Kasernen
..Brasilien ist das Land der Zukunft - und wirdes immer bleiben”, spotten politische Beobachter hier angesichts der A nzahl und Dimensionen der Probleme dieses an und für sich reichen Landes. Auslandschulden in der Höhe von fast 60 Milliarden Dollar, eine Inflationsrate von über 100 Prozent, ein Bevölkerungswachstum von 2,5 Prozent, steigende Arbeitslosigkeit. 80-prozentige Abhängigkeit von Erdölimporten, wachsende Einkommensdisparität, Analphabetismus (einer von vier Brasilianern kann weder lesen noch schreiben) - all dies verheißt keine rosige Zukunft *
..Brasilien ist das Land der Zukunft - und wirdes immer bleiben”, spotten politische Beobachter hier angesichts der A nzahl und Dimensionen der Probleme dieses an und für sich reichen Landes. Auslandschulden in der Höhe von fast 60 Milliarden Dollar, eine Inflationsrate von über 100 Prozent, ein Bevölkerungswachstum von 2,5 Prozent, steigende Arbeitslosigkeit. 80-prozentige Abhängigkeit von Erdölimporten, wachsende Einkommensdisparität, Analphabetismus (einer von vier Brasilianern kann weder lesen noch schreiben) - all dies verheißt keine rosige Zukunft *
Was darf man sich unter diesen Umständen in politischer Hinsicht erwarten? Wird die „abertura“, die Öffnung hin zur Demokratie in wirtschaftlich schweren Zeiten, die vor allem vom Durchschnittsbürger viele Opfer verlangen, fortgesetzt werden, oder glauben sich die Militärs gezwungen, den Demokratisierungsprozeß aufhalten zu müssen, um wirtschaftlich notwendige, aber politisch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen?
Das Militär in Lateinamerika ist ein Akteur, der seit jeher in den politischen Entscheidungsprozeß integriert ist. Dessen Rolle ist also nicht auf die Landesverteidigung beschränkt wie in Europa. Vielmehr verstehen sich die Militärs Lateinamerikas als Garant innerer Ordnung und nationaler Einheit; außerdem als eine Institution, der es obliegt, die Modernisierung in allen Bereichen des Staates im Interes
se der nationalen Sicherheit und in ihrem eigenen Interesse voranzutreiben.
So waren die Militärs Brasiliens zum Beispiel federführend beim Sturz der Monarchie im Jahre 1889, weil sie im Krieg gegen Paraguay die Rückständigkeit ihres Landes erkannt und im Kaisertum einen Hemmschuh der Modernisierung gesehen hatten.
Im Jahre 1930 verhalfen die Generäle Getulio Vargas an die Macht, um eine Spaltung des Landes zu verhindern. Sie unterstützten sein Industria- lisierungsprogrammujnd seinen politischen Autoritarismus so lange, bis sich Vargas in einen „Populisten“ verwandelte und somit das alte Machtgefüge gefährdete.
1964 schließlich stürzten sie Joao Goulart, den politischen Erben von Vargas’ Populismus: Nicht nur, weil sie ihn für unfähig hielten, mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Zeit fertigzuwerden, sondern auch, weil seine reformistischen „Linkstendenzen“ (Landreform, Lohnpolitik) in den Augen der Militärs eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellten.
Während sich jedoch früher die Generäle nach gelungenem Coup und Einsetzung eines ihnen genehmen Regimes wieder in die Kasernen zurückgezogen hatten, beschlossen sie 1964, das Heft nicht mehr aus der Hand zu geben.
Diese wesentliche Einstellungsänderung - übrigens auch in anderen Ländern wahrnehmbar (z.B. Peru 1968 oder Chile 1973) - war das Resultat eines Professionalisierungs- und Modernisierungsprozesses, der hauptsächlich von der Kriegsakademie (ESG) ausgegangen war. Andererseits war sie der Ausfluß amerikanischer Kalter-Kriegs-Konzepte, die im Militär die geeignetste Institution für die Bewahrung der nationalen Sicherheit und die Bekämpfung des Kommunismus -ja allgemein für die Modernisierung eines unterentwickelten Landes sahen.
Seit 1964 haben die brasilianischen Militärs auf verschiedenste Weise versucht, die politische Landschaft und
die Richtlinien der Wirtschaftspolitik nach ihrem Gutdenken zu verändern.
Allerdings versuchten sie - um mit den Worten eines Politologen zu sprechen - politische Prozesse und politische Akteure zu ersetzen und nicht (wie in Argentinien) zu beseitigen. Unterdrückung und Folter, Aufhebung politischer Rechte von Oppositionellen, das Experimentieren mit Parteien, Verfassungsänderungen und Wahlvorschriften haben im wesentlichen jedoch nicht viel zu ändern vermocht.
Die Akteure heute sind wieder dieselben wie vor 20 Jahren, z.B. Quadros, Brizola, Arraes, Magalhaes Pinto. Ein merklicher Unterschied scheint jedoch die Einstellung der Bevölkerung zu sein: Nationalismus und Fußball, Wohlstand für die einen und Folter für die andern, eine zensurierte Presse und korrupte Politiker haben den meisten Brasilianern das Interesse an der Politik gründlich vermiest. Hiezu trägt auch nicht unwesentlich die chaotische und schlecht definierte Parteienszene bei.
Die brasilianischen Parteien beruhen traditionellerweise nicht auf ideologisch-theoretischer, sondern auf persönlich-pragmatischer Grundlage. Das heißt, sie stellen Koalitionen von Interessensgruppen dar, die einem Kandidaten zum politischen Sieg verhelfen sollen, jedoch kein langfristiges politisches Programm vertreten.
Die Parteien, die heute existieren, sind denn auch alle Neugründungen bis auf die PTB (Brasilianische Arbeiterpartei) von Ivete Vargas, die 1945 von ihrem Onkel Getulio Vargas, der übrigens damals gleichzeitig noch eine zweite Partei, die PSD, ins Leben rief, gegründet worden war.
Aber auch der PTB fehlt ein klar umrissenes Konzept. Außerdem spaltete sich im letzten Jahr der linke Flü
gel von der Partei ab und bildete unter Leonel Brizola die PDT (Demokratische Arbeiterpartei).
Eine authentischere Vertretung der Arbeiterschaft stellt die PT (Arbeiterpartei), geführt vom populären Metallgewerkschafter Lula, dar.
Die heute-zahlenmäßig bedeutendste Oppositionspartei, die PMDB (Partei der demokratischen Bewegung Brasiliens), ist ein Produkt der Regierung General Ernesto Geisels (1974-79), die nach der Periode der härtesten Unterdrückung unter Medici (1969-74) wieder eine behutsame Rückkehr zur Parteienpolitik und zur langsamen Wiedereinsetzung des Kongresses unternahm.
Die Opposition wurde beschränkt auf das MDB, während die ARENA die regierungsfreundlichen Politiker vereinigte. Aus der wenig homogenen und noch weniger erfolgreichen ARENA gingen schließlich die heutige Regierungspartei, die PDS (Sozialdemokratische Partei), und die jetzt in der Opposition fungierende PP (Volkspartei) hervor.
Die PP ist jene Partei, der im Prozeß der „abertura“ eine wichtige Rolle beschieden sein dürfte. Sie besitzt
nicht nur profilierte Politiker wie Tancredo Neves oder Olavo Setubal, sondern kann sich auch auf eine starke Anhängerschaft in der Mittelklasse und unter den Unternehmern stützen. Außerdem konnte sie vor kurzem den Expräsidenten Janio Quadros als kräftiges Zugpferd gewinnen.
Obwohl viele Leute Quadros anlasten, mit seinem Rücktritt im Jahre 1961 die Misere Brasiliens eingeleitet zu haben, ist er doch eine der schillerndsten und populärsten Figuren der brasilianischen Politik. Es wird vermutet, daß jene Kreise, die an einer Fortsetzung der bisherigen konservativen Politik interessiert sind, hoffen, die. PP werde die kompromittierte PDS absorbieren beziehungsweise ersetzen und langfristig die Regierungsverantwortung übernehmen. Denn damit könnte ein Sieg der „Linksparteien“ verhindert werden.
Ein solcher Sieg würde von den
konservativen Elementen der Armee als Ausverkauf an die verhaßte Linke und das Eingeständnis des Mißerfolgs ihrer 20 Jahre an der Macht bewertet werden. Außerdem würde dann wohl auch ein Tabu fallen: die vielen Fälle von Folter und Mord in den Jahren 1967-74, bisher verschwiegen, würden endlich einer Untersuchung unterzogen.
Der Hauptwiderstand gegen die Öffnung hin zur Demokratie kommt daher vom rechten Flügel der Armee, dem auch die Bombenanschläge im letzten und heurigen Jahr zugeschrieben werden. Die Befürworter der „abertura“ versuchen jedoch deren Gegner davon zu überzeugen, daß die Redemokratisierung der beste Weg ist, um eine geeinte Opposition zu verhindern.
Und in der Tat ist es bisher trotz vielen Lärms um Fusion und Union der Opposition nicht gelungen, sich zusammenzustreiten.
Noch ist nicht abzusehen, ob und wann sich die Militärs aus der Politik zurückziehen werden. Zunächst sollen 1982 freie Gouverneurs- und Kongreßwahlen stattfinden. Hiezu ist nun ein Wahlreformvorschlag der Regierung im Umlauf, dessen komplizierte und trickreiche Vorschriften - von der Opposition als Kasuismus bezeichnet - eine Niederlage der PDS verhindern sollen.
Verlaufen die Gouverneurswahlen glimpflich für die Regierungspartei, so wären erstmals seit 1960 wieder Direktwahlen ums Präsidentenamt im Jahre 1985 denkbar.
Bei der immensen Interessenverflechtung der Militärs mit Politikern, staatlichen Unternehmen und Institu-' tionen sowie Privatunternehmen ist es jedoch mehr als fraglich, ob ein direkt gewählter ziviler Präsident einen großen Unterschied machen würde.
Schließlich würde er sicher von der alten Politikergarde stammen und müßte den Militärs genehm sein. Eip alter Besen aber kehrt bekanntlich nicht gut. Und ein neuer ist nirgends in Sicht...
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