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Wege in die Europäische Gemeinschaft

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„Maximale Annäherung an die EG“ forderte kürzlich wieder Bundeskanzler Franz Vranitzky. Welche Möglichkeiten stehen Österreich offen? Gibt es neutrali-täts- und wirtschaftspolitische Probleme? Wäre ein Beitritt optimal?

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„Maximale Annäherung an die EG“ forderte kürzlich wieder Bundeskanzler Franz Vranitzky. Welche Möglichkeiten stehen Österreich offen? Gibt es neutrali-täts- und wirtschaftspolitische Probleme? Wäre ein Beitritt optimal?

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Heuer werden es 30 Jahre sein, daß in Rom die Verträge zur Errichtung der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) unterzeichnet wurden (Römer Verträge). Dieses Vertragswerk trat zum Jahresbeginn 1958 mit den Mitgliedern Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Niederlande und Lu-

xemburg in Kraft. In welcher Relation diese Zeitspanne zum Erreichten steht, mag umstritten sein — eine positive Bilanz über diese 30 Jahre Integration zog vor kurzem EG-Kommissar Willy de Clercq bei einem Vortrag in Zürich.

Ohne mancherlei Schwerfälligkeiten und ein hohes Maß an Reformbedarf in gewissen Bereichen leugnen zu wollen, bewertete er die Europäische Gemeinschaft doch als eine endgültige, geprägte Einheit mit einem Maß an Inter-dependenzen, das Stabilität und

Prosperität verbürge. Die entscheidendste historische Errungenschaft bestehe indessen darin, daß die EG kriegerische Konflikte zwischen ihren Mitgliedern unvorstellbar gemacht habe.

Nach de Clercq stützt sich die EG heute auf ein dichtes und irreversibles Netz rechtlicher Bindungen, aber auch gut eingespielter Usancen der Kooperation. In ihrer inneren Entwicklung sei, so de Clercq, die EG über die traditionellen Bereiche der Zollunion, des gemeinsamen Agrarmarktes und des einheitlichen Wettbewerbsrechts hinaus längst zu neuen Aktionsgebieten vorgestoßen. Dies seien die Währungs-, die Umwelt-, die Energie-, Verkehrsund Forschungspolitik.

Außenwirtschaftlich bilden die mit den EFTA-Staaten errichtete westeuropäische Freihandelszone, die vertraglich verankerte Mittelmeerpolitik und die Konvention von Lome (Präferenzsystem zugunsten 66 afrikanischer, karibischer und pazifischer Entwicklungsländer) die tragenden Elemente.

Zuletzt hat jedoch die auf nunmehr zwölf Mitglieder angewachsene EG ihren Zielvorstellungen eine neue Dimension gegeben: Ihr bis 1992 zu realisierendes Binnen-marktprogrämm, das die vollkommene Einheitlichkeit des Wirtschaftsraumes durch uneingeschränkte Freizügigkeit der Bewegungen von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleisten soll. Dieses Programm wird noch ergänzt durch den geplanten Aufbau einer Technologiegemeinschaft.

Durch diese Programmatik muß die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie durch Modernisierung der Strukturen gestärkt werden, soll es überhaupt einen Gesinnungswandel in Handel und Industrie geben, damit immer weniger nur auf den rein nationalen Märkten agiert wird. Dadurch wiederum sollen Wachstumsimpulse gesetzt und Rohstoffreserven optir mal genutzt werden können. Als Fernziel könnte dadurch auch die politische Integration in Form der Europäischen Union erreicht werden.

Sollte sich dies alles wunschgemäß entwickeln, dann wird der Binnenmarkt der EG, der dann über 300 Milüonen Menschen umfassen wird, zweifellos ein hohes Maß an Dynamik entwickeln. Für Österreich wird es darum gehen, an dieser Dynamik in größtmöglichem Umfang teilzuhaben.

Es stellt sich daher die Frage, ob das im Jahr 1973 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der EG, das innerhalb eines Rahmenprogramms auch mit den anderen EFTA-Staaten abgeschlossen wurde, noch ausreichen wird.

Warum es wichtig wäre, mit dabeizusein, zeigt das hohe Ausmaß der Verflechtung der österreichischen Wirtschaft mit den EG-Staaten (siehe Tabellen).

Hier zeigt sich schon ein erstes Ungleichgewicht, denn die EG-Länder haben offenbar jetzt schon mit der Marktdurchdringung in Österreich weniger Probleme als umgekehrt: über 60 Prozent aller österreichischen Impor-

te kommen aus der EG. Dementsprechend hat sich das Handelsdefizit mit der Zwölfergemeinschaft 1986 auf rund 65 Milliarden Schilling belaufen — praktisch das gesamte Außenhandelsdefizit Österreichs.

Noch ausgeprägter ist im Bereich des Reiseverkehrs die Abhängigkeit von EG-Touristen. Netto verdienen wir pro Jahr etwa 40 Milliarden Schilling im bilateralen Reiseverkehr mit den EG-Ländern, da die Österreicher bei weitem nicht so viele Devisen für Urlaubszwecke in diese Region schaufeln wie umgekehrt.

Nun erscheint der Reiseverkehr kaum von besonderen Beschränkungen betroffen oder auch nur bedroht zu sein. Nicht ganz so selbstverständlich ist das bei einigen anderen Kategorien des internationalen Dienstleistungshandels, etwa im Bereich des Transportwesens, der Banken und Versicherungen. Hier zeichnen sich Probleme insofern ab, als fraglich ist, ob eine solche Freizügigkeit in beiden Richtungen österreichischerseits überhaupt erwünscht ist.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Kapitalverflechtung. Nach einer Erhebung der österreichischen Nationalbank standen 1983 2.733 Unternehmen mit 334.000 Beschäftigten unter di-

rektem oder indirektem Einfluß (nur Industrie und Gewerbe, ohne Dienstleistungen und Landwirtschaft) des Auslands. Eine ergänzende Studie der Arbeiterkammer vermutet besonders hohe Anteile des Auslands am Nominalkapital von Aktien- und Kommanditgesellschaften sowie GmbH's im Bereich der Versicherungen (73 Prozent), im Handel (58) und in der Industrie (39).

Obwohl Ermittlungen dieser Art sehr problematisch sind, kann doch angenommen werden, daß auch hier die Beteiligungen seitens der EG-Länder eine überwiegende Rolle in Österreich spielen. Es dürften etwa 30 Prozent des Auslandskapitals in Österreich auf BRD-Investoren entfallen, neun Prozent auf die Bene-lux-Länder, sechs Prozent auf Großbritannien, je drei Prozent auf Italien und Frankreich. (Größere Teile des Auslandskapitals entfallen auf Schweizer und Liechtensteinische Holdings, die aber schwer aufzuspalten sind.)

Dieses hohe Maß an Verflechtung bietet Chancen. Umgekehrt jedoch sind die Auswirkungen umso unangenehmer, wenn sich Störungen und Hemmnisse in der Entwicklung der Beziehung einstellen.

Der Autor ist Referent der volkswirtschaftlichen Abteilung der Osterreichischen Nationalbank.

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