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Wege in die Vergangenheit

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Wenn Landwirtschaft, Industrie und alle möglichen anderen ihre EG-Reife hinterfragen, darf das Buch nicht fehlen. Die EG-Reife des österreichischen Buches sollte also Thema einer österreichischen Diskussionsveranstaltung mit Un t errich ts-ministerin Hilde Hawlicek auf der Frankfurter Buchmesse werden. Aber nach gutem altem Brauch wurde halt wieder einmal gerade über das, worüber man hatte reden wollen, nicht geredet.

Dabei hätte die Frage, ob sich Subventionen für Verlage, auf deren Erhöhung sich die Ministerin

stolz berief, denn mit den EG-Bestimmungen vertragen würden (oder werden) und wie man, wenn nicht, der notleidenden Branche nachher noch wird helfen können, doch einiger Brisanz gewiß nicht entbehrt.

Aber das Hickhack über jene gesetzliche Bestimmung, die Österreichs Schulbuchverlegem seit Jahrzehnten kostenlosen Zugriff auf alle Texte österreichischer Autoren gestattet, hat auch etwas gebracht. Einerseits ein sprechendes Beispiel für die Art, wie man eine ethische und rechtliche Frage sofort auf die Kosten-Ebene verlagert. Es ginge natürlich nicht, meinte die Ministerin treuherzig, daß durch die Ansprüche der Dichter die Schulbuchkosten vielleicht von einer auf eineinhalb Milliarden steigen würden.

Selbst wenn sämtliche Schulbü-

cher Österreichs einschließlich Mathematik, Biologie und Geographie von vorn bis hinten aussschließ-lich mit Texten lebender Dichter vollgestopft würden, könnte die „Kostenexplosion“ schwerlich mehr als zehn Prozent ausmachen (weil das die übliche Tantieme ist), aber so wird halt bei uns diskutiert. Die IG Autoren ermittelte die realistische Kostensteigerung mit zwei Millionen.

Dem Vertreter der Verleger auf dem Podium war die Sache sichtlich peinlich. Die Verleger würden, selbst bei einem Fortbestand des Enteignungsgesetzes, von diesem keinen Gebrauch mehr machen, ließ er nachher wissen. Immerhin ein handfester Erfolg.

Frankfurts grüner Stadtrat Daniel Cohn-Bendit war übrigens aufs Podium geladen (als EG-Experte?), kam zu spät, wußte nicht, wovon die Rede war, stieg aber gleich voll ein und verzapfte die sonst eher bei gestandenen Konservativen gängige Ansicht, finanzielle Sicherung der Künstler habe der Kunst noch nie gut getan.

So bescheiden der Auftritt der österreichischen Kulturpolitik im EG-Vorfeld ausfiel, so respektabel ist notorisch der Beitrag österreichischer Autoren zur Produktion der deutschen Verlage. Im Vorjahr wurde Christoph Ransmayrs „Letzte Welt“ als Romanereignis des Jahres gefeiert. Zu den bedeutenden Romanen dieses Jahres zählt gewiß „Das Märchen vom letzten Gedanken“ von Edgar Hilsenrath. Im traditionellen „Literarischen

Cafe“ des Piper-Verlages saß der Vorarlberger Michael Köhlmeier als Verlagskollege neben Hilsenrath. Es gibt formale und inhaltliche Beziehungen zwischen Hilsenraths Buch und Köhlmeiers „Die Musterschüler“.

Beide Romane arbeiten Vergangenheit auf, Hilsenrath den 1916 an einer Million Armeniern begangenen Genozid, Köhlmeier die Mißhandlung eines Intematsschülers, an der er als Jugendlicher beteiligt war und die zugleich zur Metapher für den Ausbruch der Unmenschlichkeit in einem kleinen, überschaubaren Bereich wird.

Beide Bücher sind durchgehend in Dialogform geschrieben. Hilsenrath konzentriert das gesamte Geschehen im Wechselgespräch eines sterbenden alten Mannes, der das Massaker als Kind überlebte, mit einer inneren Stimme. Köhlmeier nutzt virtuos die formalen Möglichkeiten des Verhörs und legt auf diese Weise die doppelte Distanz der verflossenen Zeit und des ausgesparten Erzählers zwischen sich und das ihn bedrängende Geschehen.

Hilsenrath steht, als Deutscher, der ein rumänisches Ghetto überlebte („Nacht“), für den Ausbruch aus der Rolle des Opfers. „Der Nazi und der Friseur“, der Roman, mit dem er berühmt wurde, ist ein Meisterwerk der Kunst, dem Unaussprechlichen mit den Mitteln eines grimmigen Witzes beizukommen. (Perspektivischer Kunstgriff des Romans: Ein in enger Freundschaft mit einem jungen Juden aufgewachsener Deutscher wird zum Massen-

mörder und nimmt nach dem Krieg die Identität der Opfer an.)

Auch Köhlmeier dringt in die Motivationsstruktur der Täter ein -von der anderen Seite, derjenigen der Täter. Das fiktive 600-Seiten-Verhör über die seit Jahrzehnten verdrängte Mißhandlung eines Mitschülers legt deren Unbegreiflichkeit (auch für die Beteiligten selbst) bloß, in der unvollkommen oder gar nicht erfolgten Verarbeitung des Geschehenen bildet Köhlmeier den Zustand der Gesellschaft ab. Während einer Veranstaltung des Verlages sprach er von den Dämonen der Seele, die besser nicht herausgelassen werden. Der Satz wurde zum Ausgangspunkt des auf dieser Seite abgedruckten Gespräches.

Auch der 34jährige Oberösterreicher Christoph Janatsch mit seinem Roman „Schweigen über Guerni-ca“ (Otto Müller Verlag, Salzburg) steht für die Aufarbeitung von Vergangenheit, der immer mehr Autoren nachgehen, die ebendiese Vergangenheit als von Eltern, Lehrern, gesamter Umgebung ausgespartes, verschwiegenes, verdrängtes Thema erlebten. Zum Thema kam er durch seine Liebe zu Picasso, sein Roman verknüpft das Bombardement der baskischen Stadt Guerni-ca assoziativ mit Gegenwart wie Beirut, jüngerer Vergangenheit wie Hiroshima oder weiter zurückliegender Vergangenheit wie der Hexenverfolgung. Das Buch ist in einer Montagetechnik geschrieben: Wörtliche Zitate werden vermengt mit Erinnerungen des Autors und historischem Material.

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