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Wege nach innen

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Je nach mehr oder weniger groß-_| zügiger Zählung bringen es die wichtigsten katholischen und evangelischen Verlage im deutschen Sprachraum im heurigen Frühjahr 1985 auf rund 500 Neuerscheinungen oder Neuauflagen — Taschenbücher nicht mitgerechnet- auf dem Gebiet der theologischen oder religiösen Literatur. Ist es überhaupt möglich, diese Vielfalt zu überblicken? Gibt es so etwas wie vorherrschende Trends?

So schießen derzeit „Grund”-Kurse, „Grund”-Gedanken, „Einführungen” usw. aus dem Boden, die umfangmäßig eher leicht zu bewältigen sind und sich an den engagiert Glaubenden genauso wenden wie an den eher skeptisch Suchenden. Anliegen aller dieser Veröffentlichungen ist es, dem, der gleichsam an der Schwelle steht, durch die geöffnete Tür hindurch einen Gesamteindruck zu vermitteln.

Eine ähnliche Tendenz ist auf dem Gebiet der Einführungen in die Heilige Schrift zu beobachten. Gezeigt werden soll, daß „Gottes Taten weiter gehen”, daß es der Mensch der Gegenwart ist, den „Christus als Lehrer des Lebens” anspricht - aber nicht um von oben herab zu belehren, sondern um den Menschen von heute dort abzuholen, wo er steht, in seinen Erfahrungen, Nöten, Chancen. Daher auch die weithin beobachtbare Konzentration von Glaubensaussagen auf wesentliche Sätze und Ereignisse, die den Grund-Erfahrungen der heutigen Menschen entsprechen können, die sich so als mögliche Antwort auf seine Fragen darstellen lassen.

Glaubensinhalte werden für viele überhaupt nur mehr in , .Kurzf ormeln” verständlich — ein Anliegen, das Karl Rahner immer wieder vertrat. Seine Bücher — manches davon posthum erstmals veröffentlicht — erfreuen sich übrigens knapp ein Jahr nach seinem Tod ungebrochenen Zuspruchs.

Wo der Mensch heute steht — das meint in der Literatur aber nicht nur den einzelnen, sondern ebensosehr die Gemeinschaft der Glaubenden, ja die Menschheit schlechthin, mit ihren Problemen der Umweltzerstörung, der Bedrohung des Friedens und der zunehmenden Ausbeutung und Verelendung von immer mehr Mitmenschen. Diese Fragen werden zunehmend in ihrer theologischen Tragweite gesehen und nicht auf ihre innerweltlichen Dimensionen zurechtgestutzt.

Eine erkleckliche Zahl der Neuerscheinungen arbeitet eine „Ethik der Lebensbereiche” heraus, die „Orientierung und Entscheidungshilfen” aus dem Glauben geben soll.

In der religiösen Literatur läßt sich weiters eine deutliche Tendenz zur „Mitte des Glaubens” erkennen. In fast allen Angeboten zu Meditation, Gebet, Glaubenszeugnis stehen die Grund-Ereignisse des christlichen Glaubens, allen voran Kreuz und Auferstehung, im Mittelpunkt. „Lebenskraft” darf und soll aus dem Glauben als personaler Beziehung gewonnen werden, das heißt, der Leser soll und wird diese Kraft empfangen, wenn er sich zu diesem Glauben führen läßt. Er ist eingeladen, über sich selbst, sein Leben, sein Verhalten, seine Beziehungen zu Gott, Mitmensch und Natur nachzudenken.

Ähnliches scheint mit den immer zahlreicher werdenden Veröffentlichungen von Texten und Biographien beabsichtigt zu sein, die von den Kirchenvätern über die Mystiker bis zu zeitgenössischen Gestalten reichen. Sie alle wollen nicht nur erbauen, sondern zwingen zu Auseinandersetzung, zu Vertiefung und, wo nötig, zur Umkehr des eigenen Lebens. Texte der Kirchenväter gewinnen erfreulicherweise immer mehr Raum; unmittelbar danebengestellt werden dürfen die Glaubenszeugnisse moderner Heiliger, etwa lateinamerikanischer, russischer und anderswo Verfolgter. Auch die Schriften der Jesuiten Alfred Delp und Romano Guardinis erfreuen sich großer Beachtung.

Der Trend zu „Lebenshilfen”, der in allen Verlagsprogrammen ungefähr die Hälfte der Titel einnimmt und besonders bei den Taschenbüchern überwiegend vertreten ist, birgt auch Gefahren in sich. „Lebenshilfe”, im weiter gefaßten religiösen Bereich meist aus Lebenserfahrung angeboten, scheint oft dem Motto zu huldigen: .Praxis” (als ethisch verantwortbares Handeln) anstelle oder manchmal sogar gegen - „Theorie”.

In dem schier unübersehbaren Bereich ist leider nicht alles erfreulich, was schön gedruckt und oft auch reich bebildert auf den

Markt kommt. Da fällt der Inhalt manchmal so blaß, oberflächlich und vordergründig aus, daß er schon gefährlich wird. Die tatsächlichen Ursachen von Krisen und Problemen, bei denen Hilfe nötig ist, werden oft genug gründlich verdeckt, die Basis für Verdrängungen, Neurosen, Anfälligkeit für weitere Krisen gelegt (die selbstverständlich der Abhilfe durch weitere „Lebenshilfe”-Produkte bedürfen).

Damit soll weder die Berechtigung eines solchen Angebots an sich bestritten noch das bestehende generell abgewertet werden. Die Spreu vom Weizen zu trennen, erscheint dabei wesentlich. Auch in diesem Frühjahr verdient vieles, gekauft, gelesen, geschenkt zu werden. Selbst erfahrenes Lebensglück wird vertieft, in schmerzlichen Situationen wird durch Rat und Trost geholfen, das Gefühl wird vermittelt, der einzelne stehe in seiner Betroffenheit nicht allein, sondern in einem umfassenden Zusammenhang, der mit Kirche, mit „Gemeinschaft der Heüigen”, oder einfach mit Mensch-Sein umschrieben wird.

Die neuere theologische Literatur bemüht sich jedenfalls, den Menschen in seinen Grunderfahrungen und -bedürf nissen ernster zu nehmen, ihn zu solchen Grunderfahrungen, aus denen er Kraft fürs Leben schöpfen kann, zu ermutigen und ihm daraus völlig neue Möglichkeiten für die Gestaltung seines Lebens zu eröffnen.

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