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Wegweiser aus egoistischer Verhärtung

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Je mehr wissenschaftliche Spezialisierung beeindruckende Ergebnisse zustande bringt, desto geringschätziger fällt das Urteil über Philosophie, einstMutter aller Wissenschaften, aus. Was jene heute vorweisen kann, nachdem der Neopositivismus, Spiegelbild technisch-wirtschaftlichen Kalküls und zugleich dessen Promotor, alles Bisherige hinweggefegt hat, scheint dieses Urteil zu rechtfertigen. Umso notwendiger dürfte eine Besinnung auf jene Denker sein, deren ganzheitliche Schau der Zersplitterung und Entzweiung möglicHerwei-se Herr zu werden vermag.

Ferdinand Ebner erblickte am 31. Jänner 1882, also vor 110 Jahren, in Wiener Neustadt das Licht der Welt. Am 17. Oktober 1931 ist er in Gablitz bei Wien gestorben. Dort hat Ebner von 1912 bis 1923 als Volksschullehrer gewirkt. Zuvor war ihm (1902) die Stelle eines Unterlehrers in Waldegg zugewiesen worden. Weder Schüler noch Behörde mögen geahnt haben, welch bahnbrechender Geist hier in bürokratische Fesseln geschlagen war.

Schon während des Ersten Weltkrieges stieß der einsame Grübler auf

den in seiner Offenbarung sich selbst mitteilenden Gott, sah sich nicht mehr nur mit Informationen, einer satzhaften Wahrheit konfrontiert, sondern in eine persönlichkeitsstiftende Beziehung aufgenommen.

Zugleich vollzog Ebner damit eine Wende vom Idealismus eines Hegel ' hin zur Existenz, wollte dem Einzelmenschen in seiner scheinbaren Bedeutungslosigkeit gerecht werden, indem er ihn aus seiner Vereinzelung befreit. „Im Verhältnis zum Du (aber) hat der Mensch sein Verhältnis zu Gott." Hier wird nicht zu einer scheinbar größeren Ehre Gottes etwas auseinandergerissen, was zusammengehört, auch nicht um einer Scheinfreiheit des Menschen willen.

Gegen Vernunftvergötzung

Gerade auf dem Hintergrund der Massenvernichtung und des Massenelends, vor allem des politischen Hochmuts, der Selbstüberschätzung zu Lasten anderer, sollte das Besondere nicht mehr aus dem Allgemeinen, der konkrete Mensch nicht mehr aus einem vorgegebenen Wesen „abgeleitet" werden. Bereits Sören Kierkegaard hatte sich der Vernunftvergötzung Hegels samt dessen auto-ritaristischem Systemdenken wider-

setzt, den Durchbruch zu christlichem Glauben gefunden, war aber zu sehr im Individualismus befangen geblieben. Für Ebner dagegen gibt es kein Ich „außerhalb des Du-Verhältnisses".

Die Bedeutung des DU

In der Folge sollte die Existenzphilosophie, bevor sie zu einer billigen Mode verkam und ihrer sprachlichen Eskapaden wegen schließlich in der Versenkung verschwand, die Wende von der Essenz zum Dasein des je einmaligen Menschen in seiner Geschichtlichkeit vorantreiben. Doch der Ausbruch aus der Vereinzelung, in die der Mensch durch Rene Descar-tes, dessen unseligen Dualismus und Mechanismus geraten war, gelang ihr nicht.

Bereits vor der Entdeckung der Sprache als Gespräch in schöpferischer Funktion durch Franz Rosenzweig und Martin Buber stieß Ebner 1912 auf die zentrale Bedeutung des Du-Problems. In seinen bekenntnishaften Schriften zeichnet erden Menschen als in Wort und Liebe von Gott her existierend oder sich dagegen verfehlend, wenn er im Ich gefangen bleibt, sich der Hingabe verweigert.

Der Herausgeber dereinflußreichen Kulturzeitschrift „Brenner", Ludwig von Ficker, bot dem bescheidenen Mann aus Gablitz die Möglichkeit, in Aufsätzen seine Erkenntnisse und Appelle vorzutragen. 1921 schließlich erschienen in Innsbruck Ebners „Pneumatologische Fragmente". Erst aus dem Nachlaß wurden 1935 „Aphorismen" veröffentlicht. Ansonsten blieb es still um den kreativen Vordenker, der sich zeitlebens philosophischer Kathederweisheit fernhielt und vor dieser auch keine Gnade fand.

Wertvolle Anregungen gingen von Ebners Denken auf eine Reihe evangelischer Theolögen aus. Auf katholischer Seite griff man das dialogische Anliegen sehr viel später auf. Ein Karl Rahner tat es überzeugend, lebte es geradezu. Nachdem kirchlichen Stellen zwar dieunerhörte Glaubenskraft Ebners nicht verborgen bleiben konnte, hintertrieben doch beschämende dogmatische Beckmessereien lange Zeit das Erscheinen des Gesamtwerkes.

Erst in den sechziger Jahren gelang

dem Tullner Gymnasialdirektor Franz Seyr die Veröffentlichung. Doch damals begann bald eine „Neue Linke" von sich reden zu machen und ihr aufgeblasenes Vokabular in Umlauf zu setzen. Da mußte Ebner erst recht ungehört bleiben und vollends in Vergessenheit geraten.

Schon Kierkegaard und Nietzsche hattetieiner selbstzufriedenen bürgerlichen Welt Fußtritte versetzt, ein revitalisierter Marx sollte schließlich zu gänzlicher Systemveränderung verhelfen. Doch von Demaskierung und Hinterfragung allein läßt sich auf Dauer nicht leben. Negativismus vermag Ratlosigkeit nicht aufzuheben. Statt einer dialektischen Evolutionsmechanik im Sinne von Hegel oder Marx treffen wir bei Ebner auf einen „dialogischen Realismus", der

in Gott und dessen schöpferischem Wort gründet.

„Das Du in seiner Göttlichkeit ist die erste, das Ich in seiner Menschlichkeit die zweite Person, so ist die Rangordnung des geistigen Lebens hergestellt." Dies versichert Ebner und weist uns damit einen Weg aus abermaliger egoistischer Verhärtung und einem rücksichtslosen Vorbeigehen am Nächsten in Not, das in einer existenzbedrohenden Sackgasse münden müßte.

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