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Wegwerfverhalten einer Steinzeithorde

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Der österreichische Verhaltensforscher und Gründer der Biologischen Station Wilhelminenberg sieht in den Organisationen der Natur- und Umweltschützer dieselben angeborenen Konfliktmechanismen „territorialer bodenlebender Lebewesen" am Werk wie in Fußballvereinen und vielen anderen Bereichen.

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Der österreichische Verhaltensforscher und Gründer der Biologischen Station Wilhelminenberg sieht in den Organisationen der Natur- und Umweltschützer dieselben angeborenen Konfliktmechanismen „territorialer bodenlebender Lebewesen" am Werk wie in Fußballvereinen und vielen anderen Bereichen.

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Jeder Verhaltensforscher weiß, daß Kriege zwischen Brüdern, Freunden und guten Bekannten die härtesten und brutalsten sind, die es gibt. Konrad Lorenz hat dies in seinen Vorlesungen wiederholt ausgeführt und sachlich begründet. Eines der furchtbarsten historischen Beispiele ist das Aufeinandertreffen Züricher Regimenter, die jeweils in österreichischen und französischen Diensten standen, in der Schlacht von Malplaquet 1709 während des spanischen Erbfolgekrieges. Die Männer kannten einander allzu gut, waren zum Teil befreundet und konnten überhaupt nur nach Überwindung letzter Hemmschwellen in blanker Tötungswut aufeinander einhauen. Es entstand ein beispielloses Gemetzel. Die Furchtbarkeit von Bürgerkriegen entspringt dem gleichen Grund. Man haßt nämlich den am meisten, den man nahe glaubte und überrascht als Gegner entdeckt. Die Situation, daß man sich plötzlich mit gezückter Waffe zum Emstkampf gegenübersteht, ist einfach nicht zu ertragen.

Hierin liegt auch das Problem bei Gerichtsprozessen zwischen Geschwistern, genau wie bei Meinungsverschiedenheiten zwischen gleich orientierten Vereinen am selben Platz. Die Differenzen haben mit Sachlichkeit nichts mehr zu tun, sie werden zum klaren Revierproblem. Beide Parteien agieren im selben Gebiet und können daher nichts anderes tun, als den Rivalen bis zum Tod zu bekämpfen. Vordem Krieg arbeiteten in Wien zwei Tierschutzvereine und zwei Naturschutzorganisationen. Sie lagen miteinander im Dauerkrieg und vernachlässigten dabei zum Teil sogar die eigentlichen Aufgaben, weil sie verhindern mußten, daß der Gegner Positives tat, das man selbst hätte tun sollen.

Außenstehende denken sehr oft, daß hier Gleichklang und Zusammenarbeit bestehen müßten ob der idealen Aufgabenstellung und ethisch hochwertigen Ziele. Das Gegenteil stimmt. Gerade diese ideelle Nähe zwingt zur betonten Revierabgrenzung und wachsamen Dauerbeobachtung des anderen. Das Kleingruppenwesen Mensch will außerdem nicht in der Masse aufgehen, sondern sich selbst als bekannt und anerkannt hingestellt sehen. Jeder Konkurrent, derdas kleinste Stück Ruhm abzweigen könnte, muß daher vertrieben, aufgesaugt oder zumindest unterdrückt und klein gehalten werden. Die Sprache des Menschen ist ja nicht entwickelt worden, um sich mit allen Völkern unterhalten zu können, sondern um die Mitteilungsmöglichkeiten innerhalb der eigenen Gruppe zu verbessern, von Fremden aber aus Sicherheitsgründen nicht verstanden zu werden. Auch das von uns so angestrebte „Paradies" bedeutet seinem persischen Wortursprung nach nichts weiter als „Zaun". Jedes territoriale Lebewesen grenzt ab, markiert und verteidigt. So handeln auch fast alle Tier- und Naturschutzorganisationen. Sie unterscheiden sich darin nur wenig von den kämpferischen Anhängern der Fußballvereine. Wird eine solche Gemeinschaft aber zu groß, treten, bedingt durch die Kleingruppennei-gungen des Menschen, unweigerlich interne Meinungsdifferenzen auf. Man schreitet zur Teilung, aus der dann meist eine harte Rivalität entsteht.

Nun sind aber Ungeduld und Angriffslust sehr charakteristische und wohl auch sehr wichtige entwicklungsbedingte Eigenschaften der Jugend, was jeder, der mit jungen Menschen zu tun hat, erlebt und durchstehen muß. Auf dem Übungsfeld erscheinen diese Charakterzüge zwar gut am Platz, im späteren ernsten Leben aber verzögern und hemmen sie nur, um letztlich, nach Aufbrauchen der endogen produzierten Energien, rasch zu verebben. Die Vielzahl der speziell in gefühlsmäßig stark bewegenden Sachgebieten auftauchenden und wieder verschwindenden Aktionsgruppen führt wohl zur Unruhe, nie aber zum Ziel. Besonders Natur- und Tierschutz erweisen sich, da es ja immer um Lebewesen geht, als besonders sensible Bereiche, die viele Gemüter in Wallung versetzen und dann auch Menschen aktivieren, deren Sachkenntnis viel zu gering ist.

Die bitter ernste Lage, in der sich Natur- und Umweltschutz heute befinden, verlangt aber im Gegensatz dazu mehr denn je Zusammenarbeit, nicht Streit, was freilich durch die Vielzahl der Organisationen und die Unterschiedlichkeit ihrer Mitglieder sehr erschwert wird und sicher nicht zustandekommt. Die Einzelinteressen innerhalb einer Steinzeithorde lassen sich leicht koordinieren, weil jeder vom anderen abhängig ist, die Mitgliedereinander genau kennen und zum Überleben auch brauchen. In der pluralistischen Massengesellschaft hingegen sind die komplizierten, weitgehend anonymen Abhängigkeiten nicht mehr begreifbar und berühren daher auch niemanden emotional.

Jedes territoriale bodenbewohnende Lebewesen, gleichgültig, ob Murmeltier, Kaninchen oder Mensch, hat das angeborene Streben, den eigenen Raum sauber zu halten, weil andernfalls Krankheiten leichter übertragbar wären und Seuchen ausbrechen könnten. Baumlebende Affen hingegen verschmutzen, trotz hoher Intelligenz, ihre Gehege total, weil sie im Gezweig ihres Lebensraumes mit ihren Ausscheidungen kaum in Kontakt kommen und daher keine Abwehrmechanismen entwickelt haben. Der Mensch ist sowohl bodenlebend als auch territorial, folglich zielt sein Reinlichkeitsstreben auf das Sauberhalten des eigenen Reviers, ohne Rücksicht auf den Nachbarn. In der Steinzeit, wo kleine Gruppen riesige Gebiete besiedelten, funktionierte das tadellos. Überträgt man diese Verhaltensweise in die chemisch-technische Gegenwart, so zeigt sich, daß jede Gemeinde ihre Mülldeponie möglichst weit weg vom Siedlungskern nahe der Nachbargrenze anlegt, sich selbst aber gegen jede Konfrontation mit fremdem Müll sofort wehrt. Betrifft das Problem eine höhere Verwaltungseinheit, etwa das Land, dessen Regierung eine Sondermülldeponie errichten soll und nach einem tauglichen Platz Ausschau hält, werden sich sofort an jeder ins Auge gefaßten Stelle Bürgerinitiativen bilden, die dies im Interesse der eigenen Gruppenwünsche zu verhindern suchen. Die Folge ist, daß der giftige Sondermüll vorerst an den Erzeugungsorten liegenbleibt, um bernäch-ster Gelegenheit von den „Eigentümern", die wieder nichts als Sauberkeit wollen, möglichst unauffällig irgendwo außerhalb des eigenen Reviers vergraben zu werden.

Für die Steinzeithorde bedeutete Vergraben oder In-den-Bach-Werfen die sinnvollste Problemlösung. Die Erde nahm ohne Schaden alles auf, und der Bach schwemmte den Abfall rasch fort. Heute jedoch haben wir es mit gefährlichen Giften und vielen nicht abbaubaren Substanzen zu tun. Diese Probleme vermag eine auf Interessengemeinschaften basierende Gesellschaft nur sehr schwer zu lösen, weil sich für jede Gruppierung eine Gegengruppierung findet. Die Bewegung der Bürgerinitiativen führt sich selbst ad absurdum und behindert die in einem Massenstaat notwendigen Gesamtlösungen, sofern solche überhaupt abgestrebt und nicht aus Gruppeninteresse verschwiegen, hinausgeschoben oder schon von höherer Stelle her vertuscht beziehungsweise verhindert werden.

Noch etwas ist zu berücksichtigen: Etwa 18 Prozent der männlichen Bevölkerung sind seit jeher militantkämpferisch eingestellt. Dieses Potential wurde durch Jahrhunderttausende bis in die jüngste Gegenwart dringendst benötigt. Es sind die Aktivisten, die Bereitwilligen, die Verteidiger. Früher ging man zum Militär, heute meldet man sich zur Feuerwehr, zur Bergrettung, Wasserwacht oder anderen einsatzfreudigen Gemeinschaften. Bei psychopathischer Übersteigerung solcher angeborenen Tendenzen mag es dann zu jenen Feuerwehrleuten kommen, die Brände legen, um sich beim Löschen hervortun zu können, oder den Friedenskämpfern, die vermummt Molotow-Cock-tails werfen. Es gibt ja auch Tierschützer, die gierig nach Tierquälereidelikten suchen, weil sie unbedingt einschreiten wollen, und Naturschützer, die jahrelangen technischem Planen ruhig abwartend zusehen, um dann bei Arbeitsbeginn mit Kampfmaßnahmen zuzuschlagen. Zumindest ein Teil der Menschen will „für" etwas oder „gegen" etwas kämpfen, will sich in Szene setzen und sichtbare Erfolge heimbringen. Nicht zuletzt deshalb findet jede Idee, jede Planung todsicher sofort Gegenideen und Gegenplanungen.

Der Mensch ist und bleibt Klein-gruppenwesen, das seine schlagkräftigsten Energien eben in der zwölf bis 20 Köpfe zählenden Sozietät entfaltet.

Gekürzt aus: NATURSCHUTZ AN DER WENDE. Von Otto Koenig. Verlag Jugend und Volk, Wien 1990. 234 Seiten, Bilder, Ln.. öS 248.-.

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