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„Wehe, wenn man den Bären reizt..

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Als eine „Stimme des Weltgewissens” bezeichnete der Londoner FURCHE-Korrespondent Erhard M. Hutter den russischen Dissidenten Wladimir Bukowski in einem Porträt, das zu Anfang dieses Jahres in unserem Blatt erschien (FURCHE Nr. 3). Diese „Stimme” wollen wir erneut zu Wort kommen lassen. Aus der Monatszeitung „Epoche” stammt dieses Interview, in dem.Bukowski die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe der Moskauer Sommerolympiade aufzeigt. Das Gespräch führte Thomas M. Buchsbaum:

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Als eine „Stimme des Weltgewissens” bezeichnete der Londoner FURCHE-Korrespondent Erhard M. Hutter den russischen Dissidenten Wladimir Bukowski in einem Porträt, das zu Anfang dieses Jahres in unserem Blatt erschien (FURCHE Nr. 3). Diese „Stimme” wollen wir erneut zu Wort kommen lassen. Aus der Monatszeitung „Epoche” stammt dieses Interview, in dem.Bukowski die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe der Moskauer Sommerolympiade aufzeigt. Das Gespräch führte Thomas M. Buchsbaum:

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Herr Bukowski. Sie bezeichnen die geplanten Moskauer Olympischen Spiele als„ Verhängnis für das russische Volk”. Was meinen Sie damit?

BUKOWSKI: Schon seit Monaten werden an allen Orten, an denen Olympia-Besucher erwartet werden, „Säuberungen” durchgeführt. Alle potentiellen Dissidenten werden verhaftet und in psychiatrischen Kliniken oder in Gefängnissen festgesetzt. Dies bedeutet eine Katastrophe für Hunderte von Familien, die damit nicht nur finanzielle Einbußen erleiden, sondern auch gesellschaftlich abgestempelt werden.

Wie wirken sich die fast schon traditionellen Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung aus?

BUKOWSKI: Schon jetzt leidet das russische Volk unter extremen Sparmaßnahmen, um Vorräte für die Olympischen Spiele anzuhäufen. Dies wirkt sich um so stärker aus, als ja auch unter „normalen Bedingungen” die Versorgungslage selbst bei Grundnahrungsmitteln verheerend ist.

Von den Sparmaßnahmen und der Anhäufung von Vorräten in Moskau wird aber die Bevölkerung der Hauptstadt selber nicht profitieren können, da sich die Verwaltung einen besonderen Trick einfallen ließ: es wurde Olympia-Geld geprägt, mit dem sämtliche Qualitätslebensmittel, Restaurantessen und sonstige Artikel erworben werden können; dies alles wird es nur für diese Olympiamünzen geben, die wiederum nur an devisenbringende Ausländer verkauft werden.

Entspannungsgläubige im Westen meinen, es werde durch die große Zahl der A usländer in Moskau möglich sein, mit der Bevölkerung und mit den Dissidenten persönliche Kontakte aufzunehmen und Gespräche zu führen.

BUKOWSKI: Dies wird sicherlich nicht möglich sein. Denn erstens wird Moskau - und auch andere Austragungsorte der Olympischen Spiele -von sämtlichen „Abweichlern” geräumt sein, und andererseits werden Ausländer nie längere Zeit in Moskau sein können. Ihr Kontingent ist pro Tag auf 300.000 limitiert, und da jeder Ausländer nur drei Tage in Moskau bleiben darf, wird das KGB es kaum mit mehr Leuten zu tun haben als an sonstigen hochsommerlichen Tourismustagen außerhalb der Olympischen Spiele.

Die Ausländer werden zu jeder Zeit mit ausgesuchten Leuten zusammengebracht. Ein Drittel der Eintrittskarten geht an die Armee, ein weiteres Drittel an „andere”, wobei aber die Preise der

Karten auf dem Schwarzmarkt - nur dort sind sie erhältlich - so hoch sind, daß es sich kein gewöhnlicher Bürger leisten kann, eine davon zu kaufen.

Wie werden sich die Olympischen Spiele - wenn sie überhaupt in der vorgesehenen Form stattfinden können -für die Sowjetunion finanziell auswirken?

BUKOWSKI: Die Olympischen Spiele können, wenn nicht sehr viele Staaten ihre Teilnahme absagen, ein großes Geschäft für Moskau werden. Sie sind auch darauf angelegt. Im Unterschied zu anderen Olympiastädten wurden in Moskau nahezu alle Gebäude und Anlagen von Soldaten - also ohne Lohnkosten - errichtet. So übermäßig viel wurde gar nicht gebaut, da sich sehr viele Heime auch als Hotels verwenden lassen; schließlich kann man ja auch neu erbaute Hotels in den nächsten Jahren gut für den Tourismus nutzen.

Denken Sie nur an die horrenden Beträge, die allein für die Filmrechte von einer einzigen amerikanischen Fernsehgesellschaft gezahlt werden.1'

Dazu kommen die Einnahmen von den Eintrittskarten. Das alles sind Devisen, und die Kommunisten kalkulieren einen Gewinn von Millionen US-Dollar ein.

Um ein in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema aufzugreifen: Sehen Sie eine Parallele zwischen den Olympischen Spielen in Berlin 1936 und in Moskau 1980?

BUKOWSKI: Ja, selbstverständlich. Die Masseneffekte von Menschen, die rauschartig von den Bänken hochspringen und begeistert brüllen, die gigantischen Blumenkulissen und Theatereffekte mit Tausenden weißen Tauben - dies alles weckt sentimentale Gefühle und vermittelt ein positives Bild vom gastgebenden Land. Und genau dies wird seit Monaten in der gesamten Sowjetunion vorbereitet.

Ein Beispiel ist auch das offizielle „Olympia-Maskottchen”: ein lieber Bär, herzig anzusehen. Jedes Kind weiß, was ein Bär ist und wie er sich verhält; daß er ein ziemlich freundliches Tier ist, solange man ihn in Ruhe läßt. Aber wehe, wenn man ihn reizt! Ein Symbol, das zweifellos verstanden wird.

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