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Wehrlose Hoffnung

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Vor einigen Jahren wurde im Westen ein Ostergedicht des jungen Russen Bulat Okudschawa bekannt. Der Dichter nennt zunächst etwas ironisch die Grundwerte des russischen Systems: Arbeit und Kampf, beides entschärft durch den tröstenden Wodka.

„Viel Wodka hab ich in den Schlund geleert, ich liebe diesen Tag wie den des Schichtarbeiters, und wie den Festtag unserer Armee. Es werden heute Eier laut zerschlagen, es dröhnen viele Glocken herzerfrischend, und aller Länder Proletarier vereinigen sich um die Ostertische.“

Diese Osterfreude will sich mitteilen: „Passant, umarmen wir uns herzlich, verzeih mein aufrichtiges Handeln, wir werden endlich Menschen ähnlich, wahrhaftig: Er ist auferstanden!“

Inmitten einer marxistisch überformten Gesellschaft und Sprache ertönt hier, frisch wie am ersten Tag, der altrussische Ostergruß „Christos woskres!“ -ein Wort aus dem Osterevange-lium.

Im Westen ist Ostern kaum ein Thema zeitgenössischer Poesie. Aber es gibt die ererbten alten Osterlieder. „O Töter du des Todes!“ singt eines von ihnen dem Christus zu. Viele wollen nicht mitsingen, können es nicht. Sie vermögen nicht zu glauben, daß einer auferstanden ist und so den Tod aller überwunden hat.

Freilich bleibt Ostern auch ohne solchen Glauben ein Fest: ein Frühlingsfest, voll Dank gefeiert, weil im scheinbar ewigen Kreislauf der Natur zwischen Stirb und Werde jetzt wieder das Leben obenauf ist. Ein willkommener Anlaß für österliche Spaziergänge und Ausfahrten zur Entlüftung der Kleider und der Seelen.

Die Christen sollten da mit ihren nicht mehr oder noch nicht christlichen Verwandten und Bekannten fröhlich mitgehen und mitfahren, so wie der Christus mit zweien solcher Leute nach Emmaus mitgegangen ist. Unterwegs aber wäre manches zu fragen und zu sagen.

Zu fragen wäre, ob man wirklich auf eine Hoffnung verzichten kann, die das Leben vor dem Tod beflügelt und auch dem Tod noch standhält, wenn man die Welt und sich selbst überhaupt liebt. Zu fragen wäre, ob man diese wehrlose Hoffnung abweisen kann, die wie ein Kind daherkommt: kleines Mädchen Hoffnung.

Zu fragen wäre, ob es wirklich leichter ist, an den Tod zu glauben als an das Leben, während doch die Menschheit im Ganzen sich nie mit dem Tod abgefunden hat und große Religionen wie Kulturen - man denke an die altägyptische - Flügelbildungeh gegen den Tod und über ihn hinaus gewesen sind.

Auf Oster- und sonstigen Spaziergängen hätten die Christen ihren nichtchristlichen Weggefährten allerdings nicht nur Fragen zu stellen. Sie hätten auch Dezidiertes zu sagen. Sie hätten zu sagen, was der Auferstandene nach dem Zeugnis der Evangelien den erschrockenen Jüngern gesagt hat: „Fürchtet euch nicht!“ Und: „Friede sei mit euch!“

Zu fürchten gibt es genug. Uralten Gefährdungen des Menschen haben sich neue zugesellt. Es drohen nicht nur die je schon dagewesenen Katastrophen, in denen einzelnen und ganzen Völkern die „Welt“ untergeht, sondern globales Unheil. Manche erinnern sich in ihren Sorgen um die Zukunft an die Hand, die zu Belsazars Zeiten an die Wand des Königshauses in Babylon das „Mene“ und „Tekel“ schrieb: Drohworte, die allein der Prophet Gottes deuten konnte.

Man werde in der Gesellschaft der Zukunft vor allem Vertrauen brauchen, resümierte der Soziologe Nikolaus Luhmann seine vor einigen Jahren veröffentlichte Studie gleichen Titels, und seine These erscheint nicht als überholt.

„Fürchtet euch nicht!“ sagt der Christus, der selbst Todesangst erlitten hat und dessen Angstschweiß am ölberg wie Blutstropfen zur Erde rann. Den Angesprochenen werden die eigene Furcht, die Angst nicht weggezaubert, aber sie sollen wissen, daß diese Angst erlöst worden ist. *

„Friede sei mit euch!“ Scha-lom! Nelly Sachs hat diesen Frieden unvergleichbar poetisch angesprochen: „Friede, du großes Augenlid, das alle Unruhe verschließt mit deinem himmlischen Wimpernkranz.“ Solchen Frieden kann die Welt nicht geben, sagt Jesus. Aber er kann inmitten dieser Welt anbrechen als Anfang des Reiches Gottes.

Von den Jüngern, denen der Auferstandene den Friedensgruß zusprach, berichtet das Evangelium, sie hätten sich gefreut, als sie den Herrn sahen.

Friede und Freude gehören zusammen. Die christliche Osterfreude hat im Mittelalter einen heute vergessenen Brauch entwickelt: das Ostergelächter, den Risus paschalis. Nach dem liturgischen Ruf „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ stimmt die Gemeinde ein schallendes Gelächter an, weil Hölle, Tod und Teufel überwunden sind.

Ein solcher Brauch mutet heute befremdlich an. Aber er deckt das Wesen des Christentums auf: Wer an den Tod als ein

Letztes nicht glaubt, sondern glaubt an den Tod des Todes, der hat wirklich etwas zu lachen. Sein Lachen ist vielleicht die letzte Waffe seiner Hoffnung.

Wie konnte die öffentliche Meinung entstehen, das Christentum sei eine traurige Religion und Christen hätten nichts zu lachen? Wie konnte es geschehen, daß heitere Christen -Abraham a Sancta Clara, Don Bosco, Johannes XXIII. und Johannes Paul I. - als Ausnahme empfunden werden?

Georges Bernanos, dessen düstere Romane zugleich Dokumente christlicher Freude sind, läßt eine seiner Romanfiguren, den Pfarrer von Torcy, sagen: „Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich wie ein Leichenträger herumlaufe. Schließlich kleidet sich der Papst in Weiß und die Kardinäle in Rot. Von Rechts wegen müßte ich gekleidet einhergehen wie die Königin von Saba, denn ich bringe die Freude.“

Ein österreichischer Künstler, Herbert Boeckl, hat gewagt, nicht nur lachende Christen, sondern einen lachenden Christus darzustellen. Als man Boeckl fragte, warum der weltenrichtende Heiland im Sek-kauer Freskenzyklus zur Apokalypse lächle, sagte er lapidar und halb im Dialekt: „Weil er g'won-nen hat.“

Das ist die beste Laientheologie und ein brauchbarer Abschluß von Überlegungen zum Osterfest.

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