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Wehrlose Melkkühe

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Die Spitalsärzte verlangen ja gar keine 70 Prozent Honorarerhö-hunig von den Privatkrankeniver-sicherten, reagierte Ärztekammerpräsident Daume indigniert, sondern sowieso nur 40 Prozent. Wie beruhigend. Einigen Arbeitern und Angestellten mag dabei einfallen, daß von mancher Seite — übrigens mit reoht plausiblen Argumenten — Lohn- und Gehaltserhöhungen von mehr als 10 Prozent als nicht tragbar bezeichnet werden. Ja aber — so konterten die Ärztevertreter — die 70- beziehungsweise 40-Prozent-Forderung betreffe nicht das Gesamteinkommen der Spitalsärzte, sondern nur einen kleinen Teil davon. Was von den gesetzlichen Krankenkassen und aus sonstigen Quellen nicht zu bekommen sei, das müßten eben die Privatversicherten kompensieren.

Ob man die Einkommenswünsche der Ärzte nun positiv oder negativ beurteilen mag, was hier — nebenbei bemerkt, nicht nur von den Ärzten, sondern auch von den Spitalserhaltern, der Sozialversicherung usw. praktiziert wird, ist auf alle Fälle abzulehnen: Sie alle versuchen, sich auf Kosten der wehrlosesten Gruppe zu sanieren.

Denn den Privatversicherten bleibt gar nichts übrig, als mit allem einverstanden zu sein. Sie verhandeln ja nicht, sondern es wird über ihre Köpfe hinweg paktiert. Sie haben keine Möglichkeit, zu streiken, ja, sie können nicht einmal die Versicherung kündigen, denn damit würden sie ihre Vorversicherungszeiten verlieren und müßten bei Wiederversicherung noch viel höhere Zahlungen leisten. Und wer verzichtet schon gern auf die relativ noch immer günstigere Prämie, wenn er womöglich jahrzehntelang brav eingezahlt hat, Ohne Leistungen in Anspruch zu nehmen? Er wird zum Gefangenen seiner eigenen Vorsorge.

Hinter den Privatversicherten steht keine mächtige Interessengruppe, welche sich ihrer annimmt, denn ihre Versicherungsanstalten bedauern sie höchstens, steigen aber ihretwillen nicht auf die Barrikaden, sondern halten sich lieber bei Ihnen schadlos.

Die Spitalsärzte verlangen mehr Honorar? Die Vensicherungen warnen vor den Folgen. Aber wenn die Warnungen nichts helfen, dann haben nicht sie, sondern die Versicherten die Folgen zu tragen.

Geben nämlich die Ärzte nicht nach, dann übernehmen die Versicherungen einfach keine Kostengarantie mehr. Sie empfehlen den Patienten, mit ihren Chirurgen kräftig zu feilschen — was diese ganz bestimmt tun werden, wenn sie vor einer komplizierten Operation auf Leben und Tod stehen...

Daß viele Versicherungsverträge gerade im Hinblick auf die Kostengarantie abgeschlossen wurden, interessiert niemanden. Wer jetzt erst krank wird, ist eben selber daran schuld. Wenn die Versicherten das nicht wollen, dann müssen die Tarife neu kalkuliert werden. Die Versicherungen ließen bereits durchblicken, daß mit neuerlichen Anhebungen der Prämien um fünfzig Prozent zu rechnen sei.

Und das nach den enormen Prämienerhöhungen der letzten Jahre! Gerade mit dieser aber argumentieren die Ärzte: Sie wollen nicht recht glauben, daß in den gepfefferten Meiirprämien keine stille Reserve stecken sollte, die sie nun anzapfen könnten. So dreht sich das Karussell: starke Tariferhöhungen machen den Kontrahenten der Versicherungen den Mund wässern, welche nun ihrerseits entsprechend mehr fordern. Daraufhin erhöhen die Versicherungen die Prämien noch stärker. Fortsetzung siehe oben.

Die wehrlose Melkücuh Privatversicherter darf ein paarmal „muh“ sagen. Sie darf sogar devot fragen, Ob wirklich — auf allen Seiten — knapp genug kalkuliert wurde. Aber sie wird schnell abgefertigt: anders geht es eben nicht, damit foasta.

Freilich sind die Spitalshalter und die Sozialversicherung den Ärzten schon mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Bekanntlich zahlt die gesetzliche Krankenkasse ihrer Versicherten die allgemeine Gebühren-klasse. Aber sie zahlt den Spitalserhaltern nicht die vollen Tarife, sondern fordert einen „Mengenrabatt“ — der kommerziell keineswegs gerechtfertigt ist, da jeder Patient der aligemeinen Gebührenklasse sowieso ein Verlustgeschäft für das Spital ist.

Sozialversicherung, Spitalserhalter und Ärzte demonstrieren aber gutes Gewissen. Die Reichen, so meinen sie unschuldig, sollen eben für die Armen ein wenig mitbezahlen.

Hier zeigt sich, wie verantwortungslos heute mit den Begriffen „reich“ und „arm“ jongliert wird. In Österreich gibt es mehr als zwei Millionen Privatkrankenversicherte, davon die Mehrzahl zusatzversicherte Sozialversicherungspflichtige. Allein diese enorme Zahl zeigt, daß es sich hier nicht nur um Wohlhabende handeln kann, sondern in der Hauptsache um Arbeiter und kleine Angestellte, welche für sich und ihre Angehörigen im Notfall einen zusätzlichen Schutz haben wollen.

Diese Menschen als Melkkühe zu betrachten, ist einfach unsozial. Wenn höhere Kosten tatsächlich unvermeidlich sein sollten, dann müssen sie von allen gleichermaßen getragen, dürfen aber nicht einer Gruppe überproportional aufgebürdet werden.

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