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Weibels Medienkunst: Mit Computer in 1990ern

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Österreichs neuer Biennale-Kommissär Peter Weibel leitet seit Herbst 1990 das Institut für Neue Medien an der Städelschule, der Kunsthochschule Frankfurts. Im Interview nimmt er zur grundsätzlichen Unterscheidung von mittels Computer geschaffenen Kunstwerken und bisheriger bildender Kunst Stellung.

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Österreichs neuer Biennale-Kommissär Peter Weibel leitet seit Herbst 1990 das Institut für Neue Medien an der Städelschule, der Kunsthochschule Frankfurts. Im Interview nimmt er zur grundsätzlichen Unterscheidung von mittels Computer geschaffenen Kunstwerken und bisheriger bildender Kunst Stellung.

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FURCHE: Das Institut für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt hat vor einem Jahr seine praktische Arbeit aufgenommen. Was unterscheidet es von den Studiengängen an anderen Hochschulen, die sich ebenfalls mit diesem Gebiet bildender Kunst auseinandersetzen?

Peter Weibel: Im Videobereich kann man schon von Hamburg bis Braunschweig etwas lernen, auch im Bereich des PC. Wichtig für uns ist, daß wir hier hochwertige industrielle Computer zur Verfügung haben. Maschinen, die sicherlich für Zwecke der Ausbildung sonst niemand zur Verfugung hat. Das ist auch eines der zentralen Probleme des Instituts: Es ist nämlich nicht leicht, Studenten zu motivieren, diese Geräte auch zu bedienen, weil das sehr aufwendig ist und eine lange Zeit der Einübung braucht.

FURCHE: Das erste Jahr des Instituts zeichnete sich durch eine rege Beteiligung an Ausstellungen, Symposien und Diskussionen aus, seitens der Studenten wie der Professoren. Welchen Stellenwert besitzt diese Öffentlichkeitsarbeitfür das Institut?

Weibel: Wir versuchen, durch diese Aktivitäten einen Diskurs in Gang zu setzen, in dem unter anderem auch die alten Medien gewissermaßen im Rückspiegel der Neuen Medien befragt werden. Das Institut für Neue Medien hat wesentlich dazu beigetragen, den Begriff „Virtualität" (Darstellung von alternativen Welten mittels Computer) ins Spiel zu bringen. Wir bemühen uns, von der Architektur bis zur Fotografie -und auch in der Computerkunst -diesen Begriff einzubringen und eine Diskussion in Schwung zu bringen.

FURCHE: Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt das Institut im Studienprogramm?

Weibel: Wir konzentrieren uns auf avancierte Computer-Technologie, und hier auf zwei Bereiche: auf die Computer-Animation, mehr noch auf die aktive Computer-Installation. Wir würden beispielsweise Computer-Grafik gar nicht zu den Neuen Medien zählen, weil das Wesentliche dieser Maschinen ist ja, daß sie Bewegung erzeugen und die Illusion des Belebtseins, daß sie interaktiv sind und uns alternative, virtuelle Welten vorführen können.

FURCHE: Gehört es nicht auch zu den Aufgaben des Instituts, Kriterien zu entwickeln für die qualitative Bewertung dieser neuen Kunst?

Weibel: Am Kunstmarkt gibt es ja Kriterien - das heißt: Wenn Bill Viola ausgestellt wird, kann man sehen, daß diese Arbeiten den Kriterien der Kunst-Kommune genügen. Unsere Arbeit aber besteht darin, diese Kriterien nicht zu akzeptieren. Die Kriterien des Kunstmarktes sind zu sehr gespeist von den Vorstellungen der historischen Künste. Das Problem ist, daß der anerkannteste Video-Künstler zur Zeit einer der schlechtesten ist, den es gibt, nämlich Nam June Paik. Gleichzeitig steht er am Markt an der Spitze der Hierarchie. Da müßte ich den Studenten raten: mach es so wie er, geh' zurück auf eine figurative Vorstellung der Kunst, mit Neonröhren, weil das sind die Präsentationsformen, die die Leute von Zürich bis Paris so lieben. Das ist natürlich eine Art der Technik, die aus der Werbung kommt, aber nichts mit Neuen Medien zu tun hat.

FURCHE: Welche Alternativen können Sie sich vorstellen, um die immateriellen Prozesse der Neuen Medien darzustellen?

Weibel: Es gibt einmal die Verkaufsform, wie bei Paik, und dann die asketische Werkform, die beispielsweise Marko Lehanka benutzt (Anm. d. Red.: Lehanka experimentiert mit Textverarbeitungs-Programmen), also die mit seinen Zettelchen, Notizheften und dem Bildschirm. Diese immanente Werkform ist sozusagen der Versuch einer ehrlichen, authentischen Darstellung. Aber natürlich muß man über beides hinausgehen. Zur Lösung dieses Problems kann das Institut nur einen Teil beitragen.

FURCHE: Welche neuen Präsentationsformen und -orte sind denn für diese Kunst vorstellbar? Wenn es um Interaktion geht, werden die Grenzen zwischen Produzent und Konsument fließend. Das stellt den Künstler, wenn es um die Verkäuflichkeit im Sinne des traditionellen Kunstmarktes geht, doch vor fundamentale Existenz-Probleme?

Weibel: Einerseits existieren schon Galerien, die sich um diesen Bereich kümmern, die auf die neuesten Reproduktions-Techniken spezialisiert sind. Die andere Möglichkeit ist der halbkommerzielle Bereich der Messen, wo diese Kunst vertreten und auch zu kaufen ist.

FURCHE: In welcher Form denn -als Diskette, als Software, als Video-Band?

Weibel: So ungefähr, oder als ganze Installationen, die von Museen angekauft werden. Dann ist noch eine Möglichkeit das kulturelle Beiprogramm der Industrie-Messen wie der „CeBit" in Hannover. Die Zahl der Festivals und Veranstaltungen, die sich nur diesen Medien widmen, ist im Steigen begriffen.

FURCHE: Die traditionellen vier weißen Galeriewände sind wohl nicht das richtige Medium für die künstlerischen Prozesse, die hier entwickelt werden?

Weibel: Ideal wäre, wenn wir hineinkommen könnten in Vertriebs-Systeme wie bei Schallplatten und Büchern, wenn man Video-Bänder und Disketten verkaufen könnte, in Computer- und Fotoshops, Buchhandlungen und Schallplattenläden. In die klassische Medienwelt müßte man hineinkommen.

FURCHE: Deren Ladenpreise können den Künstler aber kaum ernähren?

Weibel: Richtig, Medienkünstler werden daher immer angewiesen sein auf das versteckte Subventionsprogramm unserer Kultur wie etwa Avantgarde-Musiker. Die leben ja auch nicht vom Verkauf ihrer Schallplatten, werden immer heimlich subventioniert durch Rundfunk- und Kompositions-Aufträge für Festivals. Dieses System, das es jenseits des Marktes gibt - Symposien, Festivals, Begleitprogramme der Messen - dieser marginale Markt muß stark genug sein, um die Künstler zu ernähren. Wir als Künstler sind natürlich auch selbst verpflichtet, etwas zu diesem Markt beizutragen.

FURCHE: Für mich zeichnen sich Kunstwerke, die mit den Neuen Medien arbeiten, häufig durch eine sehr starke Selbstreflexion aus. Ist das ein Fluch dieser Kunst, vielleicht aus dem Gefühl heraus, sich immernoch selbst rechtfertigen zu müssen, immer auch die eigenen Prozesse medienkritisch zu reflektieren - oder gibt es jenseits dessen nicht auch eine ganz eigene Ästhetik der Medienkunst?

Weibel: Es ist sicherlich wie ein Fluch, daß Studenten, die Medienkunst machen, gleich glauben, sie müßten kritisch sein. Meine Aufgabe hier ist es, die Leute davon abzubringen, sie sollten sich mit viel mehr Unverfrorenheit, Frechheit, Unbefangenheit mit diesen Dingen beschäftigen, ohne Rücksicht auf historische Vorgaben. Die Neuen Medien können sich offenbar aus dieser Dialektik der Modernen Kunst, der selbstreferentiellen Infragestellung, nicht herausretten. Das ist wie eine Doppelbedrohung, weil die Medienkunst sich nicht nur selbst infragestellt, sondern auch ständig infragestellen läßt von den anderen Medien, was beispielsweise Malerei und Plastik nicht mehr tun. Das ist auch mit ein Grund, warum auf Ausstellungen, wie etwa in der Mediensektion der „documenta" in Kassel, der Öffentlichkeit immernoch ein sehr konfuses Bild vermittelt wird.

FURCHE: Eine mögliche neue Präsentationsform von Kunst schlagen Sie als Medienkünstler ja selbst vor, indem Sie nach einem neuen Begriff vom Gesamtkunstwerk suchen. Was leisten denn die Neuen Medien als Beitrag dazu?

Weibel: Sie erweitern die Dimensionen der Kommunikation. Vor allem wird hier die Eingleisigkeit der Kommunikation in den klassischen Künsten teils überwunden. Das Gesamtkunstwerk besteht nicht darin, die Beiträge der unterschiedlichen Medien miteinander zu verschmelzen, sondern sie alle anzuführen, in ihrer Differenz aber zu belassen. Als Konsument soll mich das gleichzeitig soweit bringen, daß ich imstande bin, das zu verarbeiten. Mein Gesamtkunstwerk zielt darauf, die Informationsverarbeitung der Menschen zu steigern, also gleichzeitig Musik, Text, Bilder wahrzunehmen, ohne daß ich das Gefühl habe, erdrückt zu werden. Das ist auch ein utopischer Anspruch, denn das gleiche verlangt ja auch die Zivilisation von ihnen. Sie müssen ja heute mehr verarbeiten denn je. Die Medienkunst kann als Modell, als Therapie dazu beitragen. Insofern ist es eine sehr sensorische, sehr sinnliche Kunst.

Mit Peter Weibel sprach Thomas A. Wolff, der als freier Kulturjournalist in Frankfurt lebt.

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